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Polenz zur Syrien-Konferenz in Wien
"Ich bin nicht optimistisch, dass wir morgen ein Ergebnis haben"

Hunderttausende Tote, Millionen Flüchtlinge und kein Ende der Gewalt: Es sei richtig zu versuchen, den Konflikt in Syrien auch in Gesprächen mit dem Iran zu beenden, sagte der CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker Ruprecht Polenz im Deutschlandfunk. Denn es gebe neben dem Bürgerkrieg auch einen Stellvertreterkrieg - und eine weitere Konfliktebene.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 29.10.2015
    Ruprecht Polenz
    Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz hat sich im Deutschlandfunk vor den Gesprächen in Wien über ein Ende des Syrienkrieges verhalten optimistisch geäußert. (Imago/Reiner Zensen)
    Wer am Verhandlungstisch sitze, müsse drei Ebenen im Blick haben: Die Kämpfe in Syrien zwischen ethnischen Gruppen und der Regierungsarmee, den Stellvertreterkrieg der Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien, Türkei und Katar sowie die Interventionen der Wirtschaftsmächte wie USA, China und Russland. Laut Polenz ist die zentrale Frage, wie ein politischer Übergangsprozess hin zu einer Regierung gestaltet werden könne, an der die Opposition und die Assad-Regierung beteiligt seien. "Das weiß auch der Westen, dass die Oppositionsgruppen nicht von jetzt auf gleich in der Lage wären, Sicherheit und Ordnung herzustellen", sagte der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages im DLF. "Dazu sind sie selber auch untereinander zu zerstritten."
    Der Krieg könne nur zwischen den kriegsführenden Parteien beendet werden - und auch nur durch Gespräche, sagte Polenz, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde ist. "Wann ist man bereit, von einem Konflikt abzulassen und sich auf eine Friedensregelung einzulassen? Wenn man durch eine Fortsetzung des Krieges nichts mehr erreichen kann."
    Der eigentliche Fortschritt sei, dass es überhaupt zu den Gesprächen in Wien kommt. "Ich bin jetzt nicht optimistisch, dass wir morgen ein Ergebnis haben, aber ich muss schon sagen, ich sehe jedenfalls, dass man jetzt den richtigen Weg versucht. Ob es beim ersten Anlauf klappt, weiß ich nicht, aber dann wird man irgendwann später wieder an dem Punkt sein, über den wir heute reden."

    Das Interview mit Ruprecht Polenz in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Hunderttausende Tote, Millionen von Flüchtlingen und kein Ende der Gewalt in Sicht. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien sind alle Versuche gescheitert, den Konflikt einzudämmen, geschweige denn ihn zu beenden. Im Gegenteil: Im fünften Jahr, in dem Assad Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, steht die ganze Region in Flammen. In dieser verfahrenen Situation wollen die USA und der Westen jetzt offenbar neue Wege einschlagen, neue Wege versuchen und zum ersten Mal überhaupt den Iran bei den Syrien-Verhandlungen einbinden, die in Wien stattfinden. Damit akzeptiert Washington den neben Russland wohl wichtigsten Verbündeten von Assad am Verhandlungstisch.
    Kann ein Ende des Syrien-Krieges damit ein Stückchen weit näher rücken? Darüber können wir in den nächsten Minuten mit dem CDU-Politiker Ruprecht Polenz sprechen, lange Jahre Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Schönen guten Morgen.
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Die Einbeziehung des Iran bei den Verhandlungen in Wien, für Sie ein Anlass zur Hoffnung?
    Auch ein Stellvertreterkrieg
    Polenz: Ich halte es auf alle Fälle für richtig, denn wenn man einen Frieden schließen muss und schließen will, dann muss man sehen, dass er zwischen den kriegsführenden Parteien geschlossen wird, und es führen ja nicht nur in Syrien die verschiedenen Gruppen von Syrern gegeneinander Krieg, sondern es ist ja auch ein Stellvertreterkrieg insbesondere zwischen Saudi-Arabien und Iran, und deshalb ist es richtig, dass beide mit am Tisch sitzen.
