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Polen
Verfassungsgericht verschärft Abtreibungsrecht weiter

Polen hat schon jetzt das restriktivste Abtreibungsrecht in der EU: Nun wird dieses Recht noch weiter eingeschränkt. Das polnische Verfassungsgericht urteilte damit ganz im Sinne der rechtskonservativen Regierungspartei PiS. Regierungskritiker wollen nun auf EU-Ebene gegen das Urteil vorgehen.

Von Florian Kellermann | 23.10.2020
Demonstrantinnen der Frauenorganisation Straijk Kobiet
Die Frauenorganisation Straijk Kobiet protestiert gegen die Entscheidung (imago images / ZUMA Wire / Attila Husejnow)
Mit der Entscheidung wird es in Polen weitgehend unmöglich, Schwangerschaftsabbrüche legal vornehmen zu lassen. Denn die meisten der bisher jährlich etwas über 1.000 Eingriffe erfolgten mit der Begründung, dass schwere Schäden am Fötus vorlagen. Erlaubt soll ein Abbruch künftig nur noch sein, wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückgeht oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Nach der Urteilsverkündigung kamen spontan Hunderte empörte Menschen vor das Verfassungsgericht. Eine der Protestierenden erklärte:
"Das betrifft jede von uns. Jede von uns kann erfahren, dass das Kind, auf das sie so lange gewartet hat, unheilbar krank ist. Die Abtreibung zu verbieten, heißt, Frauen zu einem Gegenstand zu degradieren. Uns werden die fundamentalen Menschenrechte abgesprochen. In einem Land, in dem das Leben von Männern wichtiger ist als das von Frauen, gibt es keine Gleichberechtigung."
Eine junge Frau auf einem Steg blickt ins Wasser
Schwangerschaftsabbruch - Ein Tabu und seine Folgen
Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe: Rund 100.000 Mal im Jahr lassen Frauen abtreiben. Die wenigsten sprechen darüber, kaum ein Arzt bekennt sich dazu, denn Abtreibung ist strafbewehrt. Hinter dem Tabu hat sich gefährliches Unwissen angestaut.
Die Versammelten skandierten: "Schande! Die Richter bereiten den Frauen die Hölle."
"Die Frauen werden einfach alleine gelassen"
Hinter dem Urteil steht die rechtskonservative Regierungspartei PiS. Deren führende Politiker haben sich immer wieder für ein schärferes Abtreibungsrecht ausgesprochen. Dennoch änderte die Partei das geltende Recht nicht. Entsprechende Initiativen von konservativen Bürgern verliefen im Sande. Ein Grund dafür war, dass Zigtausende den Protestaufrufen von Frauenorganisationen folgten. Dieser sogenannte "Schwarze Protest" hatte auch deshalb Erfolg, weil eine deutliche Mehrheit der Polen ein schärferes Abtreibungsrecht ablehnt.
Dominika Zarzycka und seine Frau auf dem Podium bei einer Wahlkampfveranstaltung in Warschau.
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Die Stichwahl um das polnische Präsidentenamt im Juli hat der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski denkbar knapp verloren. Den Schwung aus dem Wahlkampf will der 48-Jährige nutzen, um mit einer neuen politischen Bewegung die Opposition zu einen. Doch "Neue Solidarität" stößt auch auf Widerstände.
PiS-Abgeordnete gingen deshalb einen anderen Weg. Sie riefen in der Sache das Verfassungsgericht an. Die Abgeordnete der liberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform" Malgorzata Kidawa-Blonska kommentierte:
"Die Frauen werden einfach alleine gelassen. Ich habe nichts davon gehört, dass die PiS sie unterstützen will, psychologisch, medizinisch oder finanziell. Sie nimmt ihnen einfach nur das Recht ab, über sich zu entscheiden. Und dann verstecken sich diese Feiglinge auch noch hinter dem Verfassungsgericht."
Auf dessen Entscheidungen hat die PiS erheblichen Einfluss. Fast alle Richter wählte das Parlament nach der Regierungsübernahme der Rechtskonservativen. Drei von ihnen waren vorher sogar PiS-Abgeordnete. Die Gerichtspräsidentin ist mit dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski persönlich befreundet.
Konservative Juristen besonders zufrieden
Abtreibungsgegner freuten sich über die Entscheidung. Die Aktivistin Kaja Godek, die seit Jahren für ein komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen kämpft, erklärte gegenüber Journalisten:
"Das Recht auf Leben wurde anerkannt. Es wurde anerkannt, dass es auch für Kinder gilt, die bisher für schlechter gehalten wurden. Polen ist heute ein Beispiel für Europa und für die Welt. Der Schutz des Lebens ist möglich."
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Konservative Juristen zeigten sich besonders zufrieden darüber, dass nun ein Urteil des Verfassungsgerichts vorliegt. So Jerzy Kwasniewski, Anwalt der ultrakonservativen Vereinigung "Ordo Iuris", die ein Rechtsgutachten für die Richter erstellt hatte:
"Jedes Kind, bei dem ein erblicher Defekt vermutet wird, ist geschützt. Und das gemäß der Verfassung. Um das zu ändern, müsste das Parlament die Verfassung ändern. Dazu wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig, und die kommt, wie wir wissen, in Polen nie zustande."
Regierungskritiker wollen nun auf EU-Ebene gegen das Urteil vorgehen. Ein Anhaltspunkt für sie ist, wie die Besetzung des polnischen Verfassungsgerichts zustande gekommen ist. Die PiS hatte mehrere, vor ihrem Regierungsantritt bereits gewählte Richter, ausgebootet. Das sei mit den Rechts-Standards der EU nicht vereinbar, meinen ihre Gegner.