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Politikberater kritisiert Kommunikation der Koalition

FDP und CDU haben sich bei der Euro-Krise von Entscheidung zu Entscheidung gehangelt, ohne den Wählern und den eigenen Mitgliedern klar zu machen, in welche Richtung man geht, kritisiert Politikberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle.

Klaus-Peter Schmidt-Deguelle im Gespräch mit Peter Kapern | 15.09.2011
    Peter Kapern: Der Mann muss ja nicht Recht haben, aber wenn er was sagt, dann hat es Gewicht. Die Euro-Länder stehen vor einer langen Rezession, hat der Börsenspekulant George Soros gesagt. Und möglicherweise – das hat er hinzugefügt – wird aus dieser Rezession sogar noch eine tiefe wirtschaftliche Depression, jedenfalls dann, wenn, so Soros, die Europäer nicht endlich sich von der Vorstellung verabschieden, im Zweifel ginge es auch ohne den Euro, und wenn sie nicht endlich ein gemeinsames Finanzministerium gründen, das auch gemeinsam Schulden aufnimmt, vulgo Eurobonds. Die flammenden Appelle an die Regierungen der Euro-Länder, nun endlich durchgreifend und weitreichend zu agieren und den großen Wurf zu wagen, sie häufen sich in diesen Tagen. Das Ringen um eine gemeinsame Position der Koalitionäre in Berlin in dieser Frage ist unterdessen derart außer Kontrolle geraten, dass offen über das Ende des Bündnisses spekuliert wird.
    Bei uns am Telefon ist nun der Politikberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle. Guten Tag.

    Klaus-Peter Schmidt-Deguelle: Hallo nach Köln.

    Kapern: Herr Schmidt-Deguelle, erleben wir gerade die Endphase der schwarz-gelben Regierung?

    Schmidt-Deguelle: So weit ist es noch nicht, aber wenn das in der FDP sich so weiterentwickelt, ist nicht auszuschließen, dass am Ende bei den entscheidenden Abstimmungen dann doch, zumal wenn es diesen Mitgliederentscheid geben sollte, die Stimmen für die Koalition fehlen, und dann ist Polen offen, wie es so schön heißt.

    Kapern: Was genau meinen Sie damit, wenn Sie sagen, wenn sich das in der FDP so weiterentwickelt?

    Schmidt-Deguelle: Ich glaube, wir haben eine fatale Situation, die aus Panik geboren ist. Die FDP, die Europapartei – das betont ja eigentlich jeder, den man dort fragt -, ist dabei, dieses Europa und den Umgang mit den Problemen Europas zum Ventil zu machen für Wahlkämpfe, und das heißt im Grunde, angesichts der Anlage dieses Szenarios, dass man sich auf den Weg der Populisten begibt, der Populisten a la Haider, oder in den Niederlanden, oder in anderen europäischen Ländern. Das heißt dann, dass das Thema Europa dem Erhalt der eigenen Mandate und dem Wiedereinzug in die Parlamente geopfert würde.

    Kapern: Vorsicht an der Bahnsteigkante, entgegne ich Ihnen da mal. Rösler fordert für Griechenland doch nichts anderes als die Möglichkeit, nach einer Insolvenz neu anzufangen. Das fordern Hunderte renommierte Wirtschaftswissenschaftler, das fordern Hinz und Kunz. Warum darf Rösler das nicht fordern?

    Schmidt-Deguelle: Rösler darf das fordern, aber Rösler ist der Wirtschaftsminister dieser Regierung und nicht nur der Parteivorsitzende. Was ein Gerede, das nicht substanziell begründet ist, auslöst, haben wir gesehen in den letzten Tagen. Es sind Milliarden vernichtet worden, weil ein deutscher Wirtschaftsminister, über dessen Funktion im Ausland sowieso wenig bekannt ist und dessen Bedeutung, damit einmal kurz die Märkte irritiert hat.
    Natürlich kann Griechenland Pleite gehen. Natürlich kann Griechenland umgeschuldet werden. Dieser Prozess wird ja auch vorbereitet. Aber er kann nicht so eingeläutet werden, dass das einfach herbeigeredet wird, sondern es muss geordnet gehen. Dafür gibt es im Moment nicht die Instrumente, und die Folgen, die eine Umschuldung Griechenlands für den gesamten Finanzsektor, für die Bedrohung der übrigen schwachen Euro-Länder hat, die müssen händelbar sein, und dafür ist zum Beispiel die Umstrickung, die Umwandlung des Rettungsschirms, des EFSF, und dann die Einrichtung des permanenten Rettungsschirms, des ESM, ja gedacht. Aber das braucht noch seine Zeit. Und jetzt sozusagen im Hauruckverfahren aus Angst vor dem Wahltermin diese Paniksituation heraufzubeschwören, ist absolut unverantwortlich.

    Kapern: Aber müsste man denn nicht einen Parteichef, der darauf verzichtet, einen in seiner Partei existierenden Unmut aufzunehmen und ihm damit dann auch letztendlich die Durchschlagskraft zu nehmen, müsste man einen Parteichef, der so etwas nicht tut, nicht mit dem Knüppel vom Hof jagen?

