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Politikwissenschaftler glaubt nicht an Einlenkungswillen des Assad-Regimes

Angesichts von mindestens 7000 Toten müsse man in Syrien längst von einer militärischen Auseinandersetzung sprechen, glaubt der Politikwissenschaftler Markus Kaim. Letztlich handele sich um einen Stellvertreterkonflikt zur Eindämmung des Irans.

Markus Kaim im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.03.2012
    Jasper Barenberg: Zweimal hat sich Kofi Annan am Wochenende mit Syriens Diktator Assad in Damaskus getroffen, um einen Waffenstillstand zu erreichen und den Zugang für humanitäre Hilfe. Verlassen hat der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga das Land mit leeren Händen, jedenfalls ohne greifbare Ergebnisse, und begleitet von einer neuen Offensive der syrischen Sicherheitskräfte gegen Gegner des Regimes. In Riad erfuhr Außenminister Guido Westerwelle in Gesprächen außerdem, dass sich Saudi-Arabien dafür stark macht, die Aufständischen mit Waffen zu versorgen, und in Kairo verteidigte Russlands Außenminister, dass sich Moskau weiterhin gegen eine Resolution im UN-Sicherheitsrat sperrt. Dort (in New York) soll heute über weitere Schritte beraten werden. Welche Möglichkeiten aber bleiben noch und welche Gefahren würde ein militärisches Engagement, ein militärisches Eingreifen mit sich bringen? – Mit solchen Fragen beschäftigt sich Markus Kaim bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er leitet dort die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Schönen guten Morgen, Herr Kaim.

    Markus Kaim: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Es gab viele diplomatische Aktivitäten in den letzten beiden Tagen, ein paar habe ich angesprochen. Gibt es aus Ihrer Sicht irgendein Zeichen der Hoffnung?

    Kaim: Im Moment sehe ich wenig. Die diplomatischen Bemühungen und Stränge, die Sie angesprochen haben – man könnte ja viele weitere aus den letzten Wochen und Monaten hinzufügen: die diversen Initiativen der Arabischen Liga, die Beobachtermission, die gescheitert ist, die Bemühungen im Rahmen des UN-Sicherheitsrats, die Bemühungen im Rahmen der VN-Generalversammlung -, all dieses ist bislang am Widerstand des Assad-Regimes gescheitert und es sieht nicht so aus, als würde dieses einlenken wollen.

    Barenberg: Dazu ist ja auch Kofi Annan nach Damaskus gereist, der neue Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, der bemerkenswerterweise ja auch im Auftrag der Arabischen Liga dort Gespräche geführt hat. Er hat zwar kein Ergebnis mit nach Hause gebracht, gibt sich aber trotzdem verhalten optimistisch. Ist das die Formel, mit der ein Diplomat wie Kofi Annan das Scheitern einer Mission umschreibt?

    Kaim: Also ich glaube, das ist tatsächlich eine Formulierung, die das eigene Scheitern nur milde verklären kann. In der Tat hat er aber auch eine sehr schwierige Mission gehabt im Auftrag der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, weil er gleich wie die anderen Vermittlungsbemühungen oder die anderen Vermittler in den letzten Wochen eigentlich wenig Hebel in der Hand hatte, die er auf das Regime in Damaskus ansetzen konnte, um eine Verhaltensänderung gegenüber den Aufständischen zu bewirken. Die diplomatischen Mittel, das was man gemeinhin als politischen Druck beschreibt, stößt an bestimmte Grenzen, die wirtschaftlichen Instrumente, das heißt die Sanktionen, die von den USA, von der Europäischen Union bereits verhängt worden sind, werden wahrscheinlich erst mittel- und langfristig wirken, und eine militärische Intervention wird zumindest von einigen wichtigen Akteuren nach wie vor ausgeräumt, und das war ja auch gar nicht seine Aufgabe. Das heißt, er hat eigentlich nicht mehr bewirken können, als er tatsächlich bewirkt hat.

    Barenberg: Wenn er nun seine Mission fortsetzt – heute wird er beispielsweise zu Gesprächen nach Ankara reisen, in die Türkei also, auch ein wichtiger Mittler der vergangenen Monate -, was kann er bestenfalls noch erreichen?

    Kaim: Also ich glaube tatsächlich, das Programm, das er vorgelegt hat, ist für den Moment ein richtiges, tatsächlich ein humanitär inspiriertes und kein politisch inspiriertes. Es geht im ersten Schritt darum, das Töten zu beenden, einen humanitären Zugang zu denjenigen Gebieten zu erreichen, die in besonderer Art und Weise von den syrischen Sicherheitskräften unter Feuer genommen worden sind, und ich glaube, er hat auch gut daran getan, etwas nicht zu tun, was westliche Regierungen in den letzten Wochen häufig getan haben, nämlich einen Regimewechsel in Damaskus zu fordern und damit Präsident Assad in besonderer Art und Weise in die Enge zu treiben und die politische Auseinandersetzung zu einem politischen Endkampf um Leben und Tod zu stilisieren. Genau das hat er eben nicht getan. Von daher ist es, glaube ich, eine sehr klug vorgetragene Mission gewesen. Gleichzeitig wird er die Unterstützung regionaler Akteure brauchen, sie haben es ja angesprochen, und da stellen wir ja fest, dass diese doch sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Einige, Saudi-Arabien und Katar, sind sehr aggressiv gegenüber dem syrischen Regime, im politischen wie im militärischen Sinne, einige sind sehr zurückhaltend, und ich glaube, eine schwierige Aufgabe für ihn wird es werden, diese Kakophonie der internationalen Gemeinschaft, aber vor allen Dingen auch der Region tatsächlich politisch zu bündeln.

