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Politische Lieder der anderen Art

Gemeinsam mit Bariton Christian Gerhaher und befreundeten Musikern hat die Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter gut 20 Titel aus einem vergessenen Repertoire auf CD gebannt: Die Stücke dokumentieren die Kulturproduktion, die im KZ Theresienstadt internierte jüdische Künstler aus vor allem Prag Anfang der 40er Jahre erschufen.

Von Frank Kämpfer | 14.10.2007
    Im Folgenden stelle ich Ihnen drei neu erschienene Tonträger vor, die sich schwer einordnen lassen. Nicht Klassik, nicht Volks- nicht Unterhaltungsmusik ist, was auf Ihnen erklingt - nichtsdestotrotz entstand es zum Gebrauch, zum Zwecke praktischen Musizierens und ist heute zumindest im Original ganz unbestritten als weltmusikalisches Erbe zu sehen.

    " Adolf Strauss, Ich weiß bestimmt, ich werd dich wiedersehn!
    Anne Sofie von Otter (Mezzosopran), Bengt Fortsberg (Klavier)
    CD Deutsche Grammophon DG 477 6546, LC 00173 "

    Alltäglich: sie oder er sieht ihn oder sie - fühlt etwas, fühlt Sehnsucht, begibt sich ins Träumen - doch man kommt nicht zusammen, einen der beiden treibt es in andere Welten und nur ein unscharfes Wünschen verbleibt. Wie viele andere, so erzählt auch dieser chansonhafte Schlager von einer Liebesbegegnung - musikalisch wie textlich bleibt er bei Standards; alles in allem ist der Titel ein wenig banal. Wäre da nicht der besondere Hintergrund seiner Entstehung. Denn Komponist Adolf Strauss, Jahrgang 1902, schrieb das Tanzlied im Jahr seines Todes - genauer gesagt, einige Tage, bevor ihn der Todestransport im Herbst 1944 aus Theresienstadt in die Gaskammer von Auschwitz verbrachte.

    Vor diesem Kontext bekommt der kleine Tango "Ich weiß bestimmt, ich werd dich wiedersehn!" musikalisch zwar nicht mehr Substanz, kulturell jedoch einen anderen Background. Gehört er doch zu den Dokumenten jener erstaunlichen Kulturproduktion, die die im KZ Theresienstadt internierte jüdische Elite aus vor allem Prag Anfang der 40er Jahre erschuf. Zunächst im Widerstand, später unfreiwillig im Dienste der NS-Propaganda, die für das Ausland kurzzeitig ein Potemkinsches Dorf florierenden Lebens hinterm Stacheldraht inszenierte.

    Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter singt diese Lieder, seitdem sie auf Bitten der Terezin Chamber Music Foundation im Jahre 2000 beim Stockholmer Holocaust Forum auftrat. Aus jenem Konzert rührt die jetzt realisierte Idee zu einer CD, die eine Auswahl an Schlagern, Chansons, Theatermusik sowie die Avantgardisten Pavel Haas, Viktor Ullmann und Erwin Schulhoff vereint. Sie verdeutlicht die Palette musikalischen Schaffens, in dem sich das Leben der Internierten, ihre Sehnsucht nach dem Normalen, real für sie nicht mehr Existenten artikuliert. Gemeinsam mit Bariton Christian Gerhaher und mit befreundeten Musikern hat die Mezzosopranistin gut 20 Titel aus dem vergessenen Repertoire produziert. Ob beide Sänger für jeden Song genau die Richtigen sind, sei hier nicht diskutiert - bedeutender scheint mir, der Name von Otter und die Marke Deutsche Grammophon tragen ganz klar dazu bei, Problematik und Erbe Theresienstadts nun endlich auch auf dem deutschen Musikmarkt ins Bewusstsein zu rücken.

    Hier als weiterer Höreindruck ein Stück Avantgardemusik: der Titel Freunde aus Hans Krasas Drei Liedern nach Arthur Rimbaud, übersetzt von Vitezlav Nezval.

    " Hans Krasa, Vzrušení
    Christian Gerhaher (Bariton), Ib Hausmann (Klarinette), Philip Dukes (Viola), Josephine Knight (Violoncello)
    CD Deutsche Grammophon DG 477 6546, LC 00173 "

    Lieder und Kammermusik aus dem KZ Theresienstadt - ein Produktion des Labels Deutsche Grammophon.

    Auch die nächste CD kreist musikalisch um die 1940er Jahre - kultureller Fix-Punkt ist die Metropole Berlin. Die Platte dokumentiert ein Programm, das der Performer und Sänger Theo Bleckmann auf Bitten der New Yorker Brooklyn Academie of Music kreierte. Bleckmann, gebürtig in Dortmund und bekannt von seinen Konzerten mit Meredith Monk und Philipp Glass, zählt in New York inzwischen selbst zu dem Musikstars. Er fasziniert sein Publikum mit ästhetischen Grenzgängen - verwurzelt ist er im Jazz.

