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Politische Ungewissheit
Argentinien in wirtschaftlichen Turbulenzen

Lohnerhöhungen, Steuersenkungen und eine Anhebung des Mindestlohns: Mitten in Argentiniens schwerer Wirtschaftskrise hat der angeschlagene Präsident Mauricio Marci umfassende Maßnahmen angekündigt. Experten glauben jedoch nicht an eine Reaktivierung der Wirtschaft.

Von Victoria Eglau | 20.08.2019
Der argentinische Präsident Mauricio Macri spricht am 22.10.2017 in Buenos Aires, Argentinien, nach seiner Stimmabgabe anlässlich der Parlamentswahl mit Medienvertretern.
Der argentinische Präsident Mauricio Macri (Julietta Ferrario/ZUMA Wire/dpa)
Ein Supermarkt in Recoleta, einem Mittelklasse-Stadtteil von Buenos Aires. Eine ältere Frau vergleicht Preise, legt dann drei abgepackte Hähnchenschenkel in den Einkaufswagen.
"Ich kaufe Huhn statt Rindfleisch, das ist billiger", sagt die Argentinierin.
Kein Zweifel: In ihrer Rindfleisch liebenden Heimat ist das eine schmerzhafte Sparmaßnahme. Rindfleisch, aber auch Brot und Speiseöl seien in den letzten Tagen wieder teurer geworden, klagt die Kundin. Der Auslöser des Inflationsschubs: Der Einbruch der Landeswährung Peso in der vergangenen Woche, nach der herben Niederlage von Präsident Mauricio Macri bei den Vorwahlen.
Rezession statt Aufschwung
Dass einer Abwertung sofort Preiserhöhungen folgen, ist in Argentinien nichts Neues. Macri reagierte am Donnerstag mit der Ankündigung, eine Reihe von Grundnahrungsmitteln von der Mehrwertsteuer zu befreien, vorübergehend, bis zum Jahresende. Eine nutzlose Maßnahme, findet diese Supermarktkundin:
"Die Befreiung von der 21-prozentigen Mehrwertsteuer bringt kaum etwas, denn sie wird ja auf die bereits erhöhten Preise angewandt. Das ist keine wirkliche Entlastung."
Tatsächlich liegt die jüngste Verteuerung bei mindestens 15 Prozent. Und viele Argentinier fürchten, dass angesichts der politischen und wirtschaftlichen Ungewissheit bis zu den Wahlen im Oktober der Peso weiter an Wert verlieren könnte, was noch mehr Inflation zur Folge hätte. Der Liberale Macri, vor knapp vier Jahren angetreten, hat die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung enttäuscht. Argentinien steckt in einer tiefen Rezession, Arbeitsplätze sind verloren gegangen, die Armutsrate ist auf mehr als 34 Prozent gestiegen.
Das Maßnahmenbündel, das Macri wenige Tage nach der Vorwahlschlappe ankündigte, darunter Erhöhungen von Mindestlohn und Sozialhilfen sowie Steuererleichterungen, überzeugt viele Bürger nicht.
"Das bringt doch nichts, diese Maßnahmen für vier Monate - das ist kein Projekt", meint die Frau im Supermarkt frustriert. Wenige Kilometer entfernt, im Zentrum von Buenos Aires, direkt gegenüber dem Regierungspalast, erhalten Dutzende von bedürftigen Argentiniern freitags ein warmes Abendessen. Ausgegeben wird es von der NGO Red Solidaria. Eine Frau, die davon lebt, dass sie Recyclingmüll sammelt und verkauft, schimpft auf Macri:
"Die Maßnahmen, die er angekündigt hat, sind nur ein Pflaster, aber keine Lösung. Mit der Extrazahlung für Kinder armer Familien will er nur unsere Stimmen kaufen."
Wirtschaftspolitischer Stillstand
Die Müllrecyclerin ist pessimistisch, sie erwartet für die nächsten Monate noch mehr Kaufkraftverlust, noch mehr Armut. Auch viele Experten sehen die soziale Lage mit Sorge. Der Ökonom Miguel Boggiano glaubt nicht an eine baldige Reaktivierung der Wirtschaft:
"Der Präsident kann politisch nichts mehr bewegen, er hat keine Macht mehr. Die Zeit bis Dezember, wenn eine neue Regierung antreten wird, ist verlorene Zeit, in der keine neuen wirtschaftspolitischen Initiativen mehr möglich sind."