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Polenz: NGOs stärken in Ägypten Demokratie und Rechtsstaat

Gestern Abend haben ägyptische Sicherheitskräfte die Büros mehrerer NGOs in Kairo durchsucht, darunter auch die Räume der Konrad-Adenauer-Stiftung. Als Reaktion müsse der Druck auf den Militärrat erhöht werden, meint der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Auch die ägyptische Bevölkerung erwarte die Solidarität der Weltöffentlichkeit

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Anne Raith | 30.12.2011
    Anne Raith: Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, den CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Einen schönen guten Morgen!

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Herr Polenz, offiziell, wir haben es gehört, ist unter anderem von illegaler Finanzierung die Rede, von Lizenzfragen, in ersten Reaktionen allerdings von Schikane und Einschüchterung. Wie schätzen Sie die Durchsuchungen ein?

    Polenz: Nun, mich hat auch sehr alarmiert, dass etwa auch die Konrad-Adenauer-Stiftung bei den Organisationen war, die durchsucht worden ist. Ich war gerade vor einem halben Jahr in Kairo, habe dort auch den Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung, auch die Vertreter anderer politischer Stiftungen aus Deutschland getroffen. Sie machen eine sehr gute Arbeit, stärken Demokratie und Rechtsstaat, helfen mit beim Aufbau der Zivilgesellschaft in Ägypten, und ich hatte den Eindruck, dass ihre Arbeit höchst willkommen ist. Aber ich sehe jetzt natürlich einen Zusammenhang mit dem brutalen Vorgehen des Militärs und der Polizei gegen die Demonstranten, und die NGOs haben natürlich auch mit dafür gesorgt, dass dieses Vorgehen weltweit bemerkt worden ist.

    Raith: Was folgern Sie daraus – dass es also nicht nur ein Einzelfall ist, sondern gewissermaßen eine rote Linie, die sich nun doch durch die ägyptische Politik zieht?

    Polenz: Ich bin seit Langem besorgt darüber, dass sich im Grunde in Ägypten nicht viel geändert hat seit dem Sturz Mubaraks, was die Herrschaftsverhältnisse angeht. Das Militär hat die Zügel fest in der Hand, es ist Herr des Verfahrens, eines sogenannten Übergangs. Die Wahlen werden vom Militär vorbereitet, gesteuert, auch jetzt, wenn das Parlament gewählt worden ist, wird es keine Regierung bilden dürfen, die wird weiter vom Militär eingesetzt, das Militärrecht ist weiter in Kraft, die Militärjustiz verurteilt Demonstranten, die werden nicht vor zivile Gerichte gestellt – also im Grunde ist Ägypten eine Militärherrschaft, und das muss auch deutlich so benannt werden.

    Raith: Deutschland hat die Umbrüche in der arabischen Welt, in Ägypten ja auch zuerst zurückhaltend, dann aber doch kontinuierlich begleitet und auch unterstützt. Hat man die Vorgänge dabei vielleicht auch unterschätzt?

    Polenz: Nein, das denke ich nicht. Wir haben und drängen ja auch darauf, dass die Transformationsprozesse weitergehen, dass das Militär die Herrschaftsgewalt an zivile Kräfte übergibt, und das Militär sagt das auch zu. Fachleute sagen auch, das ägyptische Militär sei nicht wie eine lateinamerikanische Junta der 70er-, 80er-Jahre, die das Land selber regieren wolle, sondern würde sich auch wieder von der Macht zurückziehen. Nur im Augenblick erkenne ich noch nicht, wie das passieren soll, und deshalb ist internationaler Druck erforderlich und auch hohe internationale Aufmerksamkeit. Und die Nichtregierungsorganisationen, die jetzt unter Druck gesetzt werden sollen, sind ein Teil dieser internationalen Aufmerksamkeit. Deshalb müssen wir sie schützen.

    Raith: Sie hegen selber Zweifel. Reicht es da, wenn Deutschland, wenn Außenminister Westerwelle den ägyptischen Botschafter einbestellt? Welche Möglichkeit hat Deutschland überhaupt, Druck auszuüben?

