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"Politische Zusammenhänge ausgeblendet"

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Klage des Kreml-Kritikers Chodorkowski geht nicht weit genug, sagt Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die russische Justiz sei politisch gelenkt, das hätte deutlich gemacht werden müssen.

Markus Meckel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 25.07.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Mitglieder der Punk-Band Pussy Riot, der Oppositionspolitiker Nawalny und natürlich der ehemalige Ölmagnat Michail Chodorkowski, sie alle waren auch nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen dazu verdammt, Bekanntschaft mit einer politisch gelenkten Justiz in Russland zu machen. Denn kaum jemand geht davon aus, dass bei der Verfolgung von Regierungsgegnern der Kreml nicht seine Finger im Spiel hat. Michail Chodorkowski hat deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Er war in einem international kritisierten Verfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Betrugs zu acht und noch einmal zu sechs Jahren Haft verurteilt worden und sitzt seither in einem sibirischen Gefangenenlager fest. Die Klage hatte Erfolg, allerdings nur zum Teil.
    Darüber möchten wir sprechen mit Markus Meckel von der SPD, ehemals Außenminister der DDR, jetzt Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Schönen guten Tag, Herr Meckel.

    Markus Meckel: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt also Russland wegen des Vorgehens gegen Chodorkowski, bewertet das Verfahren aber nicht als politisch motiviert. Ist Russland Justiz also doch besser als ihr Ruf?

    Meckel: Ich glaube nicht, dass sie besser ist als ihr Ruf. Zu allererst ist es ja wichtig festzuhalten, dass dieser Prozess unfair genannt wird und dass die Haftbedingungen kritisiert werden und dass jetzt nun wirklich auch Russland aufgefordert werden muss, dass es dem Folge leistet und die Dinge neu aufwirft, und natürlich auch, dass die Haftbedingungen dort verändert werden, insbesondere in Bezug auf Sibirien. Aber ich glaube trotzdem, dass dieses Urteil durchaus suboptimal ist. Ich hatte schon gehofft, dass mit einem klareren Blick auch auf die politischen Zusammenhänge dies auch deutlicher als ein politischer Prozess benannt wird, so wie es ja Amnesty International gemacht hat, die nach dem zweiten Prozess Chodorkowski klar als politischen Häftling gekennzeichnet haben, und ich würde diesem Urteil von Amnesty International folgen.

    Heckmann: Herr Meckel, die russische Aktivistin Alexejewa sagt, das Urteil sei nicht nur mild, sondern auch feige.

    Meckel: Dass es die politischen Zusammenhänge in dieser Weise ausblendet, halte ich wirklich für ein Problem und glaube, dass hier die politischen Fragen klarer ins Blickfeld genommen werden müssen und auch in dem sonstigen Kontext dessen, was wir in der russischen Justiz ja erleben. Wir haben vor wenigen Tagen die Verurteilung von Alexei Nawalny erlebt zu fünf Jahren Lagerhaft, auch wenn es noch nicht rechtsgültig ist, aber auch dies ist ein verheerender Prozess, wo ein Oppositioneller ganz offensichtlich mit politischer Motivation in die Ecke gedrängt werden kann. Wir sehen die NGO-Gesetze, wo NGOs, die einfach die Menschenrechte wahrnehmen wollen von Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, den Weg in die Öffentlichkeit suchen auch in kritischen Fragen gegenüber dem eigenen System und den Problemen im eigenen Land, wie sie kriminalisiert werden und sich als ausländische Agenten selber anzeigen müssen. All das sind absurde Prozesse, die wir in keiner Weise akzeptieren können.

    Heckmann: Aber bleiben wir mal bei dem Fall Chodorkowski, Herr Meckel. Sie sagen, das Gericht habe die politischen Zusammenhänge ausgeblendet. Das Gericht sagt aber ganz klar, diese Verfahren seien nicht politisch motiviert. Muss man das nicht akzeptieren?

    Meckel: Ich kann das nicht akzeptieren, weil wenn ich mir allein den zweiten Prozess, der hier nicht Thema war, natürlich - das muss man jetzt natürlich mit berücksichtigen. Der erste Prozess hatte ja den Gesamtkontext damals des Yukos-Konzerns, und auch das war in meinen Augen schon klar politisch. Aber wenn man den zweiten Prozess sich ansieht, wo man dann vorgeworfen hat, dass Millionen Kubikmeter von Öl unterschlagen worden seien und Milliarden Summen, dann ist das ganze eine so absurde Vorstellung, wie man sie sich überhaupt nicht anders vorstellen kann, dass dies ganze natürlich nicht anders als politisch verstanden werden kann. Also ich glaube hier wirklich, das Urteil ist, um es vorsichtig zu sagen, suboptimal und wir müssen versuchen, es in den entsprechenden politischen Kontext neu hineinzunehmen, in den es in meinen Augen gehört.

