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Politiker im Ring

Im Oktober sind Parlamentswahlen in der Ukraine. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik war selten so niedrig wie heute. Im Wahlkampf spielen auch in diesem Jahr Sportler wie Witali Klitschko eine Rolle, die sich durch ihre Bekanntheit auch politischen Erfolg erhoffen.

Von Ronny Blaschke | 23.06.2012
    Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt die Ukraine auf Platz 134, gemeinsam mit Nigeria oder Sierra Leone. Das Vertrauen der Menschen in die Politik war selten so niedrig wie heute. Das ukrainische Parteiensystem unterscheidet sich eklatant zu den mitteleuropäischen. So entstehen und verschwinden regelmäßig Parteien aus dem Spektrum. In diesem Betrieb spielen auch Sportler eine Rolle, hoffen sie doch, durch ihre Bekanntheit auch politisch zu profitieren. Zum Beispiel der Boxer Witali Klitschko.

    "Das ist kein demokratischer Weg. Wir sehen die Ukraine langsam Richtung Diktatur gehen, Richtung Autoritarismus. 60 Prozent der Menschen sagen, die Ukraine entwickelt sich in die falsche Richtung. Dafür müssen wir kämpfen, weil ohne Kampf gibt es keinen Sieg."

    Witali Klitschko steht unter dem Bogen der Völkerfreundschaft in Kiew und empört sich. Vor ihm, neben ihm, hinter ihm: Journalisten. Klitschko wollte hier mit Kindern Fußball spielen, sie für Vorbeugung gegen Aids sensibilisieren. Doch nun hat ein anderes Thema Vorrang: Wahlkampf.

    "Die heutige Regierung manipuliert die Gesetze. 70 Prozent der jungen Menschen träumen, ins Ausland auszuwandern. Gibt keine Jobs, Korruption frisst das Land."

    Schaulustige pressen ihre Gesichter ans Gitter, das den kleinen Fußballplatz im Europäischen Dorf umrandet. Sie wollen hören, was ihr Held zu sagen hat. Klitschko steht der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen vor, kurz: UDAR. Zweimal hat er versucht, Bürgermeister von Kiew zu werden. Vergeblich. Doch seine Partei etabliert sich. Hat 10000 Mitglieder, davon 2000 Mitarbeiter. UDAR stellt vier Bürgermeister und zählt 400 Abgeordnete in kommunalen Parlamenten. Im Oktober will Klitschko sie ins ukrainische Parlament führen. Und 2015 könnte er für die nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren.

    Ein Mädchen in Tracht möchte ein Foto von Klischtko, eine Frau überreicht ihm ein Buch, ein ukrainischer Schauspieler flüstert dem 40-Jährigen ins Ohr. Vor ihm, neben ihm, hinter ihm: Fotografen. Politik ist in der Ukraine auch Personenkult. Inzwischen existieren rund 200 Parteien, viele gegründet von schillernden Figuren aus Wirtschaft, Kultur – und Sport. Ursula Koch-Laugwitz beobachtet das Parteiensystem für die Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit 1993 in Kiew ein Büro unterhält.

    "Parteien sind hier nicht wertegebunden. Wenn man versucht, Parteiprogramme zu finden, dauert das schon mal sehr lange. Wenn man Glück hat, findet man mal ein, zwei Seiten. Es gibt wenige Ausnahmen, das ist dann auch eine dicke Bibel. Die unterscheiden sich dann auch nur ganz marginal. Eine Partei ist eine Organisation zum Fortkommen des jeweiligen Parteivorsitzenden. Und wenn man sich in der Parteispitze überwirft, dann gründet man halt eine neue oder kauft sich eine andere."