    Polenz: Wir sind ja nicht alleine, es ist die Europäische Union in Ägypten engagiert, Ägypten ist ein großer Partner, ein wichtiger Partner deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Also wir haben schon Möglichkeiten, und Ägypten hat natürlich auch ein Interesse an guten Beziehungen zu Deutschland. Also wir haben Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, und ich finde es richtig, dass der Außenminister hier nicht gezögert hat und heute den ägyptischen Botschafter einbestellt, um ihm die Besorgnis und auch die Kritik der Bundesregierung mit auf den Weg nach Kairo zu geben.

    Raith: Auch die USA wollen ja jetzt Druck ausüben und setzen die Militärhilfen an Ägypten aufs Spiel. Ist das der Druck, den die USA einsetzen sollten, oder könnte, salopp gesagt, dieser Schuss auch nach hinten losgehen?

    Polenz: Na, es ist so, dass das Militär sicherlich seit Langem auch besondere Beziehungen zu den USA hat, da gibt es Ausbildungshilfe, da gibt es finanzielle Hilfen, und dieser Hebel wird schon gespürt werden. Und die USA wissen natürlich auch, dass diese guten Beziehungen, die man zum ägyptischen Militär hat, jetzt auch eine besondere Verantwortung bedeuten, nämlich die Verantwortung, Einfluss zu nehmen. Insofern finde ich es richtig, dass auch die Amerikaner diesen Hebel nutzen, um dem ägyptischen Militär klarzumachen: Also dieser Kurs wird nicht so hingenommen ohne Reaktion.

    Raith: Glauben Sie denn, der Militärrat wird sich davon beeindrucken lassen?

    Polenz: Das Militär hat natürlich eigene Interessen im Land. Es hat Privilegien, was das eigene Budget, das Verteidigungsbudget angeht, aber auch ökonomische Privilegien, auch ökonomische Interessen. Das Militär ist ein großer Wirtschaftsfaktor in Ägypten, ihm gehören Unternehmen und Ähnliches, und die möchte es gerne behalten. Es hat ja auch den Versuch gegeben, durch ein Dekret, das der Militärrat erlassen hat, diese Privilegien praktisch vorkonstitutionell, also über die Verfassung zu sichern. Das ist aber zunächst einmal abgewehrt, und man muss jetzt sehen, wie dieser Machtkampf ausgeht. Es wird nicht einfach werden, das glaube ich schon, aber Ägypten ist ja gerade mitten in Parlamentswahlen, und wir werden dann sehen, wie das neu gebildete Parlament seine Position gegenüber dem Militär findet und durchsetzt.

    Raith: Was glauben Sie, welche Auswirkungen könnte der Druck, den das Ausland auf das Militär ausübt, wiederum auf die Aktivisten, auf die Menschenrechtler, die Demonstranten haben?

    Polenz: Ich glaube, die Menschen erwarten schon eine Solidarität, eine Anteilnahme, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, das ist der beste Schutz, den sie von außen bekommen können. Wir müssen natürlich auch deutlich machen, dass eine, ich sage mal, darüber hinausgehende Hilfe etwa im Sinne von Intervention oder so nicht zur Debatte steht, das will auch in Ägypten niemand. Wichtig ist ja auch, dass man sich nicht dem Vorwurf aussetzt, man sei vom Ausland ferngesteuert, also insofern ist das auch eine Gratwanderung für die europäische, die deutsche, die amerikanische Politik. Aber das heißt nicht, nur weil es ein Grat ist, müsse man gar nicht losgehen, sondern könne stehenbleiben.

    Raith: Sie hören die "Informationen am Morgen", wir sprechen mit dem CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Herr Polenz, verabredet sind wir, um auch über ein weiteres Konfliktfeld, eine weitere Gratwanderung zu sprechen, über die Piraterie vor der Küste Somalias und die Mission Atalanta. Die soll für die Sicherheit auf See sorgen, für humanitäre Hilfslieferungen der UNO in erster Linie, und nun unter Umständen ausgeweitet werden auf die, wie es heißt, Zerstörung von Piraterielogistik am Strand. Dass sich etwas ändern muss im Kampf gegen die Piraterie, da scheint man sich einig. Könnte es also sinnvoll sein, die Mission auch aufs Land auszuweiten?

