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Politikwissenschaftler: Kanzlerin kann "Mutter Europas" werden

Angela Merkel habe es mit ihrer Rede zum Euro-Rettungsschirm endlich geschafft, ihre Politik zu erklären, urteilt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Gerd Langguth. Sie habe die Ziele der Regierung klar definiert und damit die Chance, die Position Deutschlands in Europa zu stärken.

Gerd Langguth im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.09.2011
    Peter Kapern: Generaldebatte im Bundestag gestern, Angela Merkels wichtigste Rede. So hatte es also vorher schon geheißen. Ihr war in den letzten Monaten ja vorgeworfen worden, ihre Politik nicht gut genug zu erklären, weder den Atomausstieg, noch den Abschied von der Hauptschule und erst recht nicht die Europapolitik. Sie verweigere Emotion und Pathos, mit denen man das Projekt Europa erklären müssen, so das Urteil vor der Rede. Und nun, danach, hat sie geliefert, wie man heutzutage so schön sagt? Das hat mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann den Politikwissenschaftler Gerd Langguth gefragt, der früher selbst für die CDU im Bundestag gesessen hat.

    Gerd Langguth: Also das war eine wirklich gute Rede, und wenn man in die Reihen der Regierungsabgeordneten schaut, waren die alle sehr zufrieden, jedenfalls Ausdrucksweise der Gesichter, wenn ich die nehme. Es ist halt einfach so: Bislang hatte es Merkel nicht geschafft, die große leitende Idee durchschimmern zu lassen, überhaupt bei ihrer Politik, und vor allem bei so wichtigen Details in der Finanzpolitik, wo immer so Abkürzungen kommen wie EFS, EFSF, ESM oder ESFD. Da kann kein Mensch was mit anfangen und ich denke, die Zeit des Pathos ist vorbei, sie hat eine relativ sachliche, aber auch emotionale Rede gehalten, und jetzt sage ich mal was Pathetisches: Sie hat, wenn sie so fortfährt, was ich nicht sicher bin, sie hat die Chance, eine "Mater Europae", eine Mutter Europas sozusagen zu werden, da Deutschland im Reigen der 17 Europaländer das stärkste Gewicht hat.

    Dirk-Oliver Heckmann: Scheitert der Euro, scheitert Europa – das hat Merkel wiederholt im Bundestag formuliert -, die Gemeinschaftswährung, die sichere den Frieden erst? Das hört sich an wie ein Naturgesetz, Herr Langguth. Unklar ist, auf welche historischen Vorbilder sich Merkel da stützen kann. Oder ist das Ganze nur eine Phrase, um Kritik im Keim zu ersticken?

    Langguth: Na ja, das ist ein realistisches Szenario. Es gab ja auch früher schon Zusammenschlüsse von Währungsunionen, die aber gelegentlich auch gescheitert sind, und hier spielen ja viele Fragen eine Rolle und das Thema ist natürlich, dass Merkel gar nicht den Einfluss auf andere Mitgliedsregierungen so ohne Weiteres hat, sondern das Ganze ist, wenn die Regierungschefs der 17 Euro-Länder zusammenkommen, das Ganze ist sozusagen ein dauernder Versuch, einen jeweils neuen Konsens herbeizuführen, und das ist gar nicht so einfach. Da hat zwar Deutschland ein besonderes Gewicht, aber eben nicht ein unbedingtes Durchsetzungsgewicht.

    Heckmann: Bei den Probeabstimmungen über die Ausweitung des Rettungsschirms um weitere Milliarden-Summen hat es ja keine eigene Mehrheit gegeben innerhalb der Koalition. Jetzt also das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Wird das dazu führen, dass zumindest ein Teil der Kritiker ihre Zweifel zurückstellen?

    Langguth: Ich gehe davon aus, dass es eine eigene Mehrheit gibt. Da gibt es viele grummelnde Abgeordnete, die sich sehr stark auch einer Wirtschaftspolitik mit Regeln verbunden fühlen, die sagen, das machen wir nicht mit. Aber am Ende des Tages müssen sie natürlich wissen, was es bedeutet, wenn sie nicht mitmachen. Meines Erachtens, um das zum Punkt zu bringen, wäre es das symbolische Ende der Regierung Merkel, wenn sie bei dieser wichtigen und auch insgesamt wichtigen, für ganz Europa wichtigen Frage, wenn sie da keine eigene Mehrheit hätte und wenn sie die Mehrheit nur mithilfe der Opposition bekäme.

