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Politische Äußerungen im Fußball
Zweierlei Maß?

Bei der Partie gegen Babelsberg hatten Gästefans aus Cottbus im April 2017 Pyrotechnik gezündet und rassistische Parolen gerufen. Dafür wurde der Verein nach langem hin und her verurteilt. Dieses Urteil wurde Anfang 2018 wieder aufgehoben. Der DFB hat mittlerweile Revision eingelegt.

Von Jennifer Stange | 27.01.2018
    Cottbusser Fans zünden Pyrotechnik und stürmen den Platz.
    Ausschreitungen beim Spiel SV Babelsberg gegen Energie Cottbus am 28.04.2017 im Karl-Liebknecht-Stadion in Babelsberg. (imago sportfotodienst/Björn Draws)
    Fernsehaufnahmen, YouTube-Videos, Fotos und Zeitungsberichte. Zahlreiche Quellen belegen: zum Hitlergruß gereckte Arme, Nazi-Parolen, Schmährufe gegen Juden und so genannte Zigeuner gab es in den Reihen der Fans des FC Energie Cottbus während der Partie gegen den SV Babelsberg, letztes Jahr im April. Nur Schiedsrichter und Sicherheitsbeauftragte haben davon offenbar nichts mitbekommen.
    Stephan Oberholz, Vorsitzender des Sportgerichts des Nordostdeutschen Fußballverbandes, kurz NOFV, ärgert das: "Das war ja die Krux in dem Verfahren, dass in diesen genannten Berichten mit keiner Silbe die Rede war von irgendwelchen rassistischen Äußerungen, von irgendwelchen Nazigebärden, Nazi-Verhalten. Da wussten wir nichts von, schlicht und ergreifend."
    Schwachstellen in der Berichterstattung?
    Was sagt uns das über die Berichterstatter? "Das ist schwierig zu beantworten. Sicherlich mag es da Schwachstellen geben. Das war ja für mich persönlich auch wichtig, das im Nachgang mal nachzuvollziehen. Danach habe ich natürlich nochmal erneut Rücksprache genommen mit dem Schiedsrichter und mit dem Sicherheitsbeauftragten", so Oberholz.
    Was diesen Herren nicht entging, war Folgendes: "Etwa ab der 15. Spielminute rief eine Person aus dem Babelsberger Fanblock in Richtung des Cottbusser Fanblockes: ‘Nazischweine raus’". Genau so steht es im Urteil des Sportgerichts des NOFV, das dem Potsdamer Verein außerdem wegen Pyrotechnik im eigenen Fan-Block eine Geldstrafe von 7000 Euro aufbrummt. Ein "Skandalurteil", so der SV Babelsberg, gegen das notfalls auch zivilrechtlich vorgegangen werden soll.
    Nathan Gelbart vertritt den Verein in dieser Sache: "Bei jeder Strafzumessung muss man natürlich auch die Motivation sehen. Tatsache ist, dass die Skandierung "Nazischweine raus" nur eine Reaktion war auf nachhaltig antisemitische und rassistische Sprüche, die aus dem Fan-Block des Energie Cottbus kam. Das würde ich eher als eine Art moralische Notwehr bezeichnen."
    Versehentlich ins Urteil kopiert
    Eine Selbstverständlichkeit sei das, sagt Stephan Oberholz. Er war in dem Verfahren gegen Babelsberg Richter und sagt heute: "Da sind wir auch Manns genug, das klar darzustellen - das hätte man besser rausgelassen. Weil das hat ja nur zu Unklarheiten und Verwirrung geführt und zu dem durchaus nachzuvollziehenden Vorwurf des Vereins, wir hätten genau diese Äußerung bestraft. De facto ist dieses nicht geschehen."
    Auf Nachfrage der Autorin, weshalb diese Äußerung dennoch im Urteil erwähnt werde, erklärt Oberholz: "Teilweise machen wir das copy and paste."
    Aus dem Sicherheitsbericht kopiert und ins Urteil eingefügt. Versehentlich also ist die Passage "Nazischweine raus" im Urteil gelandet. Trotzdem wurde eine Berufung in erster Instanz abgelehnt. Anders als im Fall Energie Cottbus. Die Strafe wegen rassistischer Vorfälle bei besagtem Spiel wurde laut Medienberichten durch den NOFV aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Für eine Stellungnahme war der Verband nicht erreichbar.
    Doch nicht nur der SV Babelsberg, auch andere Fußballclubs, die sich aktiv gegen Diskriminierung einsetzen, fühlen sich durch das Sportgericht immer wieder gegängelt. Zum Beispiel auch der Rote Stern Leipzig.
    "Man schreibt eine Stellungnahme und man wird verurteilt, egal, was man in die Stellungnahme reinschreibt." Anne Döring ist Sicherheitsbeauftragte des Vereins und erinnert an eine Partie aus dem letzten Jahr: "Wenn man nach Borna guckt, dort ist das Spiel abgebrochen worden, weil dort drei Spieler sich mit drei Neonazis solidarisiert haben, die an dem Tag ausgeschlossen worden sind. Darauf ist in diesem Sportgerichtsurteil überhaupt nicht eingegangen worden."
    Roter Stern Leipzig fühlt sich gegängelt
    Die ausgeschlossenen Bornaer Spieler sollen 2016 am Überfall auf den Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt gewesen sein, bei dem auch das Vereinslokal des Roten Sterns demoliert wurde.
    Wegen des Spielabbruchs verurteilte das Sportgericht den Leipziger Verein zu 1500 Euro Strafe und entschied das Spiel für den SV Borna. Auch weil die Gegner als Nazis beschimpft worden wären. Immer wieder sieht sich der Rote Stern wegen politischer Äußerungen unter Druck.
    "Was ist politisch und was ist nicht politisch? Das ist äußerst schwierig. Also ich bin der Meinung Antifaschismus, oder dass ich mich gegen jede Art von Diskriminierung stelle, sind für mich gesellschaftliche Werte und keine Politik", sagt Döring. Werte, denen sich die Fußballverbände durch Antidiskriminierungsregeln ebenfalls verpflichten. Einige glauben allerdings, die Realität sieht anders aus.
    Fans der BSG Chemie Leipzig hatten 2013 "Nazischwein" in Richtung des Torwarts vom Verein Frisch Auf Wurzen gerufen, der damals für die NPD im Wurzener Stadtrat saß. Das sächsische Sportgericht verurteilte die BSG Chemie zu 500 Euro Strafe und berief sich dabei laut Anwältin Rita Belter auf die Antidsikriminierungsregeln: "Ich hab auch nachgewiesen, dass eben das Bundesverfassungsgericht das etwas anders sieht als das sächsische Sportgericht, was eben diese Diskriminierungen und Beleidigungen anbelangt und dass es natürlich ein Werturteil ist und keine diskriminierende Äußerung."
    Weil die sich nur gegen Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion richten könne. Oberholz, Vorsitzender des Sportgerichts des NOFV und Vizepräsident des Sächsischen Fußballverbands, bleibt dabei: "Das ist vollkommen selbstverständlich in den Sportgerichten, dass solche Rufe, die sich gegen Nazis wehren, niemals bestraft werden können."
    Pragmatische Erwägungen - keine politischen
    Aber die Sache hat einen Haken. Im Einzelfall können derlei politische Äußerungen den Gegner provozieren, so Oberholz, und damit zur Störung im Spielablauf werden. Diese werden sanktioniert und so kann auch der Einsatz gegen Rechts unter die Räder geraten. Aus pragmatischen, nicht politischen Erwägungen.
    Den Vorwurf, dass die Sportgerichte auf dem rechten Auge blind wären, will er nicht gelten lassen: "Die höchsten Strafen, die wir im letzten Jahr verhängt haben, waren Sanktionen, die aus solchen Vorfällen resultierten."
    Da nicht alle Sportgerichtsurteile öffentlich gemacht werden, weil das Sache der Vereine ist, kann der öffentliche Eindruck also täuschen. Nachprüfen lässt sich das nicht - der NOFV führt keine Statistiken über Sportgerichtsverfahren.