Mittwoch, 24. April 2024

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Polen lehnt "Zentrum gegen Vertreibung" ab

Das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibung" stößt in Polen auch nach den Gesprächen von Unions-Kanzlerkandidatin Merkel auf Ablehnung. In seinem Land gebe es Unverständnis über die Pläne des Bundes der Vertriebenen, sagte der polnische Botschafter in Berlin, Andrzej Byrt, im Deutschlandfunk. Man solle zunächst die Ursachen des Terrors aufarbeiten, fügte der Botschafter hinzu.

Moderation: Friedbert Meurer | 17.08.2005
    Meurer: Seit Jahr und Tag suchen die deutschen Vertriebenen einen Ort für ihr Zentrum gegen Vertreibung. Bundeskanzler Schröder will es nicht in Berlin sehen aus Rücksicht auf Polen. Warschau setzt auf den Kanzler, aber der könnte nach dem 18. September durch Angela Merkel abgelöst werden. Merkel war gestern zu Gast in Polen. Im Wahlprogramm verspricht die Union, den Bund der Vertriebenen in seinen Plänen zu unterstützen. Das Zentrum könnte in Berlin Mitte in einer Kirche entstehen, der katholischen Sankt-Michael-Gemeinde, aber der Berliner Erzbischof Kardinal Sterzinsky hat das Projekt erst einmal gestoppt.
    In der Hauptstadt begrüße ich den polnischen Botschafter in Deutschland Andrzej Byrt. Guten Morgen Herr Byrt!

    Byrt: Schönen guten Morgen.

    Meurer: Sind Sie etwas erleichtert, dass das Projekt von Kardinal Sterzinsky erst einmal gestoppt worden ist?

    Byrt: Ich würde sagen, wir beobachten diesen Streit, aber wir sind nicht mit einbezogen. Ich verstehe, dass es einige Bedenken gibt und die verbinden sich mit der emotionengeladenen Situation der Kirche in Berlin. Das ist das Anliegen der Kirche hier. Wir können nichts dazu tun. Ich kann nur sagen, dass die Idee, ein solches Zentrum in einer Kirche zu errichten, sofort einige Bedenken zum Ausdruck bringen muss. Ich möchte nur sagen, dass es die katholische Kirche auf beiden Seiten der Grenze war. Die haben diesen besonderen großen Beitrag dazu geleistet, dass die so oft erwähnte Versöhnung zwischen Deutschland und Polen vor 40 Jahren fast Tag zu Tag angefangen hat. Vor 40 Jahren haben die polnischen Bischöfe ihren Brief, wo sie geschrieben haben, wir bitten um Vergebung, an ihre deutsche Kollegen geschrieben.

    Meurer: Wäre dann eine katholische Kirche - Entschuldigung Herr Byrt - dann nicht genau der richtige Ort für ein Zentrum gegen Vertreibungen?

    Byrt: Ich würde sagen, vielleicht schon. Deshalb habe ich gesagt, man muss es überlegen. Wir können hier nicht sagen, wo man ein Zentrum in Berlin errichten kann oder will. Das ist eine Frage der Debatte der betroffenen Menschen. Wie wir wissen ist Polen gegen eine solche Idee. Auch gestern, als Frau Merkel in Warschau war, haben polnische Politiker, mit denen sie gesprochen hat, ihre Position noch mal dargestellt. Sie hat auch ihre Meinung sehr deutlich präsentiert und ich denke, die beiden Seiten bleiben sowieso im Gespräch und zumindest bis heute stehen ihre Positionen nicht sehr nah.

    Meurer: Wenn Angela Merkel die Bundestagswahl gewinnen sollte, Herr Byrt, und umsetzt, was im Wahlprogramm der Union steht, also den Bund der Vertriebenen darin zu unterstützen, das Zentrum in Berlin zu errichten, was würde das für das Verhältnis Deutschlands zu Polen bedeuten?

