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Politiker-WG
Kritik am "Schnupperkurs in Armut"

Der WDR will seinen Zuschauern Politik näherbringen - und setzt sieben Politiker unterschiedlicher Parteien in eine WG in Duisburg Marxloh. Hier sollen sie gemeinsam drei Projekte umsetzen. Doch der örtliche Landtagsabgeordnete hält von der Idee eher wenig.

Von Moritz Küpper | 02.07.2015
    Die Teilnehmer der "Politiker-WG" sitzen um einen gedeckten Frühstückstisch und werden von Journalisten beobachtet.
    Unter Beobachtung: die Teilnehmer an der "Politiker-WG" (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Eine ehemalige Bäckerei im Duisburger Stadtteil Marxloh. Es ist ein Mittwochmorgen um kurz nach acht Uhr. Sieben Politiker sitzen beim Frühstück - und diskutieren. Auf dem Tisch stehen noch Brötchen, Margarine, benutzte Teller. Willkommen in der "Politiker-WG". "Nicht reden - machen statt quatschen", verspricht die Programmankündigung des WDR - und am Pressetag soll dies vorgeführt werden. Es ist eng, zwischen Theke und Frühstückstisch drängeln sich knapp 20 Journalisten und Fotografen - stellen Fragen, machen Fotos.
    "Wir haben uns gedacht, wir wollen mal etwas ganz Neues zum Thema Politik machen. Also, wir kennen alle Politik, wie sie sonst dargestellt wird. Das ist notgedrungen oft sehr aktuell, sehr schnell. Aber auch manches nicht so authentisch wie wir das gerne hätten", sagt Simon Pützstück, einer der verantwortlichen Redakteure des WDR. Normalerweise kümmert er sich um die Sendung "Markencheck", bei der Unternehmen auf dem Prüfstand stehen. Jetzt also Politik. Pützstück steht an der Theke, schräg unter einer an der Decke angebrachten Kamera. Hier, im Duisburger Problemviertel Marxloh soll nun also die Realität aufgezeichnet werden: "Wir wollen wirklich mal sehen, wie schlagen sich Politiker im echten Leben und sagen: Was habt ihr für Anpackerqualitäten? Zeigt es uns doch mal in einer Woche."
    Dazu haben sich Pützstück und Co. drei Projekte überlegt, die es abzuarbeiten gilt: "Die Aufgaben sind einmal die Gesundheitsversorgung vor Ort, vor allem für Zuwanderer und Flüchtlinge zu verbessern. Ein Kochprojekt an den Start zu bringen. Und die dritte Aufgabe ist, Jugendliche von der Straße zu holen, auch ein großes Problem und einen Jugendtreff einzurichten."
    Nur die Piraten und die AfD fehlen
    Mittlerweile ist das Frühstück beendet, der Tisch wird abgedeckt. Auch diese Aufgabe wird - eine weitere Idee der Sendung - parteiübergreifend erledigt. Denn außer den Piraten und der AfD, die aus organisatorischen Gründen nicht teilnehmen konnten, sind alle in der WG vertreten - und das durchaus hochkarätig: Neben Kathrin Vogler, die für Die Linke im Bundestag sitzt, sind zwei Bürgermeister-Kandidaten aus NRW dabei: SPD-Mann Ulrich Scholten, der im benachbarten Mühlheim an der Ruhr antritt, und Klaus Franz, CDU, der in Bochum kandidiert. Gestandene Politiker, die die Mühen des Alltages kennen - und sich doch auf diesen Versuch eingelassen haben. CDU-Mann Franz: "Hier geht es ja eigentlich darum, vielleicht auch mal einen Blick von außen zu haben und eben nicht über die Strukturen über Jahrzehnte oder länger diese Entwicklung zu erlebt zu haben und gar nicht mehr zu sehen, wie dramatisch es an manchen Ecken hier aussieht."
    Trotz des Ernsts der Lage und auch wenn Politiker und auch WDR vom Vergleich mit den einschlägig bekannten Reality-TV-Shows der Privatsender nichts hören wollen, liegt die Verbindung nahe. "Ich bin ein Politiker - holt mich hier raus!", schrieb der im Ruhrgebiet bekannte Blog "Ruhrbarone" und nannte das Projekt einen "lustigen Schnupperkurs in Armut".
