Donnerstag, 28. März 2024

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Polemiken gegen die 68er

Am 3. Mai 1968 besetzten Studenten die Pariser Sorbonne, kurz darauf kam es zu Straßenschlachten. Anders als in Deutschland solidarisierten sich Millionen von Arbeitern mit den jungen Bürgerlichen, und so lähmte ein Generalstreik wochenlang das ganze Land. 40 Jahre danach wettert Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy gegen das Gedankengut von damals. Burkhard Birke berichtet aus Paris.

02.05.2008
    "Die Erben von 68 hatten die Idee durchgesetzt, dass alle zählen, dass es folglich keinen Unterschied mehr zwischen gut und böse, zwischen richtig und falsch, zwischen dem Schönen und dem Hässlichen gäbe. Sie haben versucht, glauben zu machen, dass Schüler genauso viel wert wären wie der Lehrer, dass man keine Noten geben müsste, um die schlechten Schüler nicht zu traumatisieren, und dass man vor allem kein Klassement bräuchte, dass das Opfer weniger als der Verbrecher zählte."

    Kurzum: 68 ist Grund allen Übels und Grund genug, um mit diesem Erbe zu brechen, wie Nicolas Sarkozy im Wahlkampf vor gut einem Jahr angekündigt hatte.

    "Frankreich hätte doch keinen Präsidenten mit einer Patchworkfamilie, also einen Geschiedenen mit Kindern aus verschiedenen Ehen gewählt, auch keinen Präsidenten, der durch seine Großeltern jüdische Wurzeln hat, Hätte es den Mai 68 nicht gegeben, wäre Nicolas Sarkozy nie gewählt worden","

    ironisiert der Soziologe und 68er Jean Pierre Le Goff. Mit seiner 68er-Polemik hat Nicolas Sarkozy jedoch den Finger in eine offene Wunde gelegt: Obwohl ihre Kollegen sich damals mit den Studenten zusammengeschlossen hatten und per Generalstreik soziale Errungenschaft durchsetzen konnten, können die meisten einfachen Arbeiter heutzutage mit dem 68er-Gedankengut wenig anfangen. Überzogene Thematisierung in den Medien und ein mittlerweile ab absurdum geführter Autonomieanspruch, Alt- 68er und Buchautor Le Goff spricht vom unmöglichen Erbe, weil die meisten Tabus in der Gesellschaft gefallen seien. Für ihn ist das Erbe tot. Für die heutige Studentengeneration ist es zweifelsohne ein lästiges Erbe. Sie will nicht ständig an 68 gemessen und erinnert werden, aber:

    ""Man kann doch nicht die Geschichte liquidieren. Die Tatsache, dass Sarkozy es sagt, bedeutet doch gerade, dass das Erbe von 68 immer noch existiert und ihm Sozialprotest Angst macht","

    meint Julie. Gleichstellung, sexuelle Befreiung, Öffnung der Universitäten für breitere Schichten der Bevölkerung bleiben für die Studentin und die meisten ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen wichtige Erbstücke. Die heutige Studentengeneration sieht sich freilich ganz anderen Problemen ausgesetzt.

    Für sie haben ein paar der 300.000 Studenten 1968 ihre Revolution aus dem Glashaus, gebettet in eine ökonomisch sichere Zukunft vorantreiben wollen: Was bewegt die 2,2 Millionen Studenten heutzutage in Frankreich? Jean Baptiste Prévost von den größten Studentenorganisation UNEF:

    ""Sie haben soziale Probleme, die 68 nicht existierten. Arbeitslosigkeit ist ein heutiges Problem, das 68 nicht existierte. Ich denke auch, die Studienbedingungen sind viel schwieriger als 68. Studienbedingungen und Arbeitslosigkeit: Das sind die Probleme der Studenten heute in Frankreich und auch in Europa, denke ich. Man kann nicht auf diese Probleme antworten, wenn man immer 68 und heute vergleicht."

    Vergleichen, das kann man auch aus einem anderen Grund nicht. Denn Prévost und seine in der Studentenbewegung politisch aktiven Kommilitonen sind eher die Ausnahme. Constance:

    "Die meisten Mitstudenten sind viel weniger politisch aktiv als früher, denke ich. Vor allem, glaube ich, merken die gar nicht, welchen Einfluss die Politik auf ihr tägliches Leben, ihr Studium, ihr soziales Leben haben kann."

    Vielleicht fehlt auch einfach die Zeit zwischen Jobben, Studieren, gratis Praktika, verzweifelter Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche. Eins ist jedoch klar: Wenn es hart auf hart kommt, gehen auch heute noch Frankreichs Schüler und Studenten wie 1968 für ihre Interessen und Rechte auf die Straße.

    "Wir sind stets auf der Hut und bereit zu demonstrieren. Wenn eine Maßnahme getroffen wird, die unseren Idealen, unseren Vorstellungen von Hochschulbildung zuwiderläuft, sind wir immer bereit zu demonstrieren."