    Barenberg: Sie sagen, richtig, und das interpretiere ich so, dass das für Sie noch lange kein Anzeichen dafür ist, dass es einen Schritt vorangehen könnte bei der Suche nach der Lösung?
    Polenz: Wenn man den Frieden durch Verhandlungen herbeiführen will, ist das der richtige Weg, und es ist ein Fortschritt, dass es zu diesen Verhandlungen kommt, zu diesem Zusammentreffen, würde ich zunächst einmal sagen. Wir hatten ja ein Vorgängertreffen von vier Staaten. Das waren die USA, Russland, die Türkei und Saudi-Arabien. Das ist zunächst einmal ohne Ergebnis, ohne greifbares Ergebnis, wie es dann in den Medien hieß, zu Ende gegangen vor kurzem. Das ist jetzt erweitert. Man darf jetzt nicht erwarten, dass morgen der Krieg deshalb zu Ende geht, aber es ist der Weg, den man beschreiten muss, denn man braucht alle am Konflikt beteiligten, um sich zu verständigen, wie man ihn beenden will, und der Iran ist nun mal massiv an dem Konflikt beteiligt: einmal selbst durch eigene Streitkräfte, die in Syrien kämpfen, aber auch durch die Hisbollah, die ja schon seit langem auf der Seite von Assad kämpft und ohne die Assad wahrscheinlich gar nicht mehr an der Macht wäre.
    Barenberg: Sie sagen es: Teheran macht ja gar keinen Hehl daraus, dass das Land Militärberater nach Syrien geschickt hat. Außerdem gibt es die libanesische Hisbollah-Miliz, die an der Seite des Regimes kämpft. Was kann man denn dann von Iran erwarten, wenn es um eine konstruktive Rolle geht?
    IS-Terror indirekt mitbefördert
    Polenz: Wann ist man bereit, von einem Konflikt abzulassen und sich auf eine Friedensregelung einzulassen? Wenn man durch eine Fortsetzung des Krieges nichts mehr erreichen kann. - Wir haben eine Situation, Sie haben die schrecklichen Daten dieses Krieges genannt: 250.000 Tote, Millionen von Flüchtlingen, Hunderttausende von Verwundeten und Syrien am Boden, zurückgebombt in was weiß ich die 50er-Jahre, oder noch weiter davor. Das wird man dann irgendwann später noch mal beziffern, wenn es um den Wiederaufbau dieses Landes geht. Aber wie gesagt: So weit ist man noch nicht und der Iran und Saudi-Arabien haben eine Entwicklung, die sie beide nicht wollen, in der Zeit auch mitbefördert indirekt. Das ist der Islamische Staat und der liegt quer zu allem, was wir in der Region sehen, auch quer zu den Interessen von Saudi-Arabien und Iran, und es zeigt sich, dass jetzt auch die russischen Luftangriffe ihn nicht haben entscheidend schwächen können, und man wird, denke ich, auch darüber sprechen, wie man diese Gefahr einschätzt, und manchmal ist ja ein gemeinsamer Feind auch eine Möglichkeit, sich in anderen Fragen zu verständigen.
    Barenberg: Das heißt, Sie sehen Russland und den Iran, die beiden größten Unterstützer Assads, bereits an diesem Punkt, den Sie beschrieben haben, an dem Punkt, dass sich beide überlegen müssen, ob die Kosten inzwischen viel größer sind als der Nutzen eines weiteren Krieges, weiterer Gewalt?
    Polenz: Wir haben ja gelegentlich mal gehört von den Amerikanern, was ein Tag Lufteinsatz kostet. Ich habe die Zahl jetzt nicht griffbereit, man kann es googeln. Es ist sehr, sehr viel Geld und das muss Russland jetzt auch auf den Tisch legen. Der Krieg kostet Russland viel Geld jeden Tag und die Erfolge sind so, dass Putin jetzt wohl erstmals auch eingeräumt hat, so richtig ginge es nicht voran gegen IS. Das sind für mich auch Indizien, dass auch Russland merkt, was die Amerikaner ja auch einräumen mussten, dass sie allein mit ihren Luftangriffen IS nicht entscheidend schwächen konnten, und darüber wird, denke ich, in dieser Runde auch gesprochen werden, denn da sind sich nun alle einig, dass man dieser Bedrohung auch anders entgegentreten muss, als das bisher der Fall gewesen ist.