    Byrt: Die politische Stellungnahme wurde schon sehr deutlich auf den Tisch gelegt. Ich denke das wird zumindest unter der polnischen Bevölkerung auf Unverständnis stoßen, weil bis heute eine gewisse Angst herrscht, dass die Präsentation unterschiedlicher Informationen einseitig sein wird. Eine solche Meinung wird dadurch begründet, dass es einige solche Zentren, Museen oder Ausstellungen, in Deutschland gibt und alle diese Ausstellungen sind - das ist ganz klar - nicht in entsprechender Verbindung mit der Ursache dieser grausamen Katastrophe dargestellt.

    Meurer: Aber ist dann damit nicht entscheidend, wie diese Ausstellung beschaffen ist? Ist das nicht wichtiger als die Frage, wo die Ausstellung angesiedelt ist?

    Byrt: Natürlich beides. Zuerst ist aber der Inhalt von Bedeutung. Diese inhaltliche Frage ist der Anfangspunkt würde ich sagen zu allen nachfolgenden Debatten. Es wäre - und ich hoffe, dass so etwas geschehen wird - wichtig, dass man zunächst über den Inhalt redet.

    Meurer: Wären Sie also unter bestimmten Bedingungen damit einverstanden, wenn das Zentrum in Berlin errichtet wird?

    Byrt: Wenn Sie mir die Frage stellen, dann ist das anders. Ich verstehe, dass man über die Geschichte seiner eigenen Nation reden muss. Das ist unausweichlich. Das gilt für Deutsche, Polen, Russen oder für jede Nation. Es geht nur darum, in welchem Kontext und in welcher Art die Tatsachen dann dargestellt werden.

    Meurer: Angela Merkel hat ja gestern in Warschau gesagt, dass sie es in einen europäischen Kontext stellen will, also Zentren auch in Sarajevo, in Breslau. Ist das ein akzeptables Kompromissangebot?

    Byrt: In Polen wurde auch diese Version abgelehnt. Polen hat sich an die Idee von Bundeskanzler Schröder angeschlossen, ein Netz unterschiedlicher Museen zu errichten, aber aufgrund der zuerst angefangenen Analysen. Die sind in ihren Anfängen und diese Idee scheint langsam voranzuschreiten. Ich denke das könnte vielleicht eine Verbindung zu den beiden Ideen sein, aber es ist nun abzuwarten, um zu wissen, was für ein Produkt wir aus dieser Debatte bekommen.

    Meurer: Also ganz vehement stemmen Sie sich nicht gegen Berlin?

    Byrt: Persönlich denke ich, dass Berlin als Hauptstadt Deutschlands ein Ort ist, wo man über die Geschichte reden soll. Aber wenn Sie mir diese Frage stellen, würde ich zuerst sagen, Berlin soll zuerst zum Beispiel ein Museum errichten, das zunächst vorgeplant worden war, und zwar "Topographie des Terrors", um - ich wiederhole es - über die Ursachen etwas zu sagen und dann über einige Konsequenzen.

    Meurer: Zwei Wochen nach der Bundestagswahl wird auch in Polen gewählt. Das weiß hierzulande kaum jemand, weil das Interesse an Polen nicht so groß ist in der Öffentlichkeit. Welche Rolle wird diese Frage im Wahlkampf in Polen spielen?

    Byrt: Ich denke, dass das Thema des Zentrums gegen Vertreibung kein Thema im Wahlkampf sein wird. Das ist immer so. Polen wird sich auf unterschiedliche Fragen, die uns beschäftigen, konzentrieren. Das ist die wirtschaftliche Lage, sind Entwicklungsfragen, unsere Position in der EU. Das sind die Hauptthemen des Wahlkampfs in Polen heute.

    Meurer: Das war der polnische Botschafter Andrzej Byrt heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Byrt, besten Dank und auf Wiederhören!

    Byrt: Danke!