    Polenz: Das wird jetzt von der Europäischen Union geprüft. Ich denke, wir sollten als deutsche Parlamentarier diese Prüfung abwarten, denn eins ist klar: Wenn man zu dem Ergebnis käme, jetzt vonseiten der Europäischen Union, der Bundesregierung, man wolle auch an Land Ziele bekämpfen, dann müsste das Atalanta-Mandat ausgeweitet werden. Der Bundestag würde darüber debattieren und entscheiden müssen. Aber ich halte es für richtig, zunächst einmal diese Willensbildung innerhalb der Europäischen Union zu verfolgen, sicherlich auch schon zu kommentieren. Ich denke, es ist grundsätzlich nicht verkeh1rt zu schauen, dass man die Piraterie auch an der Wurzel bekämpft, und wenn wichtige logistische Einrichtungen am Land sind und man kann die gut identifizieren, dann spricht vieles dafür, dagegen auch vorzugehen. Auf der anderen Seite weiß aber jeder aus der langen Geschichte mit Somalia – seit den 90er-Jahren ist das ja im Grunde ein zerfallener, ja, ein kaputter Staat im Grunde mit einer ganz schwachen Regierung, die das Land nicht wirklich im Griff hat –, dass man sich an Land leicht, wenn man tatsächlich auch mit Bodentruppen an Land gehen würde, in eine sehr gefährliche und unübersichtliche Situation bringen könnte. Also man muss sich das genau anschauen. Aber wenn ich sehe, dass einige jetzt gleich sagen, das kommt überhaupt nicht infrage, finde ich eine solche Erklärung verfrüht.

    Raith: Aber wer definiert dann diese Linie, sich vielleicht nicht in einen Konflikt einbeziehen zu lassen? Wer definiert, wie breit der Strand ist, an dem man dann Piraterielogistik …

    Polenz: Gut, das wäre dann genau Auftrag der Bundesregierung, ein präzises, neues Mandat zu formulieren und einen entsprechenden Antrag dem Bundestag vorzulegen. Das wird dann auch sicherlich intensive Diskussionen geben, denn das Zustimmungserfordernis des Bundestages zu einer solchen Mandatserweiterung bedeutet ja, dass wir als Abgeordnete auch die Risiken abschätzen sollen, die mit einem solchen Mandat verbunden sind. Und das wird sicherlich intensive Diskussionen geben. Ich halte es nur nicht für richtig, jetzt von vornherein zu sagen, das kommt überhaupt nicht in Frage, denn eins ist auch richtig: Die Pirateriebekämpfung zur See hat bisher zwar zu Erfolgen geführt, aber eben noch nicht zu den durchschlagenden Erfolgen, dass sie dauerhaft besiegt worden wäre.

    Raith: Aber könnte das nicht ein Dammbruch sein? Die Handlungsmöglichkeiten sind ja nach und nach ausgedehnt, das Mandat nach und nach ausgedehnt worden. Was bedeutet das, wenn man erst einmal einen Fuß an Land hat?

    Polenz: Auch über diese Frage wird man sprechen, und niemand will natürlich auf eine abschüssige Bahn geraten. Wichtig ist auch die Frage: Wer würde sich beteiligen, wie sehen die rechtlichen Grundlagen aus? Ich habe gelesen, dass die somalische Regierung mit einer solchen Ausdehnung des Mandats einverstanden wäre. Es sind aber auch die Vereinten Nationen involviert gewesen bei der Ersterteilung des Mandats, ich glaube, dass man sie jetzt auch wieder beteiligen müsste. Wir haben auf See eine sehr breite Allianz, ich glaube, von China bis zur NATO, bis zu NATO-Partnern sind viele Länder daran beteiligt. Da ist auch die Frage: Wer beteiligt sich dann an einer entsprechend erweiterten Mission? Da sind noch viele offene Fragen, die, denke ich, müssen geklärt werden, ehe man zu einer Entscheidung etwa im Deutschen Bundestag käme.

    Raith: Sagt der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz über die etwaige Ausweitung der Atalanta-Mission vor der Küste Somalias. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Polenz: Bitte schön, Frau Raith!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.