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Politik und Justiz haben zu lange weggeschaut

In der Diskussion um den Rechtsradikalismus müssten stärker die sozialpsychologischen Hintergründe analysiert werden, meint der Sozialwissenschaftler. Die vorhandene Gewaltbereitschaft in Ostdeutschland sei von der Politik lange ignoriert worden, weil man den Osten nicht an den Pranger stellen wollte, so Klaus Schröder.

Klaus Schröder im Gespräch mit Bettina Klein | 13.12.2011
    Bettina Klein: Neonazi-Gesinnung, Netzwerke, Rechtsextremismus, brutale Straftaten – wir debattieren darüber seit Wochen und versuchen, die Verantwortlichen zu finden. Viele Spuren führen nach Sachsen und Thüringen und die Frage ist, wie verteilen sich diese Taten, wie verteilen sich bestimmte Einstellungen in Deutschland.
    Am Telefon begrüße ich Professor Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Schönen guten Morgen.

    Klaus Schröder: Schönen guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Schröder, wie beurteilen Sie die öffentliche Diskussion mit Blick auf die Ost-West-Ebene?

    Schröder: Ja, es stimmt. Wir haben mehr rechtsextreme Gewalttäter, mehr gewaltbereite Skinheads im Osten im Vergleich zum Westen und auch die Gewalttaten sind wesentlich höher. Hier ist sozusagen noch eine Dunkelziffer, weil das Tatortprinzip gilt. Wenn also ein Rechtsextremer aus Sachsen in Westdeutschland eine Gewalttat verübt, gilt sie dann für Westdeutschland. Also hier ist ein höherer Anteil ohne Frage, was aber nicht heißt, dass wir nicht auch rechtsextrem Gesinnte und Gewalttäter im Westen der Republik haben, denken Sie an Dortmund, denken Sie an andere Städte. Auch hier gibt es ein Potenzial. Es ist geringer, aber es ist auch vorhanden.

    Klein: Wird dieses Milieu im Augenblick ausreichend in der öffentlichen Diskussion unter die Lupe genommen?

    Schröder: Ja. Es wird immer schon unter die Lupe genommen. Wir haben uns ein bisschen davon blenden lassen, dass es so wenige sind, und die meisten Beobachter, Politiker wie Wissenschaftler waren nicht in der Lage, sich vorzustellen, dass diese Mordserie geplant und durchgeführt wird. Man hat irgendwie geglaubt, na ja, das sind ein bisschen schlichte Gemüter, die sind gar nicht dazu in der Lage, so in den Untergrund zu gehen und solche Taten zu verüben, wenn, dann Sprengstoffanschläge, Bekennerbriefe und so weiter. Das Phänomen, was wir jetzt neu haben mit dieser Terrorgruppe, dem müssen wir erst noch auf die Spur kommen: Wie kommt es, dass diese Menschen nicht nur in den Untergrund gehen, sondern auch gezielt morden. Darüber haben wir noch kaum debattiert.

    Klein: Täuscht der Eindruck, oder sprechen wir in der öffentlichen Debatte eben vor allen Dingen über das Versagen der Behörden und des Verfassungsschutzes, also eher Abstraktes und weniger darüber, wo und weshalb ausgerechnet dort das Problem offenbar am gravierendsten ist?

    Schröder: Ja, wir müssen beides. Selbstverständlich müssen die Sicherheitsbehörden so etwas unterbinden. Hier ist ein Versagen zu konstatieren in Thüringen und Sachsen, ohne Frage. Gleichwohl muss man stärker nach den Ursachen suchen, gerade in Ostdeutschland. Die DDR brach zusammen, sie hatte schon ein Potenzial an Gewaltbereiten, an rechtsextremistisch Gesinnten, und das ist dann zum Tragen gekommen, als die alten Autoritäten nichts mehr wert waren. Das muss genauer untersucht werden, aber auch die Persönlichkeitsstrukturen, die dazu führen, dass diese Leute zu Mördern werden. Das ist nicht nur politisch zu erklären, sondern hier ist sicherlich auch etwas psychologischer Erklärungsbedarf vorhanden. Das gilt es, jetzt sorgsam zu beobachten, zu analysieren und möglichst präventiv zu handeln, damit sich so etwas nicht ausbreitet.

    Klein: Haben Sie in Ihrer Forschung bereits Antworten darauf gefunden?