    Kritik vom zuständigen Duisburger Landtagsabgeordneten
    "Es ist immer gut, mal etwas Neues auszuprobieren, aber so ein Dschungelcamp für Politiker halte ich für eine Idee, die man jetzt gut wieder einstampfen kann, weil das der Sache nicht gerecht wird",sagt Frank Börner, der direkt gewählte Landtagsabgeordnete aus Duisburg-Marxloh. Er sitzt in seinem Büro im Düsseldorfer Landtag. Es ist der letzte Tag vor der Sommerpause. Dass jetzt sieben Politiker in seinen Wahlkreis kommen, um dort öffentlichkeitswirksam Dinge zu verändern, hat Börner aus der Zeitung erfahren. "Bisher kam die Idee, einen Jugendtreff zu organisieren. Auf der einen Seite gibt es das in Marxloh, auf der anderen Seite ist das jetzt auch keine Idee, die so gigantisch neu ist, dass man die nicht schon ein paar Mal versucht hätten."
    Börner ist seit über 30 Jahren SPD-Mitglied, saß lange Jahre im Rat der Stadt Duisburg. Reporter des WDR hätten seinen Wahlbezirk als Problemfeld ausgemacht, einen Kontakt zum direkt gewählten Abgeordneten, also zu ihm, gab es aber nicht. Er selbst befürchtet, dass das Ziel der Sendung, für Aufklärung zu sorgen, ins Gegenteil umschlägt. Stattdessen vermutet er andere Motive: "Der WDR versucht, vielleicht eine Quote zu erzeugen auf Kosten der ärmsten Leute, die es zur Zeit in Europa gibt, wenn ich an die Menschen aus Bulgarien und Rumänien denke." Und die in Börners Wahlkreis Zuflucht gesucht haben. Das Fazit des Landtagsabgeordneten fällt daher auch hart aus: "Es ist schlichtweg eine dumme Idee."
    Überrascht von der Naivität des Projekts
    Ein Punkt, den Professor Karl-Rudolf Korte vielleicht nicht so direkt aussprechen würde. Aber auch der Politikwissenschaftler und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen, ist überrascht von der Naivität des Projektes: "Es war eine Kunstwelt, geradezu ein Satellit, auf dem diese Akteure, die sicherlich für sich alle gut waren, nicht wirken konnten, weil sie gar keine Basisverankerung haben. Jede Bürgerinitiative, die sich dort gegründet hätte, hätte tatkräftiger sein können als die besten Politiker, die mit der größten Machtfülle hier etwas zu entscheiden gehabt hätten." Für Korte ist Sinn und Ziel des Ganzen mehr als fraglich, wird doch - unter dem Vorwand einer All-Parteien-Koalition innerhalb der WG - vorgegaukelt, dass in Deutschland so Politik gemacht wird: "Zu suggerieren, dass alle, wenn sie zusammensitzen, einer Meinung sind, das ist eine vollkommen naive Vorstellung von Politik, die sich auch nicht mit der Meinung der Bevölkerung deckt. Man muss ringen, um die Mehrheit, weil unterschiedliche Interessen da sind."
    Zurück in Duisburg, zurück in der WG. Auch hier kommt die Frage der Nachhaltigkeit auf, auch hier wird über die Wirkung der Politiker-WG diskutiert. SPD-Bürgermeister-Kandidat Scholten: "Wir können das besser, wir zeigen Euch mal wie es geht hier in Marxloh. Ich glaube, so vermessen war hier keiner am Tisch. Ich glaube, dann hätten wir auch Krach gekriegt..." Alle Politiker haben bei ihren örtlichen Fraktionen und Parteien angerufen und um Unterstützung gebeten. Denn: Finanzielle Mittel gibt es vom WDR nicht. Redakteur Pützstück: "Wir sind nicht Akteur. Wir sind Beobachter. Wir haben dieses Setting geschaffen, weil wir finden, dass das eine positive, gute Idee ist. Die handelnden Akteure sind die Politiker."
    Die 45-minütige Dokumentation "Die Politiker-WG" ist am 24. August ab 21 Uhr im WDR-Fernsehen zu sehen.