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Politikwissenschaftlerin
SPD-Mitgliederabstimmung "nicht sehr demokratisch"

Die SPD-Mitgliederbefragung zur Großen Koalition sei beschlossen worden, damit die SPD-Führung eine Legitimation für ihre Verhandlungsergebnisse habe, sagt die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried. Sie kritisiert aber, dass dadurch eine kleine Gruppe und nicht die gewählten Abgeordneten über ein Ja oder Nein zur Koalition entscheide.

Christine Landfried im Gespräch mit Christiane Kaess | 25.11.2013
    Angela Merkel und Sigmar Gabriel
    Noch verhandeln SPD und Union über die Grundzüge ihrer Koalition. (dpa / picture-alliance)
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Christine Landfried. Sie ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Hamburg, ehemals SPD-Mitglied. Guten Tag, Frau Landfried.
    Christine Landfried: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Frau Landfried, am Wochenende hat ja die SPD-Spitze bei der Basis für eine mögliche Koalition mit der Union geworben. Zeigt das die Nervosität in der SPD-Führung?
    Landfried: Das ist ganz klar Nervosität, denn es gibt ja relativ viel Widerspruch zu einer Großen Koalition an der Basis. Und es ist noch gar nicht klar, wie diese Mitgliederbefragung ausgehen wird.
    Kaess: Glauben Sie, dass die Spitze es mittlerweile bereut, sich für diesen Mitgliederentscheid entschieden zu haben?
    Landfried: Das denke ich nicht, weil das Ziel war: Man ist ja ursprünglich im Wahlkampf nicht dafür eingetreten, für eine Große Koalition. Man brauchte eine Legitimation. Man konnte natürlich auch sehr viel besser verhandeln, wenn man immer sagen konnte, wir müssen das unseren Mitgliedern irgendwie schmackhaft machen können. Ich halte das im Übrigen, diese Mitgliederbefragung, nicht für sehr demokratisch.
    Kaess: Warum?
    Landfried: Weil der Kanzler oder die Kanzlerin wird ja vom Bundestag gewählt und von den Abgeordneten und Fraktionen, wie sie sich zusammensetzen, die die Wählerinnen und Wähler gewählt haben. Und jetzt am Ende bestimmt ja über Inhalte einer Koalition eine ganz kleine Gruppe, also das Quorum der Mitglieder. Wir haben 470.000 Mitglieder der SPD, das Quorum ist bei 20 Prozent. Das heißt also, wir brauchen nur eine Mehrheit von 100.000 Mitgliedern der SPD für eine Zustimmung oder Ablehnung einer Großen Koalition. Und ich finde, das ist eine kleine Gruppe. Der Kanzler wird ja nicht bestimmt durch Mitglieder einer Partei, sondern durch die Abgeordneten, die die Bürger gewählt haben.
    Kaess: Das ist ein Punkt, an dem sich die Kritik festmacht. Es gibt noch einen anderen. SPD-Chef Gabriel hat jetzt gesagt, mit dem Mitgliedervotum trägt jedes Mitglied die gleiche Verantwortung wie der Vorsitzende. Schleicht sich da jemand aus der Verantwortung?
    Landfried: Na ja, man kann wirklich nicht sagen, jedes Mitglied trägt die gleiche Verantwortung. Natürlich: Es gibt innerparteiliche Demokratie und die ist wichtig. Aber das ist ja hier doch die Führung der SPD, die nun dafür auch gewählt worden ist, da gibt es ja auch eine demokratische Legitimation, die die Verantwortung trägt. Und ich denke, das ist doch eine Verantwortung, die anders gelagert ist als die Verantwortung, die bei jedem einzelnen Mitglied der SPD liegt.
    Kaess: Der SPD-Politiker Klaus Barthel, Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels, hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk noch mal einen ganz anderen Aspekt angesprochen. Er hat gesagt, eine Partei mit fast 26 Prozent, die Angst hat, dass die Grünen es womöglich billiger machen als die SPD, und die auch Angst hat offenbar vor Neuwahlen, die müsste sich doch Gedanken über ihr Selbstbewusstsein machen. Wie steht es denn um das Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten?
    Landfried: Na ja, ich denke, mit diesem Selbstbewusstsein – man sollte wahrscheinlich gerade zeigen, wir sind selbstbewusst, denn wir gehen davon aus, dass wir eine Mehrheit für das bekommen, was wir hier aushandeln. Ich denke, das ist vom Selbstverständnis her von der Führung der SPD gerade als selbstbewusst dargestellt worden, gedacht worden. In Wirklichkeit: Ich selbst würde auch nicht sagen, dass das selbstbewusst ist, denn man hätte sagen müssen, wir haben jetzt dieses Wahlergebnis. Eine Große Koalition nach dem Wahlergebnis hätte eine große Mehrheit, alle anderen Möglichkeiten waren ja mit knappen Mehrheiten. Und insofern wäre es wahrscheinlich am Ende doch mehr im Sinne von Selbstbewusstsein gewesen, wenn die SPD-Führung hier keine Mitgliederbefragung gemacht hätte.
    Kaess: Trauen Sie sich eine Einschätzung zu, wie der Mitgliederentscheid ausgeht?
    Landfried: Das soll man als Wissenschaftler nie machen, dass man Prognosen gibt. Aber ich würde mal sagen, wenn wir zu der Koalitionsvereinbarung jetzt diese Woche kommen, gehe ich davon aus, dass die Entscheidung positiv ausgeht bei der Mitgliederbefragung.
