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Polenz fordert Wiederholung der ägyptischen Parlamentswahlen

Für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), ist entscheidend, dass es einen geordneten Übergang mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ägypten gibt - und es nicht nur bei Präsidenten-Neuwahlen bleibt.

11.02.2011
    Jürgen Liminski: Wut und Enttäuschung herrschten gestern Abend in Kairo vor. – Mitgehört hat Ruprecht Polenz, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz.

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Polenz, sind Sie auch enttäuscht?

    Polenz: Ja, denn der Weg in einen geordneten Übergang wird jetzt natürlich viel schwieriger und man muss jetzt mit großer Spannung heute nach Ägypten schauen, wenn große Demonstrationen angekündigt sind, sicherlich auch stattfinden werden, ob es weiter friedlich bleibt, ob sich das Militär weiter zurückhält und die Demonstranten, die ja friedlich demonstrieren wollen, das auch tun lässt.

    Liminski: Kann man nicht auch erleichtert sein, weil der Übergang zur Demokratie geordnet und vor allem bislang jedenfalls ohne Blutvergießen vonstattengeht?

    Polenz: Ja. Bislang sieht man nur relativ wenig Übergang, und das ist wohl auch der Punkt, weshalb die Demonstranten immer ungeduldiger werden. Sie hören Ankündigungen, sie sehen, dass Mubarak zwar Kommissionen eingesetzt hat, aber sie sehen nicht, dass die Opposition an diesem Übergang in irgendeiner Form beteiligt ist. Das ist die große Schwäche des bisherigen Prozesses, und Suleiman hat aus meiner Sicht auch an Glaubwürdigkeit in den Augen der Demonstranten verloren. Wenn er gestern Abend nach der Mubarak-Rede doch relativ weltfremd sagt, jetzt geht nach Hause, das Volk braucht euch wieder an der Arbeit, das zeugt ja nicht gerade von einem Gefühl für die Stimmung der Demonstranten.

    Liminski: Steht der Showdown in Kairo also noch bevor? Es kann ja durchaus sein, dass der neue starke Mann, Suleiman, die Lage nutzt, um die Straße wenigstens versuchen zu beruhigen und gleichzeitig einen Schlag gegen die Muslimbrüder oder andere vorbereitet.

    Polenz: Nun, entscheidend ist doch, dass es jetzt einen geordneten Übergang Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt. Die Armee kann die Kraft sein, die diesen Übergang begleitet, weil sie für Ruhe und Ordnung im Land sorgen kann. Dann müssen aber jetzt auch nicht nur Schritte angekündigt, sondern konkret gegangen werden, und das ist die Frage, ob Suleiman dazu bereit und in der Lage ist. Bisher hat es eben nur Ankündigungen gegeben. Ich glaube, ohne eine Übergangsregierung neben der Armee, die für diesen Übergang sorgt und in der auch alle oppositionellen Kräfte beteiligt sein müssen, würde sich ein solcher Übergang nicht bewerkstelligen lassen. Ich glaube, das ist auch der Punkt, den die Demonstranten so sehen.

    Liminski: Kann es denn in Ägypten eine Demokratie nach europäischen Vorstellungen geben, mit Gewaltenteilung, Pressefreiheit, Volkssouveränität, Menschenrechten?

    Polenz: Also das wird sich im Laufe des Prozesses, dieses revolutionären Umwälzungsprozesses herausstellen. Wir haben in Ägypten eine vergleichsweise hoch entwickelte Justiz, die bei aller Abhängigkeit auch vom Regime durchaus ihre eigenen Traditionen hat. Die kann sich weiter zu einer unabhängigen Justiz entwickeln. Wir sehen, dass es verschiedene Strömungen in der ägyptischen Bevölkerung gibt. Die säkularen Kräfte müssen sich noch organisieren und es ist aus meiner Sicht völlig natürlich, dass sich die Opposition nicht in allem einig ist, das ist sie bei uns in Deutschland auch nicht, und es kommt jetzt darauf an, die Foren zu bilden, dass sich die verschiedenen Meinungen auch frei artikulieren können und dass dann letztlich die ägyptische Bevölkerung in freien Parlamentswahlen – denn auch die müssten wegen der massiven Fälschungen im November wiederholt werden, nicht nur die Präsidentenwahl muss fair und frei sein, wir brauchen, denke ich, wenn es einen friedlichen Übergang geben soll, auch eine Wiederholung der Parlamentswahlen.

    Liminski: Washington bezieht mehr oder weniger deutlich Stellung für die Protestbewegung. Auch Bundesaußenminister Westerwelle hat Stellung bezogen. Hören wir uns das mal an.