    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Meckel, Sie erwarten, dass der Fall neu aufgerollt wird. Gehen Sie denn wirklich davon aus, dass dieser Prozess noch mal neu startet?

    Meckel: Jedenfalls, wenn man ihn in irgendeiner Weise ernst nehmen muss, müsste er neu aufgerollt werden. Ich traue dies natürlich der politischen oder überhaupt der Justiz in Russland nicht zu, weil ich nicht nur in diesem Fall, sondern auch in einer Reihe von anderen Fällen davon ausgehen muss, dass hier eine politische und das heißt, eine gelenkte Justiz faktisch diese Urteile fasst. Es gab ja bei dem zweiten Urteil sogar eine Justizmitarbeiterin, die deutlich gemacht hat, dass sogar der Richter sein eigenes Urteil, das er bringen wollte, das ja auch nicht gerade ein Freispruch war, ersetzt worden ist durch ein vorgegebenes, was sogar festzustellen war beim Vorlesen seines Urteils. Das heißt, die konkreten Situationen des Justizablaufes sind hier hanebüchen und wirklich politisch gelenkt, davon bin ich überzeugt.

    Heckmann: Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, Sie haben einige schon angesprochen, man könnte auch Pussy Riot noch nennen, Alexei Nawalny natürlich auch …

    Meckel: Oder Magnitskij, der sogar nach seinem Tode noch verurteilt worden ist. Das muss man sich mal konkret vorstellen.

    Heckmann: Der Kreml gibt sich ja offenbar keine Mühe mehr, wirklich den Eindruck einer unabhängigen Justiz zu vermitteln. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

    Meckel: Das ist, glaube ich, die eigentlich wirkliche Spannung, dass man fragt, in welche Richtung geht Russland, und hier habe ich die allergrößte Sorge, dass das putinsche Russland immer mehr versucht, sein Umland zu arrondieren, in eine postsowjetische Integration zu kommen, indem man etwa jetzt gerade ganz akut auf die Ukraine starken Druck ausübt, und der internationale Zusammenhang, in dem Russland ja durchaus auch eine wichtige Rolle hat, nicht zuletzt im Sicherheitsrat, dass diese Fragen internationalen Rechtes für Russland immer mehr außen vor bleiben, und das muss natürlich sowohl für die internationalen Konflikte und Probleme große Sorge machen, wie wir es ja in Syrien sehen, aber es macht natürlich auch Sorge für die Nachbarn Russlands, die von diesem Druck sehr stark betroffen sind, und natürlich die Gesellschaft selbst. Dieses ist ja, wie ich glaube, ein innerer Zusammenhang, dass man mit Druck und Repression arbeitet und wenig mit Überzeugung und schon gar nicht auf der Grundlage klaren Rechts, weder international noch im Inland.

    Heckmann: Man muss aber auch sehen, dass die Einflussmöglichkeiten des Westens beschränkt sind. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, und auch Außenminister Guido Westerwelle, die äußern ja durchaus deutliche Kritik. Aber nicht deutlich genug?

    Meckel: Ich glaube schon, dass Markus Löning und auch manche Stimmen der Bundesregierung und auch Stimmen in Deutschland sich sehr klar äußern. Ich finde das wichtig. Ich sehe, dass leider die EU als Ganzes noch nicht klar genug in ihren Positionen ist und dass wir hier noch stärker versuchen müssen, eine gemeinsame europäische Politik gegenüber Russland zu etablieren, die diese Probleme klar beim Namen nennt. Auf der anderen Seite ist natürlich auch klar, dass Russland ein wichtiger internationaler Akteur bleibt, mit dem man handlungsfähig sein muss zur Lösung internationaler Probleme. Insofern müssen wir beides tun: Die Dinge klar benennen, eine klare Linie haben, die werteorientiert ist, und die Probleme benennen, auf der anderen Seite Russland als Partner ernst nehmen, aber mit den Werten konfrontieren, die sie ja selber unterschrieben haben. Denn Russland hat alle Menschenrechtspakte unterschrieben und ist ein Teil des internationalen Rechtssystems und insofern müssen wir Russland mit aller Schwierigkeit, die das immer wieder bedeutet, klar auf diese Orientierung hinweisen. Ich habe große Sorge vor der Stabilität Russlands in Zukunft, denn was viele für Stabilität Russlands halten, halte ich für ausgesprochen instabil, weil die notwendige Modernisierung fehlt.

    Heckmann: Der ehemalige Außenminister der DDR, Markus Meckel von der SPD. Herr Meckel, danke Ihnen für das Interview.

    Meckel: Bitte schön.


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