    Vor diesem Hintergrund überrascht, was das Titelregister der beim Label Winter & Winter editierten CD "Berlin - Songs of love an war, peace and exile" versammelt. Fast ausschließlich konzentriert sich Bleckmann auf Bert Brecht, Kurt Weil, Paul Dessau, Hanns Eisler - also auf substanzielle Musik linker Couleur. Politisch betrachtet, wirkt die Platte eher amerikanisch als deutsch. Die Dramaturgie wirk manchmal naiv - und hierzulande ist es derzeit mitnichten en vogue, etwa Hans Eislers "Neue deutsche Volkslieder" nach Versen Johannes R. Bechers zu singen.
    Zu den Stärken der Platte, die die Themen Krieg und Exil reichlich un-orthodox, das heißt auch im Blick auf ihr Gegenteil "peace and love" anfasst, gehören die Arrangements, die Pianist Fumio Yasuda beisteuert, ins Jazz-Idiom gleitende, neo-romantische Klavierparts wechseln mit Streichquartett-Sätzen, die Klassisches suggerieren und um experimentelle, aufstörende Passagen erweitert sind.

    Ein insgesamt entspannter, spielerischer, nicht-pädagogischer Beitrag zur in Deutschland eher festgefahrenen Brecht-Eisler-Rezeption.


    " Hanns Eisler, Hollywood-Elegie Nr. 7
    Theo Bleckmann (Gesang), Fumio Yasuda (Klavier), String Quartet
    CD Winter & Winter 910 138-2, LC 02829 "

    Theo Bleckmann, Fumio Yasuda und Streichquartett mit dem Album "Berlin - Songs of Love and war, peace and exile". Erschienen bei Winter & Winter.

    Die dritte und für heute letzte Neuproduktion führt nach Amsterdam und hat ihrerseits einen Vorlauf. 1984 führte das niederländische Schönberg Ensemble mit seinem Leiter Reinbert de Leeuw Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" erstmals mit Barbara Sukowa auf. Ein Ereignis, das damals für Aufsehen sorgte - brachte es doch den nicht ursächlich für Opernsänger, sondern für dramatischen Sprechgesang angelegten Zyklus vom Konzertsaal ins Theater zurück.

    23 Jahre später ergab die Zusammenarbeit von Dirigent und Darstellerin ein neues Projekt, das an das erste erinnert. Es sind drei mal sieben Lieder von Schumann und Schubert, in einen eigenen musikdramatischen Ablauf gebracht und für Kammerensemble und singende Schauspielerin neu arrangiert. Schumanns "Dichterliebe" von 1840 gibt das Gerüst - thematisch entwickelt sich eine innere Reise durch Gefühlsstadien des Liebens. Was sich dabei offeriert, bleibt nicht belanglos - die emotionale Palette reicht von Rastlosigkeit, vom Sich-Verzehren bis zu Ungestilltheit und Verlassensein.

    Dank Reinbert de Leeuws Instrumentierungen wirken die 21 Lieder geschärft, der Staub zweier Jahrhunderte verharmlosender Darbietung scheint mit einem Schlage entfernt. Der Dirigent, hier selbst am Klavier, hat sich mancher Extreme bedient und ungewöhnliche Kombinationen, Schnitte und Eingriffe gewagt. Holzbläserquintett, Horn, Harfe und Streichsextett realisieren all dies höchst theatralisch: Träume kippen in Alpträume, aus Abstürzen wächst wieder Hoffnung, nie bleibt ein Liebesgefühl statisch und gleich. Die Textausdeutung leistet das Ihre, sie ist stets intensiv und vom Gestus rasch wechselnd. Dank Barbara Sukowas vielgestaltigem Deklamieren und Singen entwächst dem hier neu kreierten Schumann-Schubert-Zyklus "Im wunderschönen Mai" etwas Unerledigtes, Unabgegoltenes, Gegenwärtiges. - Ein Beispiel: Schubert nach Goethe, "Gretchen am Spinnrade".

    " Schubert / de Leeuw, Gretchen am Spinnrade
    Barbara Sukowa (Stimme). Schönberg Ensemble
    CD Winter & Winter 910 132-2, LC 02829 "

    Barbara Sukowa (Stimme), Reinbert de Leeuw (Klavier und Arrangements) und das Schönberg Ensemble mit Liedern nach Schumann und Schubert. Diese Produktion findet sich beim Münchner Label Winter & Winter.