    Schröder: Wir haben vor einigen Jahren die Gewaltbereitschaft und den Rechtsextremismus im Ost-West-Vergleich untersucht und festgestellt, dass oft die Gewaltbereitschaft schon da war und sie dann politisch aufgeladen wurde ab einem bestimmten Alter. Also wir müssen zweigleisig vorangehen. Wir müssen eine Gewaltprävention schon im frühesten Alter, in den Kitas anlegen, und wir müssen gleichzeitig aufpassen, dass sich so etwas nicht entlädt, und auch, dass es sich dann politisch auflädt, zumeist dann bei rechtsextremistischen Gruppen, aber auch im Linksextremismus haben wir das gleiche Phänomen. Auch hier ist die Gewaltbereitschaft erst da, und dann kommt es zur politischen Aufladung.

    Klein: Wenn Sie von einer besonders vorhandenen Gewaltbereitschaft im Osten Deutschlands sprechen, die schon da gewesen sei, woher kam die, oder woher kommt die?

    Schröder: Nun, sie ist ein Resultat der autoritären Erziehung, der Disziplinierung, der Kollektivierung, und dann fällt das alles weg, und da entsteht ein Freiraum, ein Vakuum, wo sich Kräfte entfalten, die vorher gewaltsam unterdrückt wurden, und es war niemand da, der gesagt hat, Stopp, so geht es nicht. Die Justiz hat ja auch versagt, sie ist sehr milde und nachsichtig mit diesen Gewalttätern, auch mit rechtsextremen Gewalttätern umgegangen. Wir haben das sich entwickeln lassen und haben unterschätzt, dass sich Milieus über 15, 20 Jahre gehalten haben, wie wir an diesem Mordtrio sehen.

    Klein: Unterschätzt auch von der Politik?

    Schröder: Ja! Die Politik guckt sowieso bei solchen Fällen eher weg, zumindest auf der kommunalen und Länderebene. Da möchte man das nicht wahr haben, da sagt man, das sind Ausnahmefälle. Hier hat man nicht hart genug durchgegriffen und man stand auch nicht dazu, dass man das zurückdrängen muss, sondern man wollte keinen schwarzen oder braunen Fleck auf das Städtchen fallen lassen.

    Klein: Man hört ja immer wieder, dass ostdeutsche Politiker möglicherweise deswegen wegschauen, weil sie nicht als Nestbeschmutzer dastehen wollen. Und die westdeutschen Politiker, weil es sich um den Osten handelt, frage ich jetzt mal? Also etwas, wovon sie glauben, nicht zu viel zu verstehen, oder wo sie sich nicht einmischen wollen' Was ist die Motivation da Ihrer Meinung nach?

    Schröder: Ja, genau das ist es. Man möchte nicht den Osten an den Pranger stellen. Aber man stellt ihn ja gar nicht pauschal an den Pranger, sondern sagt, aus den und den Gründen ist das Phänomen hier deutlicher ausgebreitet als anderswo. Also ich finde, wenn man mit Tabus an die Thematik herangeht, wird man nicht viel erreichen. Man muss schonungslos aufklären und man muss auch dann zu Gegenmaßnahmen greifen. Das kommt viel besser an, als wenn man etwas verschweigt und es schwelt im Untergrund weiter.

    Klein: Welches Handeln muss denn daraus resultieren? Staatliche Maßnahmen, so haben Sie auch unlängst festgestellt, sind ja bisher weitgehend ergebnislos geblieben.

    Schröder: Die Gesellschaft muss auch sensibler dafür werden. Sie muss im Ansatz dies unterdrücken. Sie muss den Jugendlichen, bevor sie auch rechts- oder linksextrem sind, schon frühzeitig Grenzen aufzeigen. Lehrer müssen wieder stärker Pädagogen werden, Eltern müssen auch ihrer Verantwortung gerecht werden. Also es muss ein Verantwortungsbewusstsein viel stärker entwickelt werden, dass wir alle für die Gesellschaft und ihr Zusammenleben verantwortlich sind und nicht nur der Staat.

    Klein: Welche Wirkung haben denn etwa solche Initiativen gegen rechts? Ist über deren tatsächliche Wirkung etwas bekannt?

    Schröder: Nein, hier ist wenig bekannt. Es gibt kaum unabhängige Evaluationen. Wenn, sind es ihnen nahestehende Personen, die natürlich alles gut finden. Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, ob sie etwas bewirken, oder ob hier sozusagen die Gegner der Rechtsextremen sich finanzieren lassen, aber überhaupt keine aktiven Maßnahmen ergreifen, um den Rechtsextremismus zurückzudrängen. Ausnahmen gibt es. Die Aussteiger-Initiativen, die halte ich für sehr sinnvoll, die sollten weiter gefördert werden. Aber es müssen auch neue Instrumente erprobt werden, die wirkungsvoll sind, die auch Erfolge zeigen, und das sehe ich derzeit noch nicht, weil man auch auf der Gegenseite politisch aufgeladen damit umgeht.

    Klein: Professor Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schröder.

    Schröder: Ja, bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.