Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Politische Essays
Stefan Zweigs Wandlung zum Pazifisten

Stefan Zweig war einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller im Exil, galt aber bislang als unpolitischer Autor und Zauderer. Ein neuer Essayband mit weitgehend unbekannten Texten differenziert dieses Bild - und zeigt ihn als Pazifisten und überzeugten Europäer.

Von Angela Gutzeit | 11.02.2020
Der Schriftsteller Stefan Zweig
Mischte sich unermüdlich ein und nahm Stellung zu den gewaltigen Umbrüchen seiner Zeit: Stefan Zweig (Sonderzahl Verlag)
Stefan Zweig war ein unpolitischer Autor. Ein Eskapist, ein Träumer. So zumindest will es die Rezeptionsgeschichte bis heute. Aber stimmt das? Allein schon die bislang bekannten, aber wenig beachteten Essays und Reden Stefan Zweigs zeigen den Autor in einem anderen Licht. Von etwa 1914, dem Beginn des Ersten Weltkrieges, bis zu seinem Freitod im Jahre 1941 war Zweig als öffentliche Stimme präsent. Egal, wo er war – in Österreich, der Schweiz, später von seinen Exil-Ländern England, den USA, Argentinien, Paraguay und Brasilien aus. Unermüdlich mischte er sich ein, nahm Stellung zu den gewaltigen Umbrüchen seiner Zeit, hielt Reden, korrespondierte mit Intellektuellen in Europa.
Der jetzt von Stephan Resch herausgegebene Essay-Band "Worte haben keine Macht mehr" mit überwiegend unbekannten politischen Texten Zweigs ist eine wichtige Ergänzung zu dem von Knut Beck im Jahre 1983 im Rahmen der S. Fischer-Werkausgabe edierten Band "Stefan Zweig. Die schlaflose Welt". Dieses Buch enthielt die bis dahin verfügbaren Aufsätze und Vorträge Zweigs aus den Jahren 1909 bis 1941.
Die Freunde verleugnet
Woran liegt es also, dass sich das Bild des unpolitischen oder sogar politisch wirren Autors Stefan Zweig über Jahrzehnte so verfestigte, dass auch die Forschung seinen Essays zum politischen Zeitgeschehen wenig Beachtung schenkte? Vielleicht an Texten wie beispielsweise "An die Freunde im Fremdland", nachzulesen in dem erwähnten Band "Die schlaflose Welt" von 1983. In diesem Aufsatz von 1914 distanzierte sich der belesene Frankreich-Kenner Stefan Zweig von seinen französischen Freunden. Er glaubte, seinem kriegführenden Heimatland Österreich-Ungarn und Deutschland Loyalität schuldig zu sein.
" ... ich bin nur dann ganz wahr, wenn ich euch einzelne verleugne: der geringste plattdeutsche Bauer, der kaum ein Wort meiner Sprache versteht und sicherlich kein Wort meines Herzens, steht mir näher in diesen Stunden als ihr, meine Lieben, denen ich so oft mich hingab mit meiner innersten Empfindung, immer von Verständnis umfangen, immer von Vertrauen umfasst. Die letzte Faser deutscher Erde in Ostpreußen ist mir wichtiger als eure Städte, deren Schönheit und vielfältiger Reiz jeden Nerv meines Wesens zum Klingen brachten."
Wandlung zum Pazifisten
Stephan Resch erwähnt in seinem einleitenden Essay diese frühe Verirrung Zweigs, die viele Künstler und Intellektuelle zu Kriegsbeginn 1914 befallen hatte. Der neu aufgenommene Text "An meine französischen Brüder" von 1917 zeigt nun den Beginn der allmählichen Wandlung des kriegsbegeisterten Autors zum Pazifisten.
"Wie viele von uns wurden in die Dunkelheit geworfen, wie viele wurden in denselben Maschen des Netzes gefangen, das unsere Freiheit einschließt! Aber jetzt, da ich bei euch bin und frei sprechen kann, betrachte ich es als meine Pflicht, (…) euch ein Wort der brüderlichen Dankbarkeit und Bewunderung zu sagen."
Zeilen voller Pathos, geschrieben im Geist der Wiedergutmachung. Der französische Schriftsteller-Freund Romain Rolland hatte Zweig zuvor vorwurfsvoll geschrieben: "Ich verleugne keinen meiner Freunde."
Befremdliche Äußerungen werden nachvollziehbar
Stephan Resch hat nun die verdienstvolle Aufgabe übernommen, die politischen Äußerungen Zweigs in einen nachvollziehbaren Kontext zu stellen. Damit wird so manch eine schwer verständliche Haltung Zweigs zumindest transparenter. Ein gutes Beispiel dafür ist ein vielzitiertes Interview aus dem Jahr 1935, das geeignet ist, den jüdischen Autor und sein antifaschistisches Engagement zwei Jahre nach Hitlers Machtübernahme ins Zwielicht zu rücken. Stefan Zweig stellte sich in den Räumen seines New Yorker Verlages, der Viking Press, den Journalisten. Zur Verwunderung der Zeitungsleute weigerte sich Zweig beharrlich, öffentlich gegen das Nazi-Regime Stellung zu beziehen. Wörtlich sagte er, wie bei Resch nachzulesen:
"Ich würde niemals gegen Deutschland sprechen. Ich würde niemals gegen ein Land sprechen. Ich mache keine Unterschiede".