    Heckmann: Sie sagen, die eigene Mehrheit wird es wohl geben. Aber wird die denn auch reichen? Braucht es nicht die Kanzlermehrheit, wie die Opposition sagt?

    Langguth: Ja die eigene Mehrheit wäre dann die Kanzlermehrheit, und ich denke, da gibt es noch Chancen, weil da wird ja jeder einzelne Abgeordnete, der gegrummelt hat, der wird ja dann in einer Mund-zu-Mund-Beatmung versucht zu überzeugen, durch den Fraktionsvorsitzenden und durch wen auch immer. So läuft das dann meines Erachtens ganz gut. Ich hatte mal zeitweilig die Meinung vertreten, dass unter Umständen das mit einer Vertrauensfrage verbunden werden könnte, aber diese Idee hat einen Nachteil, dass dann die SPD zum Beispiel sagen kann, ja dann retten wir ja quasi mit die Regierung, damit die die eigene Mehrheit hat. Und das Angenehme für Merkel ist ja, dass die SPD ja inzwischen ihre Zustimmung signalisiert hat.

    Heckmann: In der Kritik, Herr Langguth, ist weiterhin Außenminister Guido Westerwelle, man hat es in der Debatte im Bundestag wieder mitbekommen können. Wie wahrscheinlich ist, dass er nach der Wahl in Berlin zum Bauernopfer wird?

    Langguth: Also dass er irgendwann mal gehen wird, scheint mir relativ klar zu sein, wobei es natürlich schwer ist, wie es so schön heißt, Vorhersagen zu machen, speziell die Zukunft betreffend. Das weiß man auch bei der FDP nicht. Westerwelle war ja jemand, der hat ja die FDP aufgebaut in vielen Jahren und hat natürlich auch von daher viele Anhänger, und so was muss auch stilvoll geschehen, und da hat man, glaube ich, noch keinen Weg. Aber ich bin fest der Überzeugung, dass Rösler an einer Ablösung arbeitet. Es ist auch so: Wir waren ja jetzt beim Thema Europapolitik. Inzwischen hat jeder Außenminister nicht mehr den Einfluss in Sachen Europapolitik, wie ihn früher beispielsweise Genscher noch hatte. Das hängt auch damit zusammen, dass ja durch diese ganze Gipfeldiplomatie immer mehr die Regierungszentralen das Prä haben und die Koordinierungsfunktion haben und dass auch übrigens nach dem Vertrag von Lissabon an den Treffen der Staats- und Regierungschefs die Außenminister gar nicht mehr beteiligt sind.

    Heckmann: Die Koalition geht in ihre zweite Halbzeit. Wie groß sind die Chancen aus Ihrer Sicht, dass sie sich noch fängt?

    Langguth: Ja das hängt sehr davon ab, ob jetzt Merkel ein Thema gefunden hat – und das kann sie unter Umständen gerade mit dem Thema Weiterentwicklung der europäischen Stabilität, der Finanzstabilität. Das könnte jetzt ihr leitendes Thema für die zweite Hälfte sein. Das Problem ist, dass die Regierung eigentlich wenig Überzeugendes tut, ihre eigene Mission, die sie hat, ihre Zielsetzung, die sie hat, die wirklich klar werden zu lassen. Das war nie die Stärke von Merkel. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung hat da noch längst nicht alle Register gezogen.
    Aber um Ihre Frage konkret zu beantworten: In zwei Jahren, wenn die Wahlen sind, da ist die einzige Chance von Merkel, weil ja die FDP als Mehrheitsbringer wahrscheinlich ausfällt, da ist die einzige Chance, dass SPD und Grüne nicht genügend Stimmen zusammen bekommen, um zusammen eine Regierung zu bilden.

    Kapern: Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Gerd Langguth.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.