    Barenberg: Wenn wir ein wenig optimistisch bleiben wollen, dann stellt sich doch die Frage, wenn es jetzt Gespräche in Wien gibt und die möglicherweise in nächster Zeit ja auch fortgesetzt werden und intensiviert werden: Was wären denn erste vorsichtige Schritte in die richtige Richtung aus Ihrer Sicht?
    Drei Konfliktebenen
    Polenz: Ja man hat natürlich noch viele Punkte, in denen man massiv unterschiedlicher Meinung ist. Wenn man den Konflikt analysiert, müssen ja drei Konfliktebenen bearbeitet werden. Das ist einmal die innersyrische, also die Kämpfe, die in Syrien zwischen verschiedenen Ethnien und Gruppen, Oppositionsgruppen, Regierung, Armee stattfinden, das zweite der Stellvertreterkrieg zwischen Regionalmächten wie Iran und Saudi-Arabien, aber auch die Türkei ist in gewisser Weise involviert und Katar, und dann spielt der Konflikt ja nun nicht in der äußeren Mongolei, sondern eben in der Region, wo die Welt doch sehr abhängig ist wegen der Energieressourcen, die dort liegen, und deshalb sind auch Mächte wie Russland, USA, auch China irgendwie involviert. Alle diese drei Ebenen müssen bearbeitet werden und ein Streitpunkt war immer und wird auch wieder sein die Frage, was wird aus Assad, wie weit kann er noch für einen Übergang mit dabei sein. Dass er auf Dauer Syrien nicht regieren kann, da gibt es auch Signale, die man aus Russland und Teheran hört, auf die man sich wohl verständigen kann. Aber es gibt eben auch syrische Oppositionsgruppen, die kämpfen, die sagen, mit Assad setzen wir uns gar nicht erst an einen Tisch.
    Barenberg: Aber, Herr Polenz, den Iran und Russland am Verhandlungstisch akzeptieren heißt auch die Chancen erhöhen, dass Assad für eine Weile noch das Zepter in der Hand halten wird?
    Polenz: Ja, das ist sicherlich richtig. Die Frage wird sein, wie kommt man von hier nach da, wie geht ein politischer Übergangsprozess zu einer syrischen Regierung, in der auch Opposition vertreten ist, welche Opposition, in der auch das alte Regime vertreten ist, mit welchen Personen, mit welchen Kräften. Man weiß natürlich auch und das weiß auch der Westen, dass die Oppositionsgruppen nicht von jetzt auf gleich in der Lage wären, Sicherheit und Ordnung herzustellen. Dazu sind sie selber auch untereinander zu zerstritten. Die Situation ist schon außerordentlich verfahren und wenn man schaut, wie ein solcher Bürgerkrieg beendet werden kann, muss man vielleicht noch mal schauen, wie das vor 30 Jahren beim Libanon gelungen ist. Das waren auch komplizierte Verhandlungen nach einem langen, blutigen Bürgerkrieg und letztlich hat man es dann auch mit Verhandlungen geschafft, und das muss eigentlich auch der Weg sein. Die deutsche Diplomatie hat übrigens lange auch auf ein solches Treffen hingearbeitet. Steinmeier ist ja auch mit dabei, wenn es heute in Wien zu diesen Verhandlungen kommt. Also ich bin jetzt nicht optimistisch, dass wir morgen ein Ergebnis haben, aber ich muss schon sagen, ich sehe jedenfalls, dass man jetzt den richtigen Weg versucht. Ob es beim ersten Anlauf klappt, weiß ich nicht, aber dann wird man irgendwann später wieder an dem Punkt sein, über den wir heute reden.
    Barenberg: ... sagt der Außen- und Sicherheitspolitiker Ruprecht Polenz hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
    Polenz: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.