Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Politikwissenschaftler Oberreuter zur CSU
"Seehofer treibt Sorge vor Sieben-Parteien-System um"

CSU-Chef Horst Seehofer sei der Erste aus dem Establishment, der auf die Umbrüche hingewiesen habe, die dem Parteiensystem bevorstünden, sagte der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im DLF. Neue Parteien am rechten Rand seien vor allem eine Gefahr für die Union.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 25.10.2016
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter sagte, dass es Seehofer umtreibe, dass die Union möglicherweise nicht zusammenhalte. (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Als kleinste Partei in der Bundesregierung gehe es der CSU an die Substanz. Daher sei es nun eine Hauptaufgabe Seehofers, für eine starke Position seiner Partei zu kämpfen. Heinrich Oberreuter sagte, dass es Seehofer umtreibe, dass die Union möglicherweise nicht zusammenhalte. Andererseits gebe es auch diejenigen, die seine zugespitzten Positionen für unionsschädlich halten. Der Streit um Zuwanderung unter Sicherheits- und Integrationsaspekten sei um den Preis einer starken Auseinandersetzung geführt worden.
    Die Vermutung, dass Seehofer Markus Söder als neuen CSU-Chef nach Berlin abschieben wolle, während er seine starke Position als Ministerpräsident in Bayern behalte, liege nicht ganz fern, sagte Oberreuter. Andererseits könne Söder auch in Berlin reifen, da man dort "mehr beherrschen muss als in der Fraktion im bayerischen Landtag" - und dann gestärkt als nächster Ministerpräsident zurückkehren. Söder habe jetzt keine wirkliche Wahl. Wenn er sich verweigere, wäre das nicht vorteilhaft für ihn, so Oberreuter.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Horst Seehofer will nicht mehr. Jedenfalls will er im kommenden Jahr nicht mehr CSU-Chef bleiben, jedenfalls nicht um jeden Preis. Das hat er gestern im ZDF-Interview deutlich gemacht. Auch ihm ist klar, das wichtigere Amt, das wird er weiter innehaben, das nämlich des bayerischen Ministerpräsidenten. Insgesamt schlug Seehofer recht sanfte Töne an, auch gegenüber Kanzlerin Angela Merkel. Darüber können wir jetzt sprechen mit Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler und ehemaliger Berater der CSU-Grundsatzkommission. Guten Morgen, Herr Oberreuter.
    Heinrich Oberreuter: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Oberreuter, was treibt Horst Seehofer derzeit?
    Oberreuter: Ich denke, er hat gestern sehr deutlich gemacht, dass es ihm doch sehr intensiv um die Sorge der Zukunft des Parteiensystems und die Herausforderungen, die auf die Union zukommen durch ein potenzielles Sieben-Parteien-System nach der nächsten Bundestagswahl, mit Unübersichtlichkeit, mit Schwierigkeiten der Koalitionsbildung, dass ihn diese Sorge umtreibt, und dass er vor allen Dingen natürlich durch die Herausforderungen vom rechten Rand Gefährdungen für die Unions-Parteien sieht. Und das, meine ich, ist nicht ganz an der Wirklichkeit vorbei, und ich finde, eigentlich ist er der erste, der mal sehr deutlich aus dem Establishment der Politik der Öffentlichkeit mitteilt, welche Umbrüche eigentlich auf uns zukommen - höchst wahrscheinlich.
    "Großes Interesse, den zugespitzten Konflikt aus der Flüchtlingskrise zu überwinden"
    Heckmann: Deswegen auch die recht sanften Töne gegenüber der CDU und gegenüber der Kanzlerin, denn der Streit um die Flüchtlingspolitik, der wurde ja so massiv ausgetragen in den letzten Monaten, dass es ja schon verwundert, dass plötzlich solche sanften Töne angeschlagen werden.
    Oberreuter: Na ja. Die eine Position ist sozusagen egozentrisch in Bezug auf die CSU, was die Sichtbarkeit in einem Viel-Parteien-Parlament betrifft, und der andere Aspekt ist in der Tat die Sorge um die Union, und zwar wegen ihres Gesamt-Standings im Parteiensystem, auf der anderen Seite aber auch die Geburtsidee der Union, nämlich über die Konfessions- und über die Landesgrenzen hinaus zusammenzuhalten. Das ist wohl das, was ihn ebenfalls umtreibt, andere natürlich auch, nämlich die, die seine zugespitzten Positionen in der Vergangenheit auch für Unionsschädlich gehalten haben in einem tiefergehenden Sinn. Insofern ist sehr deutlich geworden, dass ein großes Interesse daran besteht, den zugespitzten Konflikt aus der Flüchtlingskrise zu überwinden, um zukunftsfähig zu sein. Das, meine ich, ist eine deutliche Konsequenz aus diesem Gespräch, bei dem die Antworten über weite Fragen interessanter waren als die Fragen.
    Heckmann: Deswegen sagt er auch, ob jetzt der Punkt Obergrenze im gemeinsamen Wahlkampfpapier der Union drinsteht oder nicht, oder nur bei der CSU, das sei auch gar nicht so der entscheidende Punkt.