    O-Ton Guido Westerwelle: Diese Rede von Präsident Mubarak hat keine neuen Perspektiven aufgezeigt. Sie war nicht der erhoffte Schritt nach vorne. Ich fürchte, dass diese Rede keine befriedende Wirkung in Ägypten entfalten kann, und die Sorgen der internationalen Staatengemeinschaft, auch die Sorgen der Bundesregierung, sind nach dieser Rede eher größer und nicht kleiner geworden.

    Liminski: Herr Polenz, stimmen Sie zu? Wie soll sich Europa nun verhalten?

    Polenz: Ja, ich stimme in jedem Fall zu. Die Sorgen werden größer. Ich sagte ja auch, der Übergang erscheint jetzt schwieriger und Europa muss weiter deutlich machen, wir stehen, wir teilen die Forderungen derer, die mehr Freiheit, mehr Demokratie, die faire Wahlen wollen, ein Ende der Korruption. Das sind auch unsere Werte. Es ist selbstverständlich, dass wir für diese Werte einstehen. Die Frage ist eben nur, was kann man jetzt konkret in dieser Situation tun, und es war ja interessant, dass Mubarak in seiner Rede auch deutlich gemacht hat, es wird Druck auf ihn ausgeübt, auch aus dem Ausland, dem wolle er widerstehen, deshalb bleibt er im Amt. Also ich denke, die Amerikaner, die Europäer müssen weiter deutlich machen, es braucht einen glaubwürdigen Wandel, der muss jetzt glaubwürdig eingeschlagen werden, und glaubwürdig heißt vor allen Dingen glaubwürdig in den Augen der Ägypter. Und das, was gestern Abend passiert ist, hat in den Augen der Ägypter – das konnte man an den erhobenen Schuhen auf dem Tahrir-Platz sehen – alles andere als glaubwürdig gewirkt.

    Liminski: Wie kann denn nun die EU Druck ausüben, ganz konkret, sodass die Protest- und Demokratiebewegung nicht ins Leere läuft?

    Polenz: Wir müssen ganz deutlich machen, dass natürlich unsere Hilfe, die Ägypten in jedem Falle auch weiter brauchen wird, dass die sehr davon abhängt, wie der weitere Prozess verläuft, dass ein Ägypten, was jetzt etwa mit Gewalt zu den alten Verhältnissen zurückkehren wollte, dass ein Ägypten, wo es jetzt großes Blutvergießen gäbe, natürlich mit dieser Unterstützung so nicht rechnen könnte, dass dann alles auf den Prüfstand müsste. Das ist die erste Position, ganz klar machen, es muss friedlich bleiben, das Militär muss Demonstrationsfreiheit mit gewährleisten und darf sie nicht gewaltsam unterdrücken, solange die Demonstranten friedlich demonstrieren.

    Liminski: Also Drohen mit dem Entzug der Entwicklungshilfe?

    Polenz: Nein. Es gibt ja viele Möglichkeiten. Die Amerikaner haben eine sehr enge militärische Zusammenarbeit, sie kennen die Armee, sie können natürlich auch der Armee signalisieren, was sie erwarten und wie sich die Armee verhalten soll. Bisher hat sie sich ja auch so verhalten und die Sorge, die wir heute, am Freitag, haben müssen, ist ja, dass der Präsidentenpalast, der eben von der Präsidentengarde bewacht wird und nicht von der normalen Armee, dass es dort zu Eskalationen kommen könnte. Also wir müssen heute sicherlich sehr hoffen, dass der Tag friedlich bleibt, es wird mit Millionen Demonstranten gerechnet, und ich hoffe, dass dann das Militär auch sieht, dass das, was gestern Abend übers Fernsehen gesagt wurde, nicht ausgereicht hat, um das Vertrauen der Demonstranten zu gewinnen, und dass neue Schritte erforderlich sind, wenn es einen geordneten Übergang geben soll. Und dass Ägypten ins Chaos fällt, das kann auch die Armee nicht wollen.

    Liminski: Werden Sie und einige Kollegen demnächst nach Kairo reisen und politische Gespräche führen, um durch Ihre Präsenz Druck auszuüben?

    Polenz: Sobald sich das machen lässt, wird das sicherlich der Fall sein. Im Augenblick ist es allerdings noch so, dass die deutsche Botschaft, die ja einen solchen Besuch auch vorbereiten müsste, alle Hände voll zu tun hat mit den Deutschen, die im Land sind, denen zu helfen. Deshalb, glaube ich, ist es klug, wenn wir als Abgeordnete diese Phase abwarten. Aber ich denke, sobald sich die Lage so darstellt, dass solche Besuche Sinn machen, auch als Signal, wie Sie es gesagt haben, werden solche Besuche stattfinden. Ich selber überlege das auch.

    Liminski: Mubarak bleibt im Amt, Enttäuschung in Kairo, die Position der Europäer. Das war eine erste politische Einschätzung von Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss. Besten Dank für das Gespräch, Herr Polenz.

    Polenz: Bitte schön, Herr Liminski!

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