    Barenberg: Und diese Aufgabe müssen auch die anderen Außenminister bewältigen, die heute in New York wieder zusammentreffen, am Sitz des UN-Sicherheitsrates. Sie haben es erwähnt: Katar und Saudi-Arabien gehören zu den Golfstaaten, die immer stärker auf die militärische Karte setzen. Rückt ein militärisches Engagement insgesamt näher, angesichts der anhaltenden Gewalt?

    Kaim: Nun gut, eigentlich muss man präzise betrachten: ja, wir haben bereits ein militärisches Engagement, nämlich von Seiten der syrischen Regierung. Also auch diejenigen, die vor einer Militarisierung des Konfliktes immer warnen, müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir bereits eine militärische Auseinandersetzung haben. Und Syrien und Katar verfolgen aus zwei Gründen einen anderen Kurs als viele andere Mitglieder der Staatengemeinschaft: zum einen natürlich aus humanitären Gründen, wir haben eine Zahl konservativ geschätzt von 7000 bis 8000 Toten in Syrien, viele Syrer sind entweder Binnenflüchtlinge, oder mussten das Land verlassen, das ist eine große humanitäre Notlage – das ist das eine Argument -, die es zu beenden gilt. Und zum zweiten sehen gerade Katar und Saudi-Arabien hinter Syrien den Iran und betrachten die Auseinandersetzung sozusagen als einen Stellvertreterkonflikt, um den Iran einzuhegen und den iranischen Einfluss einzudämmen in der Region. Das ist das Hauptargument. Und mit dem ersten Argument, nämlich dem mit der humanitären Notlage, wird sich auch der Westen auseinandersetzen müssen, weil gerade viele Staaten des Westens, unter anderem auch die Bundesregierung, in den vergangenen Jahren ja betont haben, dass nach den Erfahrungen des Jugoslawien-Konfliktes, nach den Erfahrungen von Ruanda wir eben nicht mehr zuschauen würden, wie Herrscher gegen ihre eigene Regierung vorgehen, und jetzt ist eine der Nagelproben, bei denen das zu beweisen gilt, was wir denn aus dieser Situation gelernt haben. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass in den USA, in Großbritannien und in Frankreich gerade vor allen Dingen auch tatsächlich die Möglichkeit eines militärischen Engagements wieder diskutiert wird – nicht im Sinne einer umfassenden militärischen Intervention, aber erst mal durch Unterstützung und Ausrüstung der Aufständischen.

    Barenberg: Und wenn wir darüber sprechen, über Möglichkeiten, aber auch Gefahren eines militärischen Eingreifens, Sie haben ja in Ihrer Arbeit verschiedene Möglichkeiten durchgespielt diesbezüglich. Wo sehen Sie denn am ehesten Chancen, dass man dazu beitragen kann, zumindest auf diesem Wege das Blutvergießen einzudämmen?

    Kaim: Vielleicht muss man die Rahmenbedingungen immer noch dazu nennen. Erstens: Militär kann Politik nicht ersetzen, und tatsächlich eine militärische Intervention oder ein militärisches Engagement sollte immer von politischen Initiativen flankiert sein, und man muss immer darauf verweisen, dass jede Form eines militärischen Engagements unwägbare Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Das ist ganz wichtig zu betonen. Ich glaube, von einer umfassenden militärischen Intervention wie im Irak 2003 geht im Moment niemand aus, und selbst das, was im Moment diskutiert wird unter der Rubrik Schutzzone oder humanitäre Korridore, zieht einen Aufwand nach sich, den im Moment, glaube ich, keiner zu leisten bereit ist. Also eine Schutzzone zum Beispiel auf syrischem Territorium müsste mit 40.- bis 50.000 Soldaten abgesichert werden; ich weiß nicht, wo die herkommen sollen. Dementsprechend, glaube ich, gibt es, wenn man sich auf ein militärisches Engagement einlässt, im Moment nur zwei Optionen, von denen ich vermute, dass sie zum Teil bereits sogar im Gange sein werden von saudischer und katarischer Seite: erstens geheimdienstliche Operationen im Lande selber, also mit Spezialkräften, die versuchen, die Infrastruktur des syrischen Regimes zu schwächen, Kommandozentralen zu treffen und anderes mehr, und die zweite haben wir gerade angesprochen, nämlich Ausrüstung und Ausbildung für die syrischen Aufständischen.

    Barenberg: Bei all diesen Überlegungen warnt beispielsweise der deutsche Außenminister Westerwelle, es würde zu einem Flächenbrand ausarten. Kann sich Deutschland, wenn Sie einen Rat geben sollten, auf die Position zurückziehen "ohne uns"?

    Kaim: Nein, davon würde ich dringend abraten – aus zwei Gründen. Das eine habe ich eben angedeutet. Wir sind gerade nicht ständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrates und tragen in besonderer Art und Weise Verantwortung für die internationale Sicherheit und haben das in den letzten Jahren auch immer wieder betont. Sich jetzt nicht zu beteiligen beziehungsweise eine Position des "ohne uns" zu beziehen hieße, die eigene Glaubwürdigkeit schwer zu unterminieren. Und zum zweiten ist es dann tatsächlich auch eine Frage der Bündnisfähigkeit, weil tatsächlich einzelne militärische Operationen werden auch von den Bündnispartnern innerhalb der NATO an uns herangetragen werden, die man dann braucht, wenn es einer größeren militärischen Operation bedarf.

    Barenberg: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik, er leitet dort die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Danke, Herr Kaim, für das Gespräch heute Morgen.

    Kaim: Gerne!


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