    Oberreuter: Darüber ist ja auch schon vielfach geredet worden, ob man statt Obergrenze von Richtgrößen oder sonstigen Sachen spricht. Natürlich ist das in gewisser Weise eine, wie soll ich mal sagen, Verschönerungsstrategie, nachdem man diesen Terminus Obergrenze so in den Vordergrund gestellt hat, aber auf der anderen Seite ist auch richtig, dass es in den Wahlprogrammen der beiden C-Geschwister, auch wenn sie zerstritten waren oder auch wenn sie es nicht gewesen sind gerade, immer einzelne Punkte gegeben hat, die die CSU für sich alleine vertreten hat.
    Heckmann: Aber das war ja ein Punkt, der unheimlich in den Vordergrund gestellt wurde, von Horst Seehofer auch.
    Oberreuter: Ja, ja, sage ich ja. Es hat ja einen starken Akzent darauf gegeben und er verzichtet ja auch nicht darauf. Da hat er ja ein deutliches Nein gesagt und damit hat man in gewisser Weise ein Grundsatzproblem oder auch eine Grundsatzgröße oder einen Grundsatzkonflikt festgelegt, in dem immer wieder gestritten werden kann und muss und darf, um die Frage der Steuerung der Zuwanderung unter Sicherheitsaspekten, unter Integrationsaspekten. Das ist ja das, was die CSU in der letzten Zeit umgetrieben hat und wo sie auch nicht ganz ohne Erfolg die Bundespolitik beeinflusst hat, um den Preis natürlich einer starken Auseinandersetzung mit Angela Merkel und mit der CDU, von dem ja manche sagten, er wäre nicht nützlich gewesen.
    CSU-Chef in Zukunft in Berlin?
    Heckmann: Herr Oberreuter, bisher hieß es ja immer, die Personalunion zwischen bayerischem Ministerpräsidenten und CSU-Chef, das sei das Erfolgsrezept der Christsozialen. Wie stichhaltig ist denn jetzt die Argumentation von Horst Seehofer, der CSU-Chef müsse in Zukunft in Berlin sitzen? Was halten Sie davon?
    Oberreuter: Ich meine, nach dem Hintergrund der potenziellen Zersplitterung und der Sichtbarkeit für die kleinste Partei, die Regierungsverantwortung trägt und weiterhin tragen will, kann man dem Gedanken etwas abgewinnen. Man kann sich aber auch historisch erinnern an Phasen, in denen das schon so war, als Goppel ein erfolgreicher Landesvater und Franz-Josef Strauß ein erfolgreicher Weltpolitiker gewesen ist, oder Stoiber ein erfolgreicher Ministerpräsident und Waigel ein erfolgreicher Finanzminister. Da hat die Teilung funktioniert. Sie hat aber im Laufe der Zeit immer wieder Probleme, Abstimmungsprobleme, Konflikte zwischen den beiden Personen heraufbeschworen, so dass man dann zu einer Lösung, zur Zusammenlegungslösung wieder gefunden hat. Es gibt durchaus pragmatische Abweichungen, situationsbedingte, vielleicht auch personalpolitisch bedingte Abweichungen von diesem Erfolgskonzept, die beiden Ämter in einer Hand zusammenzuführen.
    Heckmann: Viele, Herr Oberreuter, mutmaßen allerdings, dass Horst Seehofer nur seinen Konkurrenten Markus Söder nach Berlin abschieben will.
    Oberreuter: Das ist eine Vermutung, die vielleicht nicht so ganz fern liegt. Ich bin aber durchaus geneigt, nach dem, was ich gehört habe und was man auch sonst so hört, dass der Hintergrund durchaus der ernst gemeinte gewesen sein könnte. Sie merken, ich drücke mich vorsichtig aus.
    Verweigerung Söders wäre "keine vorteilhafte Position"
    Heckmann: Ja, Konjunktiv.
    Oberreuter: Ja, wenn der in Deutschland noch beherrscht wird? - Der Hintergrund könnte in der Tat der sein, den er zum Ausdruck bringt, und auf der anderen Seite muss ich sagen, Markus Söder hat sich zwar sehr in den Vordergrund gespielt, aber die Frage, ob er die Eignungen hat, die er sich selbst zuschreibt, die könnte er natürlich in einer gewissen Übergangsphase der Bewährung und noch dazu auf einem sehr, sehr schwierigen Feld, wo man ein bisschen mehr beherrschen muss als nur die Fraktion im bayerischen Landtag und eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit zu machen, eine solche Bewährungsphase könnte ihm gut tun. Und wenn er denn das Ministerpräsidentenamt übernehmen sollte, in fünf Jahren oder so, könnte er gereifter sein als der Eindruck, den er gegenwärtig hinterlässt.
    Heckmann: Der Konjunktiv wird in Deutschland noch beherrscht, auch hier im Deutschlandfunk, denke ich mal. Deswegen letzte Frage: Markus Söder, wie dürfte der auf ein solches Angebot reagieren? Denken Sie, er würde da zugreifen?
    Oberreuter: Die Frage ist, welche Spielräume man ihm lässt, denn es ist ja auch schon die Rede davon, dass er in die Falle von Seehofer getappt sei, indem er sich gewehrt hat gegen dieses Angebot/diese Abschiebung, je nachdem wie man es interpretiert.
    Heckmann: Ganz kurz noch in einem kurzen Satz.
    Oberreuter: Wenn er sich verweigert, dann hat er natürlich das Problem, dass die Partei oder starke Gruppen in der Partei sagen könnten, er drückt sich vor einer Pflicht, die wahrzunehmen evident und im Sinne der CSU wäre, und das ist keine vorteilhafte Position für ihn.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Oberreuter, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Oberreuter: Bitte schön!
    Heckmann: Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.