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Politische Zoologie
Der Wettbewerb der Tierparks auf beiden Seiten der Mauer

Mit dem Fall der Mauer endete auch das jahrzehntelange Aufrüsten in den Zoos in Ost und West - ein politisch aufgeladener Wettbewerb um Exoten und Attraktionen. Jan Mohnhaupt zeichnet diesen tiefgründig und zugleich amüsant nach in seinem Buch "Der Zoo der Anderen".

Von Stefan Maas | 27.02.2017
    Der Berliner (Ost-Berlin) Tierpark-Direktor Heinrich Dathe und die Rundfunkreporterin Karin Rohn (Maria Rückert) bei einem Tierpark-Gespräch im Herbst 1990.
    Heinrich Dathe kam 1954 aus Leipzig, um in der Hauptstadt der DDR den modernsten und größten Tierpark der Welt zu erschaffen. (dpa)
    Das Urteil des Tierarztes über "Willy Brandt" fällt ernüchternd aus: "Ein ziemlich altes Luder."
    Dabei waren die Berliner in Scharen gekommen, als Robert Kennedy, der jüngere Bruder von JFK - und Justizminister der USA - am 21. Februar 1962 dem West-Berliner Zoo den Weißkopfseeadler übergab - und ihn, ohne auf das Geschlecht des Tieres zu achten, nach dem Regierenden West-Berliner Bürgermeister benannte. Schnell stellt sich jedoch heraus, der Vogel kann kaum noch schlucken, seine wegen des Alters verhornten Klauen machen es ihm unmöglich, auf einem Ast zu sitzen oder Beute zu greifen.
    "Oft war das bei Staatsgeschenken auch so, dass man die Tiere genommen hat, die man am leichtesten entbehren konnte." Erzählt Jan Mohnhaupt, der Autor des Buchs "Der Zoo der Anderen".
    "Heinrich Lübke hat im Tschad mal einen Leoparden geschenkt bekommen und hat den auch dem Berliner Zoo vermacht. Und als der Leopard dann hier angekommen ist, hat man gesehen, dass es ein kastrierter Kater war. Also, der war für die Zucht überhaupt nicht mehr zu gebrauchen."
    Tierische Staatsgeschenke als Statussymbol
    Als der Adler "Willy Brandt" zwei Jahre später stirbt, hat der Direktor des Zoos schon längst ein neues, jüngeres Tier gekauft, das er dem Publikum zeigt, wenn der alte - wie "Der Spiegel" damals schreibt - vom Rheuma geplagt wird und wieder nicht im Freien sitzen kann. Denn Heinz-Georg Klös, der den Zoo im Westen der Stadt 1956 übernommen hat, weiß um die Bedeutung solcher tierischer Staatsgeschenke. Nicht nur für die Besucher, die sich an den seltenen Tieren erfreuen, sondern auch für den Zoo und seinen Direktor selbst. Denn auch wenn Zoos untereinander personell oft eng verknüpft sind, zusammenarbeiten und regelmäßig Tiere austauschen: geht es um besondere Tiere, dann werden auch Freunde zu Rivalen.
    Im Fall des Berliner Zoos kommt noch eine Besonderheit hinzu, wie Jan Mohnhaupt schreibt. Denn nur wenige Kilometer vom traditionsreichen Zoo im Westteil der Stadt ist 1955 ein zweiter eröffnet worden. Der Tierpark in Friedrichsfelde.
    Soll der ursprünglich vor allem verhindern, dass die Ostberliner ständig in den Westen fahren, wird in den beiden Anlagen schon bald der Stellvertreterkampf der beiden politischen Systeme geführt: "Fortan geht es in erster Linie nicht mehr um die Gunst der Besucher, sondern um die ganz großen Tiere in Bonn und Ost-Berlin."
    Hinzu kommt, die beiden Direktoren haben kein gutes persönliches Verhältnis, schreibt Autor Mohnhaupt: "Beide kamen in den Fünfziger Jahren in das geteilte Berlin. Heinrich Dathe 1954 aus Leipzig, um in der Hauptstadt der DDR den modernsten und größten Tierpark der Welt zu erschaffen. Klös folgt [...] später aus Osnabrück, um im Westteil der Stadt dem ältesten Zoo Deutschlands zu neuem Glanz zu verhelfen."
    Zwei Zoos - Zwei Rivalen
    Während Klös als Person stets im Schatten des charismatischeren Dathe steht, hat dieser wiederum zu kämpfen, dass sein Tierpark mit dem reichsten und bedeutendsten Zoo der Bundesrepublik mithalten kann. Dabei haben sie eines gemeinsam, sagt Autor Mohnhaupt: "Die waren beide keine Kalten Krieger, die den Sozialismus oder den Kapitalismus nach vorne bringen wollten. Sie wollten einfach ihren Zoo nach vorne bringen."
