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Politik der USA gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof

16.08.2002
    Simon: Zwischen den USA und der Europäischen Union gibt es neuen Streit. Es geht einmal mehr um den Internationalen Strafgerichtshof. Mit Kräften hatten die USA dessen Etablierung zu verhindern gesucht. Als ihnen dies nicht gelang, setzen sie mit massivem Druck durch, dass sie keinen ihrer Staatsbürger vorerst an das Tribunal ausliefern müssen. Jetzt befindet sich der Streit in der dritten Runde. Immer mehr Länder werden von Washington aufgefordert, vertraglich zuzusichern, dass auch sie keine US-Bürger an den Strafgerichtshof ausliefern. Israel und Rumänien wollen diese Erklärung wohl abgeben, die Schweiz hatte dagegen den amerikanischen Wunsch abgelehnt. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi warnte in dieser Woche die ebenfalls angesprochenen Beitrittskandidaten vor schnellen Zugeständnissen an die USA in Sachen Immunität für US-Bürger. Dieses Thema, so Prodi, müsse zuerst auf EU-Ebene geklärt werden. Gernot Erler ist außenpolitischer Sprecher und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Guten Tag, Herr Erler.

    Erler: Guten Tag, Frau Simon.

    Simon: Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Vereinigten Staaten?

    Erler: Das ist eine sehr hemdsärmlige Art und Weise, eigene Macht durchzusetzen, denn es ist ganz klar: Der Kongress hat den amerikanischen Präsidenten ermächtigt, dabei auch die Frage von bilateraler Militärhilfe als Argument einzusetzen, das heißt, hier wird massiv Druck ausgeübt, und es ist kein Zufall, dass Länder, die im Grunde genommen abhängig von Amerika sind, wie zum Beispiel Israel, das finanziell und auch militärisch von Amerika abhängig ist, oder Rumänien, was sich einen Beitritt zur NATO im Herbst erhofft, zustimmen und glauben, den amerikanischen Wünschen folgen zu müssen.

    Simon: Wie Sie es sagen: Es wird ja in Washington offen damit gedroht, eben diese Hilfen nur noch an Länder auszuzahlen, die zusichern, US-Bürger nicht an den Strafgerichtshof auszuliefern. Herr Erler, kann die EU dagegen halten?

    Erler: Die EU versucht, meines Erachtens mit Recht, hier eine gemeinsame Position zu formulieren, denn wenn wir eine Außensicherheitspolitik in der Europäischen Union anstreben, dann gehört natürlich auch dazu, dass in solchen Fällen eine gemeinsame europäische Position vertreten wird. Es gibt in der EU eine große Gemeinsamkeit, diesen Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen und ihn auch handlungsfähig zu machen. Damit ist natürlich nicht vereinbart, dass einzelne jetzt solche Verträge abschließen. Nicht weil sie nicht ein gutes Verhältnis zu Amerika haben wollen - das ist ja völlig berechtigt -, sondern weil eben eine Reihe von diesen Verträgen letztlich diese Arbeit dieses Strafgerichtshofs unterminiert, auch wenn niemand natürlich im Augenblick daran denkt, ausgerechnet amerikanische Soldaten vor Gericht zu ziehen. Das ist ja eine völlig unberechtigte Befürchtung in Washington, aber es kann ja nicht angehen, dass die Länder, die die Macht dazu haben, sich sozusagen von einer möglichen Verfolgung freikaufen und nachher das nur noch diejenigen trifft, die dazu weder die Macht noch die Geldmittel haben.

    Simon: Sie sprechen die Angst in Washington an. Man muss vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen, dass wirklich nur diejenigen vor das Gericht gerufen werden, die eben entsprechende Straftaten begangen haben und wo man dazu noch davon ausgeht, dass in der Heimat dieser Menschen diese Vergehen nicht verfolgt werden. Die Angst aber, wie sie schon sagten, ist in Washington groß. Können Sie das nachvollziehen? Das ist ja fast schon irrational.

    Erler: Es ist eher grundsätzlich. Es ist irrational. Wenn man sich die tatsächlichen Statute des Internationalen Strafgerichtshof anschaut, dann kann eigentlich Amerika gar nicht in Betracht kommen, weil Amerika selber Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriffskriege und so weiter durchaus verurteilt und auch einen Rechtsstaat hat. Aber es gibt in Amerika eine Doktrin, dass ein amerikanischer Soldat, dass überhaupt amerikanische Bürger nicht vor internationale Gerichte gebracht werden dürfen und dass sogar der Präsident ermächtigt wurde, Waffen einzusetzen, wenn dies irgendwann geschehen würde. Das ist sozusagen die äußerste Drohung, die da formuliert worden ist und es geht hier mehr um diese Doktrin, die natürlich im Augenblick von der konservativen Mehrheit im Kongress und von der konservativen Regierung besonders stark betont wird. Ganz im Gegensatz zu früheren Regierungen.