Für den Zeitgenossen Hermann Broch war Zweigs Zurückhaltung unverständlich. Er verweigere, so der österreichische Schriftstellerkollege, den notwendigen aktiven Wiederstand. Im vorliegenden Essayband wird Zweigs Zurückhaltung nun verständlicher: Wie Äußerungen des Autors belegen, trieb ihn die Angst um, mit öffentlichen Äußerungen gegen das Nazi-Regime den hunderttausenden in Deutschland verbliebenen Juden zu schaden.
Kämpfer für die Völkerfreundschaft
Resch hat in seinem Buch die Essays und Reden chronologisch angeordnet. Soweit die Texte von Zweig in Englisch oder Französisch geschrieben oder gesprochen wurden, sind sie in der Originalsprache abgedruckt. Im hinteren Teil der Publikation kann man die deutsche Übersetzung lesen. Diese sorgfältige Edition ergibt in der Summe das Bild eines Autors, der sich vom Kriegsbefürworter nach und nach zum engagierten Europäer entwickelte. Frieden und Internationalismus wurden für Zweig im Sinne von Völkerverständigung und Völkerfreundschaft zum obersten Gebot.
Seine Schriften belegen eine Fülle von Aktivitäten, die diese Wandlung bestätigen: Zweig war 1918 in Bern Gast beim Internationalen Frauenkongress zur Völkerverständigung. Er gab eine Klassiker-Reihe in Originalsprachen heraus, die "Bibliotheca Mundi" als Beitrag zur Völkerversöhnung. Er arbeitete mit Romain Rolland zusammen wie auch mit Henri Barbusse und dessen Gruppe "Clarté", ein Intellektuellen-Forum zur europäischen Verständigung. Er reiste nach Russland, verteidigte das sowjetische Experiment, um einer erneuten Kriegstreiberei gegen Russland entgegen zu treten. Im Aufsatz "Beim Donner der Geschütze" von 1932, veröffentlicht in der Zeitschrift "Internationale Literatur", schrieb er:
"Gerade weil eine verbrecherische Gruppe sich aus ihrer privaten Bedrängnis in einen allgemeinen Krieg flüchten will, darf Rußland ihr jetzt nicht als Ventil dienen. Darum vor allem: keinen Vorwand geben! Lieber ihre ungeschickten und nervösen Provokationen dulden und nicht Öl auf das Rad gießen, das sie in Schwung bringen wolle!"
Zwischen Zaudern und Widerstandsgeist
Stefan Zweig war ein aufrechter Kriegsgegner und Antifaschist, aber auch ein Zauderer, der immer wieder Zurückhaltung anmahnte. Auch wusste sich der Schriftsteller nicht immer zwischen den politischen Fronten von Kommunisten und Sozialisten zu positionieren. In den 20er Jahren wuchs die Gegnerschaft zwischen diesen Parteien bis zur völligen Verhärtung. Früh allerdings erkannte Zweig, dass nur noch ein Bündnis aller antifaschistischen Kräfte im Deutschen Reich die Hitler-Diktatur und damit die Katastrophe eines erneuten Krieges verhindern könnte. Alles, was Stefan Zweig tat, sprach oder schrieb, war begleitet von der Frage nach dem Selbstverständnis des Intellektuellen, nach seiner eigenen Rolle als Schriftsteller. Das trieb ihn um.
Er schwankte zwischen elitärer Abseitshaltung und kämpferischem Widerstandsgeist. Sein Idealbild des Schriftstellers war das einer "moralischen Autorität", wie er einmal an Romain Rolland schrieb. Dabei wuchsen seine Zweifel wie seine Verzweiflung stetig. Hitlers Eroberungsfeldzüge und die zunehmend aussichtslose Lage der europäischen Juden raubten dem Schriftsteller im sicheren brasilianischen Exil die letzte Hoffnung. In einer Skizze für ein Interview mit der Zeitung "Journal de Brasil" 1941 heißt es:
"Ich empfinde oft eine heimliche Schande, diese äußere Ruhe und Schönheit genießen zu können, während Millionen meiner Brüder in Europa und im heroischen England leiden, aber selbst in diesen Momenten vergisst mein Herz nicht seine Dankbarkeit gegenüber diesem Land."
Kurze Zeit später nahmen sich Stefan Zweig und seine zweite Frau Lotte das Leben. Stephan Resch hat dem großen Schriftsteller und Verantwortungsethiker mit seiner differenzierten Betrachtung einen guten Dienst erwiesen. Die Dokumente zeigen: Stefan Zweig ist als politische Stimme seiner Zeit unbedingt ernst zu nehmen. Nur schade, dass die politische Essayistik dieses Schriftstellers nach wie vor nicht in einem Gesamtwerk zu lesen ist. Das sollte sich ändern.
Stefan Zweig: "Worte haben keine Macht mehr"
Essays zu Politik und Zeitgeschehen 1916 – 1941.
Herausgegeben von Stephan Resch.
Sonderzahl Verlag, Wien, 272 Seiten, 28 Euro.