    Um das zu erreichen, wissen die beiden sehr wohl, die politische Rivalität zwischen Ost und West zu nutzen.
    "Es gibt natürlich Briefe von Dathe an Walter Ulbricht persönlich, wo er mehrere Tonnen Zement bestellt hat, und gesagt hat, wenn das jetzt nicht bald geliefert wird, dann läuft uns der Zoo im Westen wieder den Rang ab, und wir haben nach zwei Jahren Aufbauzeit wieder verloren. Und das wollen wir doch bestimmt nicht."
    Genau so direkt fordert er Spenden für die Anschaffung von Tieren ein, verärgert mit seiner forschen Art zwar die Parteioberen, kommt aber wegen der politischen Bedeutung des Tierparks davon.
    "Allerdings muss man auch sagen, hat Dathe es geschafft, die Staatspolitik größtenteils gut rauszuhalten. Er hat sie vor seinen Karren gespannt die Politiker, hat das Brehm-Haus am 70. Geburtstag von Walter Ulbricht eröffnet, das ist kein Zufall. Dass er dann immer wieder Friedrich Ebert Junior in jedem Tierparkführer mit Bild abgebildet hat, weil er genau wusste, wie eitel der ist, dass der sich freut, wenn er ein Bild von sich sieht. Er hat die halt umgarnt. Andererseits hat er fast immer geschafft, politische Banner aus dem Tierpark zu verbannen. Darauf hat er geachtet, weil er sagte, hier geht es um Kultur und nicht um Politik."
    Russlands Zorn über West-Berliner Pandabären
    Auch Heinz-Georg Klös im Westen weiß die Frontstellung seines Zoos zu nutzen - und überredet etwa 1980 den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, ihm zwei Pandas zuzuschanzen, die die Volksrepublik China der Bundesrepublik schenkt: "Helmut Schmidt hat natürlich ganz gezielt diese Pandabären nach West-Berlin gegeben. Als Zeichen, dass West-Berlin für ihn Teil der Bundesrepublik ist."
    Hatte die Ostpresse über den Adler "Willy Brandt" lediglich genüsslich gelästert, führt das Panda-Geschenk dazu, dass der russische Botschafter empört protestiert.
    Doch zu diesem Zeitpunkt hat der Westberliner Zoo das Wettrüsten längst für sich entschieden, auch weil Tierparkdirektor Dathe viele Bauvorhaben nicht umsetzen kann, da das ohnehin knappe Baumaterial für andre, wichtigere Projekte gebraucht wird.
    Eine ganz andere Welt im Kalten Krieg
    Dem Autor Jan Monhaupt, der als freier Journalist viele Jahre für den Berliner "Tagesspiegel" über Zoo und Tierpark berichtet hat, ist mit "Der Zoo der Anderen" ein vergnüglicher und zugleich tiefgründiger Blick hinter die Kulissen deutscher Zoos der Nachkriegszeit gelungen. Denn auch wenn er hauptsächlich auf die beiden Berliner Zoos schaut, nimmt er seine Leser immer wieder mit auf Exkursionen in die anderen Tiergärten in Ost und West. Dort trifft der Leser auf eine eingeschworene Gemeinschaft, die auch dann noch Tiere tauscht, als es offiziell nicht mehr geht. Und sich hilft, wenn jemand "rübermacht".
    Mohnhaupt erzählt aus einer Welt, die sich wandelt mit wachsendem Bewusstsein für Umwelt- und Tierschutz. Vor allem aber erzählt er die Geschichte zweier Männer, die ihren Tieren mehr Zeit widmen als ihren Familien, die wissen, die politische Situation zu ihren Gunsten zu nutzen, zugleich aber oft von erstaunlicher politischer Naivität sind. Und es ist die Geschichte einer Rivalität, die sowohl nur unter diesen besonderen Umständen entstehen konnte.
    Kurz nach dem Fall der Mauer geht die Ära der beiden Direktoren dann auch zu Ende. Heinz-Georg Klös geht 1991 in den Ruhestand. Der damals 80-jährige Heinrich Dathe wird Ende 1990 zwangspensioniert. Er stirbt am 6. Januar 1991. Genau an Heinz-Georg Klös' 65. Geburtstag.
    Jan Mohnhaupt: "Der Zoo der Anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete"
    Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, 20 Euro