    Der Andrang auf dem Majdan ist groß, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew. Sergej Bubka hat wenige Meter weiter zu einem Pressegespräch in ein Schnellimbissrestaurant geladen. Bubka gilt als erfolgreichster Stabhochspringer der Geschichte, seit 2005 leitet er das Nationale Olympische Komitee seiner Heimat Ukraine. Während der Presserunde spricht er viel über Fußball, für die versprochenen Interviews unter vier Augen hat er dann keine Zeit mehr. Bubka war zwischen 2002 und 2006 Parlamentsabgeordneter für die Partei der Regionen, die Partei des Staatschefs Wiktor Janukowitsch. Bubka ist gut vernetzt mit ukrainischen und russischen Oligarchen. Er ist Mitglied des IOC und Präsident einer Bank. Sein Vermögen wird auf 350 Millionen Dollar geschätzt. Bubka folgt dem Weg eines Multifunktionärs, sein Ruf als Sport-Ikone verschafft ihm einen Bonus in der Bevölkerung. Für Artem Frankow eine typische Verflechtung, er ist Chefredakteur des ukrainischen Magazins Futbol.

    "Nehmen Sie den Oligarchen Grigori Surkis, der auch Spitzenpolitiker der Vereinigten Sozialdemokraten ist. Der hatte sich 1993 seinen Lieblingsverein Dynamo Kiew gekauft. Als Vereinspräsident hat er alle Spieler als Mitglieder in seiner Partei angemeldet. Heute bereut er diesen Schritt."

    Grigori Surkis ist Präsident des Ukrainischen Fußballverbandes und wichtiger Organisator der Europameisterschaft, 1999 hatte er vergeblich für das Bürgermeisteramt von Kiew kandidiert. Surkis buhlt um prominente Unterstützung, um die des ukrainischen Stürmers Andrej Schewtschenko oder des Nationaltrainers Oleg Blochin. Blochin saß selbst lange als Abgeordneter im Parlament. Vor der WM 2006 in Deutschland hätte ihn ein neues Antikorruptionsgesetz fast das Traineramt gekostet, doch schon Wochen später entschied ein Richter, Blochin dürfe das Team weiter betreuen. Der Journalist Artem Frankow:

    "Blochin hat als Abgeordneter dreimal die Fraktion gewechselt. Es geht ihm um die Nähe zu mächtigen Leuten, nicht um politische Inhalte."

    Doch kein Sportler drängt so sehr an die politische Spitze wie Witali Klitschko.

    "Das ist mein Heimatland, meine Wurzeln sind hier. Meine Verwandten, mein Großvater, meine Großmutter lieben dieses Land. Meine Mentalität ist ukrainisch, und mein Herz schlägt hier."

    Klitschko hatte als Boxer gelernt, seine Schlagkraft perfekt zu vermarkten. Auch in der Politik pflegt er Pathos, gegen Präsident Janukowitsch, gegen Oligarchen. Er beherrscht die politische Rhetorik, die Zuspitzung, das Nennen von Statistiken, die seine Empörung stützen. Doch eigene Reformen erwähnt Klitschko nicht, nicht hier im Europäischen Dorf in Kiew. Durchaus typisch, meint Ursula Koch-Laugwitz von der Friedrich-Ebert-Stiftung:

    "Es hat sich bislang noch kein Wahlkampf durch tiefe Inhalte ausgezeichnet. Das kann man über alle Parteien ziehen. Man ist für oder gegen etwas. Man würde aber nie, wenn man irgendetwas verurteilt, eine ausgearbeitete, eigene Alternative einbringen, sondern man stellt sich dann auf die Seite derjenigen, die dagegen sind und empört sich gemeinsam."

    Ob es Klitschko hilft, dass er als Sportler vor allem die Demokratien Deutschlands und der USA kennengelernt hat? Klitschko reist herum, um zu lernen. Traf den früheren US-Präsidenten Bill Clinton, auch Jean-Claude Juncker, den luxemburgischen Premier und langjährigen Chef der Eurogruppe. Zu Kanzlerin Angela Merkel hält Klitschko ebenfalls Kontakt, seine UDAR ist Schwesterpartei der CDU und wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Während der EM fährt Klitschko in einem gepanzerten schwarzen Wagen mit verdunkelten Scheiben von Termin zu Termin. Er wähnt seine Wähler vor allem in der Westukraine, nicht nur dort werden Auftritte schnell zu Autogrammstunden.

    "Das ist meine Pflicht. Aber ich kann nicht überall sein."