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Polens Papstkult

Auch sieben Jahre nach dem Tod von Johannes Paul II. herrscht in Polen immer noch eine distanzlose Papstverehrung. Nach wie vor werden kritische Stimmen nicht gern gehört. Zu spüren bekam das auch der Jesuitenpater Stanislaw Obirek.

Von Sabine Adler | 14.02.2013
    Ganz gleich, wohin man in Polen kommt, Johannes Paul II ist allgegenwärtig, selbst hier in Wieliczka, dem berühmten Salzbergwerk bei Krakau: In der wohl einzigen unterirdischen Kirche.

    "Man kann sagen, dass die Kapelle die größte unterirdische Kirche der Welt ist. Der Fußboden liegt in einer Tiefe von 100 Metern untertage, dort ist alles aus Salz gemacht: die Wände, die Skulpturen, die Kronleuchter, auch die Treppe."

    Natürlich steht selbst hier ein Papstdenkmal. Aus Salz.

    Kein Ort ohne eine Johannes-Paul-Straße, keine Kirche ohne mindestens ein Foto, gern auch außen über dem Eingang.

    Der polnische Papst wird verehrt wie eine Ikone. Völlig unkritisch und unreflektiert, findet der ehemalige Jesuiten-Pater Stanislaw Obirek, der polnischen Katholiken, die das tun, Götzendienst vorgeworfen hat. Diese deutlichen Worte, gesprochen 2005, kurz nach dem Tod Johannes Paul II in einem Interview für die belgische Zeitung "Le Soir". Sie lösten einen Sturm aus.

    Dem Jesuitenpater wurde ein Maulkorb verpasst: keine Interviews mehr, keine Vorlesungen, nicht im Jesuitenseminar, das er an der Universität Krakau leitete, auch an keiner anderen Hochschule.

    "Das war für mich ein Schockerlebnis. Als Jesuit dachte ich, soll man sprechen, was man denkt. Auch gegenüber dem Papst."

    Man befand sich schließlich nicht mehr im Mittelalter, sondern schrieb das Jahr 2005. Rund 30 Jahre gehörte Stanislaw Obirek da bereits dem Jesuitenorden an. Nun hatte er offenbar nicht nur eine Majestät beleidigt, sondern in den Augen der polnischen Amtskirche Gotteslästerung begangen. Pater Stanislaw studierte und arbeitete viele Jahre in den USA, Australien, Italien und Deutschland, Länder, in denen auch der Papst kritisiert werden darf. Er fühlte sich unverstanden von den heimatlichen Würdentägern, trat aus dem Orden und der Kirche aus.

    "Da war kein Raum um zu atmen."

    Er resignierte, denn seiner Meinung nach verhindert die distanzlose Verehrung jede produktive Auseinandersetzung mit dem Pontifikat von Johannes Paul.

    "Die Kirche war schlecht regiert. Gute Theologen waren ruhiggestellt und nur diese Hoftheologie war promoviert. Das war meine Kritik damals. Ich war als Theologe, Historiker ziemlich optimistisch. Ich dachte, das die katholische Kirche, das Christentum die Fähigkeit hat, sich zu renovieren, sich zu öffnen, einen Dialog mit anderen zu führen, mit anderen Konfessionen, mit Nichtgläubigen zu sprechen."

    Der Ex-Jesuit, ein schmächtiger Mann von 56 Jahren mit großen klugen Augen, erlebt in diesen Tagen ein Déjà-vu. Nach Papst Benedikts Rückzugserklärung in Polen wieder nur ausschließlich positive Wortmeldungen. Der Chefdiplomat Radoslaw Sikorski:

    "Sicher war es für den Nachfolger unseres großen Landsmannes Jan Paul nicht einfach. Aber ich hoffe, dass wir mit dem Nachfolger von Benedikt ebenso gut zusammenarbeiten werden."

    Keine Frage, ein Außenminister muss diplomatisch klingen. Wohl auch der Metropolit von Krakau, Erzbischof Stanislaw Dziwisz.

    "Papst Johannes Paul II hat die Kirche für die Welt geöffnet und die Welt für Kirche. Benedikt hat das geistliche Leben vertieft."

    Josef Ratzinger habe ein regelrechtes Spektakel um das öffentliche Sterben seines Vorgängers hautnah erlebt, erinnert der Ex-Jesuit Obirek. Benedikts Rücktritt zeige, dass Kirche und Papst menschliche Institutionen seien. Aber keine demokratischen.

    "Ich weiß, ich bin nicht naiv. Die Kirche ist hierarchisch. Aber ich erwarte dass die Hierarchie Bischöfe und auch der Papst offene Ohren für andere Stimmen haben, mehr als Demokratisierung erwarte ich Pluralismus. Das ist meine Hauptkritik an Wojtyla. Er wollte ein nicht Despot vielleicht ein Autokrat. Und das finde ich unmöglich. In diesem Sinne war Ratzinger ziemlich ähnlich. Ratzinger als guter Theologe hat den Wojtyla als Volkstribun gute Argumente gegeben. Das war ein sehr gut eingespieltes Team."

    Eine Erneuerung der Kirche von innen hält er für ausgeschlossen. Wahrscheinlich schreitet die Säkularisierung in Polen mit einem Papst, der nicht aus Europa stammt, noch schneller voran, für die kirchlichen Institutionen eher ein Vorteil.

    "Die Säkularisierung ist eine sehr gute Sache für die Kirche. Weil dieses Streben nach Kontrolle, nach Macht, Überwachung von Moralität, Sexualität kann nicht mehr wirken und vielleicht bringt das Neues in die Köpfe der Theologen."

    Der Ex-Pater registrierte die vielen verpassten Chancen in beiden Pontifikaten. Bei Johannes Paul unter anderem die nicht erfolgte Aufarbeitung der Kollaboration der polnischen Kirche mit den Kommunisten.

    "Von außen gesehen waren das zwei Feinde. Das waren zwei autoritäre Organisationen, die wollten Leute kontrollieren. Und solche Leute wie ich sind nicht Partner, sie wollen uns nicht hören. Aber ich werde nicht in einen Wettbewerb mit ihnen treten."

    Als Benedikt XVI. 2006 auf seiner ersten Auslandsreise Polen und Auschwitz besuchte, hoffte der kritische Jesuitenpater, dass die katholische Kirche endlich ihre Rolle im Dritten Reich hinterfragt und in Polen die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus beginnt. Fehlanzeige.

    "Das ist wie ein Tabu. Auf Seiten der Kirche haben wir nur ganz leise Stimmen. Und da komme ich zurück zur Säkularisierung. Wenn die Kirche als Institution weniger Gläubige haben wird, wenn die viele Arbeit mit täglichen Sakramenten nicht mehr da ist, dann kommen vielleicht die historischen Fragen. Der große polnische Heilige Maximilian Kolbe hat in den 30er Jahren eine sehr antisemitische Zeitung herausgegeben, nicht sehr weit vom ‚Stürmer’."

    Stanislaw Obirek lehrt und forscht seit Jahren zum Thema Holocaust. Inzwischen ist der ehemalige Jesuit sogar verheiratete.