    Simon: Man muss vielleicht in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass es gerade die USA waren, die ja massiv Druck gerade auf die Balkanländer wie Kroatien im Zusammenhang mit dem Tribunal für Jugoslawien in Den Haag ausgeübt haben, damit diese Balkanländer Kriegsverbrecher an das Tribunal ausliefern. Wenn jetzt die USA eine völlig andere Position, was ihre eigenen Staatsbürger angeht, vertreten, was für eine Wirkung wird das Ihrer Meinung nach haben?

    Erler: Ja, das ist in der Tat der Widerspruch, dass die Amerikaner sehr gerne bereit sind, internationale Strafgerichtshöfe, wenn sie andere Länder betreffen, zu unterstützten, aber nicht, wenn eben rein theoretisch auch eigene betroffen sind. Das steht nun auch in einem krassen Gegensatz zu vielen, vielen anderen Ländern - gerade auch den ganzen europäischen -, die komischerweise überhaupt keine Bedenken haben, auch ihre eigenen Soldaten, die da eingesetzt werden, unter eine solche potenzielle Anklagemöglichkeit zu stellen und dieses Risiko einzugehen. Man muss sich klar machen, dass die Amerikaner die einzigen sind, die hier dagegen sind und das kann natürlich nicht Grundlage einer internationalen Rechtsordnung sein. Ein Anspruch darauf, die Arbeit dieses Internationalen Strafgerichtshofes durchzusetzen, kann ja nur bestehen, wenn man sich auch selber dieser Gesetzmäßigkeit und dieser Kontrolle unterwirft. Deswegen befürchten eben auch wir in Europa, dass, wenn die Amerikaner mit ihren bilateralen Verträgen Erfolg haben, das Ansehen, die Durchsetzungsfähigkeit und das Prestige dieses Internationalen Strafgerichtshofes ganz erheblich leidet, und das wollen wir nicht. Deswegen wird die Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten an diesem Punkt auch weitergeführt werden müssen.

    Simon: Es ist aber eben nicht nur dieser Punkt. Seit dem Amtsantritt von George Bush ist das Klima zwischen den USA und dem Rest der Welt - nicht nur Europa - insgesamt rauer geworden. Ich sage nur noch die Stichworte Umwelt, Wirtschaft und Militäraktion. Die Auseinandersetzungen nehmen ja derzeit auf allen Ebenen zu. Muss die EU in dieser Situation eben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ein stärkeres Gegengewicht als bisher zu den Vereinigten Staaten werden?

    Erler: Ich glaube, das Bild hat zwei Gesichter: Natürlich gibt es immer Themen zwischen Europa und auch zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Ich sage mal Stichwort Todesstrafe, Stichwort bestimmte Handelsprobleme, die es gibt, das Klimaprotokoll - ein sehr aktuelles Thema. Das sind Dinge, die traditionell zu einem kritischen Dialog zwischen Europa und Amerika geführt haben. Aber man darf nicht vergessen, dass es nach dem 11. September eine sehr große Zusammenarbeit gibt. Es gibt diese große Koalition gegen den Terrorismus. Es gibt gemeinsame Arbeit in Afghanistan und an anderen Orten der Welt, um gegen diese Herausforderung zusammenzuhalten. Das sind zwei Teile der Medaille, die zusammen gehören, und ich würde nicht davon sprechen, dass die EU jetzt irgendeine stärkere Haltung gegenüber Amerika einnehmen muss. Wir müssen diesen Dialog weiterführen, und das Spannende und Gute ist: Es hat längst in Amerika selber ein nationaler Dialog über diese Frage begonnen. Es ist keineswegs so, dass bei der Frage über den Internationalen Strafgerichtshof etwa in der inneramerikanischen Politik Konsens besteht. Genauso wenig bei dieser Frage, wie die zweite Phase im Kampf gegen den Terrorismus aussieht. Das sind Dinge, die eng zusammen gehören. Da gibt es einen 'national dialog', wie die Amerikaner sagen. Wenn wir klar Stellung beziehen, dann helfen wir auch denen, die nach unserer Auffassung dort in Amerika die bessere Position haben.

    Simon: Das war Gernot Erler, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Danke für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio