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Politische Debatte
Konservative Offenbarungen

Das Recht, rechts zu sein - Mit dieser These provozierte Ulrich Greiner 2016 in der Wochenzeitung "Die Zeit". Nun hat der Journalist und Autor seine Gedanken zu einem aufgeklärten Konservatismus in "Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen" niedergeschrieben. Mit unerfreulichem Ergebnis.

Von Martin Hubert | 04.09.2017
    Der Journalist und Literaturkritiker Ulrich Greiner
    Der Journalist und Literaturkritiker Ulrich Greiner (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Wer Ulrich Greiners Bekenntnisbuch liest, muss sich auf eine Fahrt durch schwieriges Gelände einstellen. Und zwar weniger deshalb, weil der frühere SPD-Wähler sich nun als Konservativer präsentiert. Diese persönliche Entwicklung macht Greiner in biografischen Anekdoten und Gesprächen mit Wolf Biermann oder Botho Strauß recht klar und jeder kann entscheiden, ob er sie für überzeugend hält oder nicht. Die konservative Haltung selbst jedoch, die Greiner proklamiert, ist alles andere als leicht zu fassen. Obwohl sein Buch mit starken Worten beginnt. Die ersten Zeilen provozieren mit einem Anklang an das Kommunistische Manifest:
    "Die Angst geht um. Wovor? Es sind nicht allein die Gespenster von Donald Trump, Marine Le Pen, Geert Wilders und den anderen. Es ist die Angst vor einer konservativen Wende. Nicht so sehr das Traditionsbürgertum leidet an dieser Angst, schon gar nicht die vielfach entpolitisierte Unterschicht, sondern es leiden die Linken, und die Grünen und die dominanten Akteure der Mehrheitsparteien, es leidet die kommentierende Klasse in den Medien. Sie alle fürchten die Hoheit über den sogenannten Diskurs zu verlieren und die bislang unangefochtene Macht, die moralischen Standards des Öffentlichen zu bestimmen. Käme es dahin, ich würde es begrüßen."
    Nähe und Distanz zur radikalen Rechten
    Greiner reiht sich hier in den Kampf für eine neue konservative kulturelle Hegemonie ein, wie sie auch manche Wortführer der AfD oder der Neuen Rechten proklamieren. Dazu passt, dass er ökologisch Denkende als "Kommissare des Weltgewissens" abwertet oder vor einer drohenden Islamisierung des Westens warnt.
    Andererseits grenzt er sich immer wieder von dezidiert rechten Programmen ab. Er schreibt, dass er nicht an eine heile Vergangenheit glaube, nicht an die Utopie eines autoritären Staates, an eine homogene deutsche Nation oder biologisch-rassistische Lehren. Greiner gibt sich hier defensiv. Er spricht von einem Lebensgefühl, einem "Konservativismus", der auf eine Gegenwart reagiert, die allzu stark auf Veränderung gepolt sei.
    "Dieser konservative Modus ist der missbilligende Einspruch, nicht der verheißungsvolle Entwurf; die auf Verzögerung hoffende Kritik und nicht die optimistische Beschleunigung nach vorn. Daraus folgt, dass konservative Positionen sich immer nur von Fall zu Fall ergeben. Wenn sie programmatisch und überzeitlich werden wollen, geraten sie rasch in die Gefahr des Ideologischen."
    Manche Ideen sind anschlussfähig
    Ein pragmatischer und kritisch argumentierender Konservativismus wäre sicherlich eine Chance auch für Andersdenkende, eigene Positionen zu hinterfragen. Doch wenn Greiner daraus konservative Positionen ableitet, bleibt sein Buch erstaunlich blass.
    Die Kritik, die er beispielsweise an der Europäischen Union übt, geht über altbekannte Einwände nicht hinaus: sie sei ein überdehntes, bürokratisches Monstrum, das auf keiner gemeinsamen kulturellen Grundlage der Völker fuße. Zum Teil wird Greiner sogar unfreiwillig komisch, wenn er über das Diktat staatlicher Fürsorge klagt und als Beleg die Helmpflicht für Motorradfahrer und die Anschnallpflicht im Auto anführt. Ernst muss man hingegen nehmen, was Greiner über die moderne Reproduktionsmedizin und die Rolle von Ehe und Familie schreibt.
    Seinem Argument, dass die moderne Reproduktionsmedizin einem Optimierungswahn folge, der natürliche Grenzen nicht mehr anerkennt, werden viele folgen können. Doch Greiner beschwört auch eine quasi naturgesetzliche Abfolge der Abstammungsgemeinschaft, die durch die Reproduktionsmedizin und das Kinderkriegen lesbisch-schwuler Paare zerstört werde. Und um die deutsche Kultur gegen den Islam abzugrenzen, will er die bereits von Schriftsteller Botho Strauß angerufenen "Geheimnisse" der europäischen Tradition wiederbeleben.
    Instrumentalisiertes Christentum
    "Mein Konservativismus versucht die Tiefenerinnerung, von der Strauß spricht, lebendig zu halten, also ein historisches Bewusstsein zu entwickeln, das nicht bei Auschwitz endet, sondern die ganze Geschichte unseres Herkommens kennt. Sie ist unweigerlich von dem geprägt, was manche verächtlich, andere in ideologischer Absicht 'christliches Abendland' nennen."
    Der Bezug auf das christliche Abendland soll vom immer noch gegenwärtigen Albtraum "Auschwitz" entlasten. Greiner bezeichnet Auschwitz zwar durchaus als Untat, meint aber, dass sie nicht wirklich verstehbar sei und von der Linken instrumentalisiert werde. Das ist an neurechte Diskurse durchaus anschlussfähig.
    Greiner fällt auch auf, dass zum Thema "christliches Abendland" die christlichen Prinzipien der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit gehören. Das heißt streng genommen: Liebe auch den Bedürftigen, der dir begegnet, als ein Gleichnis und Bild Gottes. Muss man also islamische Flüchtlinge aufnehmen? Die selbst aufgeworfene Frage zwingt Greiner zu theoretischen Windungen:
    "Als Christ bin ich zur Barmherzigkeit gegen andere verpflichtet. Jedoch nur so weit, als ich barmherzig sein kann, ohne mir selbst und den mir Anvertrauten zu schaden. Meine Reichweite, gleichgültig, wie tatkräftig und vermögend ich bin, ist naturgemäß begrenzt, und folglich werde ich zwischen 'nahem und fernem Unglück' zu unterscheiden versuchen. Als Christ werde ich über das Gebot der Nächstenliebe nachdenken und mich fragen, wer denn, da ich ja nicht schlechthin alle lieben kann, jeweils der Nächste ist."
    Fatale Mixtur
    Greiner projiziert in die historische Tiefe des Abendlands einen neoliberal angehauchten Individualismus hinein: Unter dem Strich entscheide ich, wer Barmherzigkeit verdient. Und wenn er die Grenzen des Sozialstaats diskutiert, dient ihm die Barmherzigkeit sogar dazu, Ungleichheit als sinnvolles Schicksal zu legitimieren.
    "Wenn man akzeptieren könnte, dass Ungleichheit zu den fundamentalen menschlichen Existenzialien zählt, gewönne die Tugend der Barmherzigkeit ihr altes Gewicht zurück."
    Greiners Konservativismus ist ein schillerndes Gemisch aus kritischen Anregungen, kulturpolitischer Kampfansage und der Sehnsucht nach einer irgendwie verbindenden Vergangenheit. Es ist ein Mix, aus dem sich jeder herausholen kann, was ihm behagt. Das Fatale an dem Buch ist daher, dass es mit dafür sorgen könnte, einen harten rechten Konservatismus hegemoniefähig zu machen, den Greiner nach eigenem Bekunden gar nicht will.
    Ulrich Greiner: "Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen"
    Rowohlt Verlag, 159 Seiten, 19,95 Euro.