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Polen
Keine Muslime, aber Islamophobie

Soziale Netzwerke in Polen sind fest in der Hand von Fremdenfeinden. Dabei richtet sich der Hass polnischer Rechtsradikaler nicht mehr gegen Juden, sondern gegen Muslime. Auch unter moderaten Polen stößt man schnell auf Vorbehalte und rassistische Klischees - obwohl es dank der restriktiven Flüchtlingspolitik praktisch keine Muslime in Polen gibt.

Von Jan Pallokat | 15.02.2016
    Junge Polen demonstrieren in Warschau gegen Flüchtlinge (September 2015)
    Junge Polen demonstrieren in Warschau gegen Flüchtlinge. (picture alliance / dpa / Rafal Guz)
    Antisemitismus war lange Leitmotiv polnischer Rechtsradikaler. Doch der Jude hat offenbar ausgedient als Feindbild; neuerdings skandieren die Kurzgeschorenen bei ihren Aufmärschen Schmähgesänge gegen Muslime im Allgemeinen und Araber im Besonderen: "Jeder Araber merke sich, Polen ist uns heilig", so diese noch vergleichsweise harmlose Variante.
    Es ist die Wut auf ein Gespenst, denn in Polen gibt es, abgesehen von einigen Schutzsuchenden aus Tschetschenien, praktisch keine Muslime – und angesichts der restriktiven Politik der Regierung in der Flüchtlingsfrage wird sich daran auch nichts ändern. Dennoch stößt man nicht nur unter Rechtsradikalen, sondern auch unter ansonsten moderaten Polen in der Flüchtlingsfrage schnell auf Vorbehalte und rassistische Klischees.
    Der Hass trifft die toleranten Polen
    Die meisten Polen kennen Muslime nur aus Fernsehberichten – und dort taucht nicht die nette, integrierte Einwandererfamilie auf, dort ist ausschließlich von Terror, Kriminalität, Grabschereien und Problemen die Rede.
    "Bei uns existierte große Angst, die sich daraus speist, dass jeder Kontakt fehlt. Die allermeisten Polen haben nie eine solche Person kennengelernt. Es ist die Furcht vor der Vorstellung des Fremden",
    sagt die Soziologin Marta Kindler. Auch in Polen spielt das Internet die Rolle des Angst- und Wutverstärkers. Soziale Foren sind fest in der Hand der Fremdenfeinde. Da es an echten Muslimen fehlt, trifft ihr Hass stellvertretend die, die sich für Toleranz aussprechen.
    Joanna Grabarczyk etwa steht unter Polizeischutz. Die Aktivistin der Anti-Hass-Initiative Stophejt hatte den prominenten polnischen Bodybuilder Marius Pudzanowski angezeigt. Pudzianowski hatte in einem Internet-Eintrag Baseball-Schläger im Einsatz gegen Flüchtlinge empfohlen. Dafür erntete der Kraftprotz tausende meist zustimmende Kommentare – Aktivistin Grabarczyk dagegen zahllose Hass-Mails und persönliche Beleidigungen.
    Flüchtlingshelfer haben in der Politik keine Stimme
    Ähnlich erging es Gemeindevorsteher Krzystof Szewczyk. Sein kleiner Ort Olszewo-Borki nordöstlich von Warschau hatte zu den wenigen polnischen Gemeinden gehört, die im Rahmen einer landesweiten Umfrage nach Warschau meldeten, ja, wir hätten durchaus Platz für Flüchtlinge, fünf Familien könnten bei uns unterkommen. Die folgenden Drohungen waren so konkret, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt.
    "Die Internetforen waren mit verschiedenen Kommentaren überflutet, nicht gerade wohlwollend, oft beleidigend. Und sie waren sehr oft schlicht unwahr und sehr fremdenfeindlich, teilweise regelrecht menschenfeindlich, so muss man das bezeichnen. Gegen andere Menschen gerichtet."
    Gemeindechef Szewczyk gehört zu jenen Polen, die es auch gibt, ein gläubiger Katholik, der Hilfe für verfolgte Menschen als solidarische Pflicht empfindet. In der Politik freilich haben Menschen wie er keine Stimme. Die Opposition hatte der Anti-Flüchtlings-Rhetorik der Kaczynski-Partei PiS nichts entgegen zu setzen – oder unterstützte sie sogar. Aus der Deckung wagte sich unlängst dagegen einer, der politisch schon alles erreicht hat. Ex-Staatspräsident Alexander Kwasniewski im polnischen Privatfernsehen:
    "Es ist beschämend, wie wir uns jetzt in der Flüchtlingskrise verhalten. Dabei wollen diese Menschen gar nicht zu uns. Polen ist ein schwieriges Pflaster für Migranten; schwierige Sprache, eine sehr homogene, katholische Gesellschaft. Aber die Politik spielt mit der latenten Fremdenfeindlichkeit, und das wird uns noch teuer zu stehen kommen, nicht nur, weil wir vor aller Augen als fremdenfeindliches Land erscheinen. Denn so stärken wir letztlich nur das Lager derer, die nicht begreifen, dass wir im 21. Jahrhundert leben, in einer globalisierten Welt, aus der es kein Zurück mehr gibt. Unsere Werte können wir nur retten, in dem wir ihre Stärken zeigen, nicht, in dem wir sie einmauern."