    Schmidt-Deguelle: Nein! Das Gegenteil ist der Fall. Der Parteichef – und das gilt in dem Fall auch für die Parteichefin der CDU – hätten von Anfang an anders kommunizieren müssen. Sie hätten kommunizieren müssen, dass dieses Europa ein Projekt ist, das mit diesem Euro steht und fällt. Das haben sie gesagt, aber sie haben nicht gesagt, wie es zu retten ist. Man hat sich von Entscheidung zu Entscheidung gehangelt, ohne es zu kommunizieren. Und dann überlässt man das Feld solchen Populisten wie Herrn Schäffler, der immer als Finanzexperte dargestellt wird, der jetzt den Mitgliederentscheid heraufbeschwört, dessen Expertentum offenbar aus einer Tätigkeit bei einem Versicherungsvertrieb herrührt. Ich frage mich: Was ist das für eine verantwortliche Politik?
    Man hätte von Anfang an den Wählern und den eigenen Mitgliedern klar machen müssen, in welche Richtung man geht, was sind die Instrumente, die zur Verfügung stehen, welche müssen gebaut werden, welche müssen noch gestrickt werden, welche müssen verabschiedet werden, um zu einer Lösung zu kommen, und es nicht laufen lassen und sozusagen aus Angst davor, dass es unpopulär sein könnte, die Entscheidungen erst dann getroffen und manchmal auch noch falsch getroffen, als es nicht mehr zu vermeiden war.

    Kapern: Aber im Prinzip, Herr Schmidt-Deguelle, läuft ja das, was Sie da fordern, wieder hinaus auf die sogenannte TINA-Strategie, dass man also den Wählern und den Parteimitgliedern sagt, there is no alternative, es gibt überhaupt keine andere Möglichkeit, wir müssen da durch. Kann das noch funktionieren in diesen Zeiten, in denen die Leute so schnell bereit sind, auf die Straße zu gehen, oder ihre Stimme einer Partei zu verweigern?

    Schmidt-Deguelle: Nein, das ist nicht die Alternative, sondern ich habe ja gerade gesagt: Man hätte die Leute mitnehmen müssen und man hätte sie auch mitnehmen können. Man muss ihnen die Alternativen aufzeigen. Man muss ihnen zeigen, was bedeutet es, wenn die Euro-Zone auseinanderbricht, was bedeutet es, wenn wir ein Euro-Land aufgeben. Vom Ausschluss Griechenlands kann ja keine Rede sein, dafür gibt es keine Mittel. Wenn wir aber ein Land aufgeben wie Griechenland, was haben wir an wirtschaftlichem Nachteil davon? Wir würden zum Beispiel über mindestens ein Jahr Verhandlungen über die Lösung der Schulden Griechenlands in den beiden Clubs in Paris und London, bei den staatlichen und bei den privaten Gläubigern haben, die keine Lösung bringen, sondern weitere Zahlungen notwendig machen. Was würde es bedeuten, wenn aufgrund der Tatsache, dass die Euro-Zone nicht zu ihren Mitgliedern steht, weitere Länder in Gefahr geraten? Was bedeutet es für den Einbruch des Wachstums, was bedeutet es für die Sicherung des Bankensystems insgesamt? Das alles kann man den Leuten erklären, wenn man sich die Mühe macht. Es ist unpopulär, das gebe ich zu. Aber es führt kein Weg daran vorbei, wenn man die Leute nicht unwissend und dann auch in die Arme von Populisten treiben will.

    Kapern: Jetzt prügelt ja alle Welt auf Philipp Rösler ein, weil er sich so eingelassen hat, wie er es getan hat, und kaum jemand spricht über Horst Seehofer, den CSU-Chef, der ja nicht nur die Insolvenz für Griechenland fordert, sondern gleich den Rauswurf aus dem Euro. Wie kommt das eigentlich, dass die CSU so im Windschatten des Strafens steht?

    Schmidt-Deguelle: Die CSU spielt in Berlin nicht wirklich die Rolle und Seehofer wechselt seine Meinung im Jahr mehrmals, und das nimmt keiner so wirklich ernst, abgesehen davon, dass ja selbst CDU- und CSU-Mitglieder, wenn Sie sie fragen, zugeben, dass man Griechenland gar nicht aus dem Euro rauswerfen kann. Also das diskreditiert und desavouiert sich selbst, den nimmt nicht wirklich noch jemand ernst. Im Zweifelsfall glaubt man auch nicht daran, dass die CSU bei dieser Meinung bleibt.

    Kapern: Jetzt haben wir ein Bündnis aus drei Parteien. Die eine davon läuft, wie Sie sagen, den Populisten hinterher, die andere wird überhaupt nicht mehr ernst genommen. Eingangs haben Sie gesagt, wir erleben nicht das Ende dieser Regierung. Wie lange dauert es denn noch?

    Schmidt-Deguelle: Gut, wenn Frau Merkel Ende September und dann im Dezember bei der Verabschiedung der Statuten und der Regularien für den permanenten Rettungsschirm keine eigene Mehrheit hat, dann sind die Zerfallserscheinungen wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten. Trotzdem glaube ich dann immer noch nicht, dass die Regierung selber aufgibt, weil dafür ist das Hemd denn doch näher als der Rock und die Hälfte der Abgeordneten, die jetzt im Parlament sitzen, müssen damit rechnen, nicht mehr dort vertreten zu sein. Das hieße dann Verlust aller möglichen Privilegien, und deswegen glaube ich nicht daran, dass sich dieses Parlament selbst auflöst. Und anders als mit Neuwahlen – das hat ja die SPD gestern deutlich gemacht – wird es keine andere Regierung geben.

    Kapern: Der Politikberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Schmidt-Deguelle, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schmidt-Deguelle: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.