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Politik und Presse
Israels Medien unter Druck

Auch in Israel befindet sich der politische Populismus im Aufwind. Der Honeymoon zwischen Donald Trump und Benjamin Netanjahu gibt den Nationalisten neuen Auftrieb. Die israelischen Medien müssen ihre Unabhängigkeit aktiv gegen Versuche der politischen Vereinnahmung verteidigen.

Von Ruth Kinet | 04.03.2017
    Banjamin Netanjahu mit seiner Frau Sarah vor der Abreise in die USA.
    Die Journalistin Ilana Dayan hat für ein investigatives Feature über Israels Ministerpräsident Netanjahu und dessen Frau Sarah einen Schmähbrief vom Regierungschef erhalten - und diesen öffentlich verlesen. (imago/Xinhua)
    "Der Chef des Mossad kommt in den späten Abendstunden zur Residenz des Regierungschefs in der Balfour-Straße. Es ist die Hoch-Zeit der geheimen Kampagne gegen das iranische Atomprogramm. Auf der Tagesordnung steht eine Geheimoperation außerhalb der Landesgrenzen."
    So beginnt die Sendung "Uvda", auf Deutsch "Fakt", im Zweiten Israelischen Fernsehkanal am Abend des 7. November 2016. Mit einem investigativen Feature wollen die Journalistin Ilana Dayan und ihre Rechercheure Revital Chovel und Daniel Dolev die Zuschauer über das aufklären, was hinter der Glastür des Besprechungsraums in der Residenz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Jerusalem vor sich geht, dem so genannten "Aquarium".
    Der Fall Ilana Dayan
    Eine beeindruckende Zahl prominenter Gesprächspartner, die als Sicherheitsberater, Geheimdienstchefs und Sprecher in dessen nächstem Umfeld gearbeitet haben, berichten davon, wie weit der Einfluss der nicht demokratisch gewählten Ehefrau des Ministerpräsidenten, Sarah Netanjahu, in den sensibelsten politischen, sicherheitspolitischen und diplomatischen Fragen reicht.
    "Ich glaube, Netanjahu und seine Leute haben sich vorgestellt, dass etwas viel Schlimmeres kommen würde als das, was wir gesendet haben."
    Ilana Dayan versucht zu verstehen, was Benjamin Netanjahu dazu bewegt haben könnte, einen Fragenkatalog ihrer Redaktion zur Arbeitsweise seines innersten Machtzirkels mit einem persönlichen Schmähbrief zu beantworten. Als Dayan den Brief am Vorabend der Ausstrahlung ihres investigativen Features bekommt, entscheidet sie spontan, ihn im Anschluss an ihren Bericht zu verlesen. Sechseinhalb Minuten lang, ohne Kürzung, ohne weiteren Kommentar:
    "Es wäre interessant zu sehen, ob Ilana Dayan, die sich selbst als Ritterin der Meinungsfreiheit darstellt, unsere Antwort unzensiert und vollständig veröffentlicht. Die Zeit ist gekommen, Ilana Dayan zu demaskieren, die immer wieder bewiesen hat ..."
    Netanjahus Riege "nützlicher Feinde"
    "Netanjahu versteht sehr gut, dass es ihm nützt, jede Kritik als "links" zu brandmarken und eine Riege sich abwechselnder Feinde zu haben: mal Obama, mal die arabischen Israelis, mal der Oberste Gerichtshof, mal die Eliten, mal die Medien. In diesem Fall sollte ich als Feind markiert werden. Aber ich bin nicht sein Feind. Er ist mein Regierungschef. Ich bin Bürgerin dieses Landes und Journalistin. Es ist meine Aufgabe, ihn zu kritisieren, ihm Fragen zu stellen und seine Antworten zu hören. Ich bin Journalistin. Das ist alles."
    Mit seinem Schmähbrief versuchte Netanjahu das größte Kapital Ilana Dayans zu beschädigen: ihre politische Unabhängigkeit. Mit der öffentlichen Verlesung der Verleumdungen gegen sie hat Ilana Dayan nicht nur vorgeführt, auf welche Weise Netanjahu seine Kritiker zum Schweigen bringen will, sondern zugleich, wie viel Urteilsvermögen sie ihren Zuschauern zutraut.
    Zunehmende politische Vereinnahmung der israelischen Medien
    Nicht alle Redaktionen im Land widerstehen dem politischen Druck so kraftvoll wie die von Ilana Dayan. Eran Singer beobachtet eine zunehmende politische Vereinnahmung der israelischen Medien. Er ist einer der bekanntesten Reporter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Kol Israel.
    "Die politischen Interessen der Rechten durchdringen die Redaktionen immer mehr. Heute brauchen die Politiker gar nicht erst bei einem Sender anzurufen, um Einfluss auf das Programm zu nehmen, denn es gibt dort ohnehin schon Leute, die ihre Positionen vertreten."