    Kaess: Warum? Warum sind Sie sich da so relativ sicher? So klingt das zumindest jetzt.
    Landfried: Da kann man sich überhaupt nicht sicher sein. Das würde dann ganz falsch klingen, wenn das sicher klingt. Ich bin auch unsicher. Aber es ist ja eben doch: Die Mitglieder werden sich auch sagen, wenn sie als Partei etwas gestalten wollen, dann geht das natürlich durch eine Große Koalition doch noch besser als in der Opposition. Ich würde niemals sagen, Opposition ist Mist. Diesem Satz stimme ich nicht zu. Opposition ist sehr wichtig in einer Demokratie. Aber gestalten kann man nur in der Regierung. Oder viel besser in der Regierung. Und deswegen, denke ich, wird eine Mehrheit doch sich dafür aussprechen, dann diese Koalitionsvereinbarungen mit einem Ja zu beantworten.
    Kaess: Sollte es anders ausgehen, sollte dieser Mitgliederentscheid negativ ausfallen, würden Sie dann auch dem zustimmen, was man jetzt aus der CDU hört, die sagt, wenn das so passiert, dann ist die SPD regierungsunfähig?
    Landfried: Das finde ich zu weitgehend. Eine Partei ist deshalb nicht regierungsunfähig. Aber für die jetzige Führung wäre das natürlich ein Desaster. Da wäre die Frage, wie geht das überhaupt weiter für die SPD, das wäre schon eine schreckliche Situation für die SPD. Regierungsunfähig ist sie dadurch nicht.
    Kaess: Schauen wir auf die Themen und die Inhalte, die noch strittig sind. Da gibt es einige. Da geht es um die Maut, die doppelte Staatsangehörigkeit, es geht um die Einzelheiten beim Mindestlohn, es geht um die Finanzierung der Mütterrente. Kann man überhaupt zusammenkommen, beide Seiten, Union und SPD, in diesen wenigen Tagen, die jetzt noch bleiben?
    Landfried: Ich gehe davon aus, dass man zusammenkommt, denn alle wissen ja: Man kann in solchen Verhandlungen ganz am Ende – da gibt es ja dann die strittigen Punkte und die schwerwiegenden Punkte – und man kann nicht so was anstreben und so lange verhandelt haben und das dann scheitern lassen, das glaube ich nicht. Und beide Seiten müssen Kompromisse machen, da geht gar kein Weg daran vorbei, sodass man sich jetzt doch in dieser kurzen Strecke einigen wird. Wenn man nicht viel Zeit hat, das ist ja manchmal auch günstig für einen Kompromiss.
    Kaess: Aber das würde dann eventuell erklären, warum man hier in den letzten Wochen so wenig weitergekommen ist. Oder welche Erklärung haben Sie dafür, dass man an diese ganz, ganz harten Knackpunkte noch nicht herangehen konnte?
    Landfried: Na ja, es sind ja auch wirklich strittige Punkte. Und ich glaube, da haben beide Seiten gesagt, da können wir nicht nachgeben, das war eigentlich in unserer Wahl klar: Mindestlohn, den will natürlich die SPD in Ost und West gleich haben, da will sie keine Ausnahmen. Und ich denke, jetzt am Ende – deswegen hat das eben bei diesen Themen so lange gedauert – wird man schon aufeinander zugehen müssen. Man kann nicht bis Mitte der Woche sagen, wir einigen uns nicht. Das wäre von beiden Seiten her unklug.
    Kaess: Rechnen Sie mit einer Verlängerung der Verhandlungen?
    Landfried: Nein.
    Kaess: Auf gar keinen Fall?
    Landfried: Auf gar keinen Fall, kann man nicht sagen. Auch das: Prognosen haben es an sich, dass man sich da irren kann. Aber wir müssen mal überlegen: Jetzt geht das schon sehr lange und man hat ja gesagt, wir wollen doch in etwa acht Wochen zu Ergebnissen kommen. Und Deutschland hat auch international und europaweit eine Verantwortung. Und wir brauchen eine Regierung.
    Kaess: Frau Landfried, die Koalitionsverhandlungen von Union und Grünen in Hessen, welche Rolle spielen die für die schwarz-roten Verhandlungen in Berlin?
    Landfried: Na ja, man kann natürlich sagen, jetzt wäre dann auch wieder doch die Möglichkeit, wenn die Große Koalition scheitert, noch einmal zwischen Schwarz und Grün auf Bundesebene zu verhandeln. Das halte ich aber nicht für realistisch. Man hat ja ganz klar gesehen, auf Bundesebene sind die beiden Parteien nicht zusammengekommen. Und da denke ich, dass das jetzt auch nicht von der Landespolitik solche Auswirkungen auf die Bundesebene hat.
    Kaess: Und wenn wir bei Koalitionsoptionen sind – war es klug von der SPD, mitten in den Koalitionsverhandlungen die Tür zur Linken zu öffnen?
    Landfried: Ich halte das nicht für klug, denn man hatte sich ja klar dagegen ausgesprochen. Und das ist eine langfristige Entscheidung für die SPD, wie man sich hier annähert. Das kommt ja auch auf die Position der Linken an. Mitten in den Verhandlungen fand ich das nicht günstig.
    Kaess: Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin an der Universität Hamburg. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Landfried: Auf Wiederhören.
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