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Polit-Cowboys am Protestbahnhof

"Metropolis/ The Monkey Wrench Gang", so heißt Volker Löschs Bühnenumsetzung von Fritz Langs mythisch aufgeladenem Filmepos "Metropolis". Allerdings steht nun der Kampf gegen Stuttgart 21 im Vordergrund - hauptsächlich geführt von skurril wirkenden Öko-Terroristen.

Von Christian Gampert | 23.05.2011
    Ach, Stuttgart, du liebliche Stadt! Wo drunten der Neckar trübe fließet, und auf halber Höhe, weinbergumkränzt, der Wutbürger logiert in prächtigem Einfamilienhaus! In Stuttgart kommt man stets wohlig belehrt aus dem Staatstheater hinaus, besonders, wenn Volker Lösch zu edlem Chorgesange lädt. Lösch hat sich im Kampf um den Stuttgarter Hauptbahnhof stark engagiert; in diesem Konflikt sind sehr real Demonstranten schwer verletzt worden, und trotz Schlichtung und Regierungswechsels ist völlig unklar, wie es weitergeht. Das verführt Lösch nun dazu, den unsinnigen Neubau des Bahnhofs mit dem Turmbau zu Babel zu verwechseln und Stuttgart mit "Metropolis"; unter Missbrauch dieses Fritz-Lang-Titels hat er einen Abend zusammengestoppelt, der paradigmatisch seine Unfähigkeit zeigt, theatral auf politische Bewegungen einzugehen und für sie eine Form, eine Ästhetik zu erfinden. Die Anti-Stuttgart-21-Aktivisten, die Löschs antikisierenden Stoßtrupp mimen, sind die eigentlichen Leidtragenden des ganzen Projekts.

    "Oh Metropolis! Metropolis! Maschine, die du bist im Himmel! Sei uns geheilig! Maschine, dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden..."

    Dieser Bürger-Chor, der abwechselnd Bildnisse von Heiner Geißler, Stefan Mappus, Angela Merkel oder Bahnchef Grube auf dem Haupte trägt, demonstriert uns zweierlei: dass Fritz Langs 20er-Jahre-Science-Fiction, die den Moloch Stadt noch ganz im Klassenkampf sieht und den Gegensatz von Ausbeutern und Proletariat, von Hirn und Hand mit einem "Mittler" lösen will, heute ziemlich bieder wirkt, wenn man das Ganze als Sprechgesang konzipiert – die Verhältnisse sind strukturell doch etwas komplizierter geworden. Und zweitens, was noch schlimmer ist: wenn man authentische Stuttgart-21-Selbstbetroffenheits-Darsteller politische Vorschläge machen lässt, dann sind sie auf der Bühne eben nur herzige Amateure, die sich selber spielen. Lösch versucht, die Beschränktheit dieses Arrangements durch eine zweite Erzählschiene aufzufangen, die sich im Lauf des Abends allerdings immer mehr in den Vordergrund schiebt. Vom amerikanischen Kultautor Edward Abbeys ("The Monkey Wrench") hat er sich ein paar Polit-Cowboys ausgeliehen, die marodierend durch den Mittleren Westen ziehen und Anschläge auf Reklamewände und Staudämme verüben.

    Verheißungsvoll wird der Südstaaten-Sound von Ry Cooder hochgefahren – und dann gleich niedergebrüllt von den vier Wildwest-Anarchos, von denen einzig Rastamann Bijan Zamani ein wenig sportive Lust am dynamitgeladenen Treiben erkennen lässt. Die übrigen drei altgedienten Staatstheater-Schlachtrösser, abwechselnd "Wüstenschützer" und "Canyonfucker" genannt, verlegen sich auf hysterisches Overacting und tun so, als wollten sie eine Marlboro-Reklame zum linksradikalen Agit-Prop umfunktionieren.

    Das ist über weite Strecken nur krawallig und ordinär, laut und langweilig, eine brüllende Kleingruppe, die der Stuttgarter High Society im Publikum wahrscheinlich endgültig Angst macht vor politischen Basisbewegungen jeder Art. Aber immerhin, man ist in Stuttgart tolerant und diskutiert eifrig im Foyer. Die politische Botschaft ist aber gar nicht das Problem - Volker Löschs Traum von der Unregierbarkeit der Welt wird sowieso jeden Tag realer. Problematisch ist eher die ästhetische Einfalt, die hier am Werke ist. Früher inszenierte Lösch wenigstens gewalttätige Bilder oder donnernde Migranten-Chöre. Sein "Metropolis" aber ist nur ein Zeugnis ästhetischer Hilflosigkeit. Die Katastrophe, die Lösch für Stuttgart voraussagt, ist schon längst eingetreten: auf der Leitungsebene des Stuttgarter Staatstheaters.