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Politischer Druck auf türkische Winzer

Im türkischen Parlament wurde ein Gesetzespaket gebilligt, wonach unter anderem jegliche Werbung verboten und der Verkauf von Alkohol stark eingeschränkt werden soll. Die Opposition wirft der Regierung um Erdogan vor, dem Land einen islamischen Lebensstil aufzwingen zu wollen.

Von Gunnar Köhne | 27.05.2013
    Sie reichen fast bis ans Meer und haben Sonne satt. Die Weinberge Thrakiens im äußersten Westen der Türkei sind von der Natur verwöhnt. Hititer, Griechen, Römer … seit Jahrtausenden wird in dem Gebiet der heutigen Türkei Wein angebaut. Cem Cetintas will an diese Tradition anknüpfen. Vor zehn Jahren pflanzte der Winzer aus Leidenschaft hier, unweit der griechischen Grenze, die ersten Rebstöcke. Doch er gehört immer noch zu den Ausnahmen:

    "In den vergangenen zehn Jahren wurden hier in dieser Region viele Rebstöcke vernichtet und durch Olivenbäume ersetzt. Früher hat der Staat den Winzern die Trauben abgekauft. Meistens für die Produktion des Anisschnapses Raki. Als das aufhörte, fanden die Bauern keine Abnehmer mehr und mussten aufgeben."

    Gläubigen Moslems ist der Alkoholgenuss untersagt. Doch in Hosköy, dem Dorf von Winzer Cetintas, nimmt das niemand so genau. Jahrzehntelang hat man hier vom Weinanbau gelebt. Bis die religiös-konservative AKP-Regierung an die Macht kam. Nun hofft man hier auf Winzer wie Cetintas. Doch der muss mit Politik und Bürokratie des Landes kämpfen.

    Die Steuer auf Alkohol wird regelmäßig erhöht und demnächst soll Cetintas auch Warnhinweise auf seine Flaschen kleben. Ähnlich wie auf Zigarettenpackungen. So sieht es ein Gesetzentwurf der Regierung vor. Darüber hinaus plant Ankara ein totales Werbeverbot für Alkohol. Auch auf Kneipenschildern oder Tischdecken sollen Logos von Alkoholmarken verschwinden. Ministerpräsident Tayyip Erdogan begründet diese Vorschläge mit dem Schutz der Jugend. Religiöse Motive bestreitet er.

    "Wir sind doch als Regierung verpflichtet, Maßnahmen gegen die immer größeren Gefahren des Alkoholkonsums für die Volksgesundheit und die Gesellschaft allgemein zu ergreifen."

    Doch allen Warnungen zum Trotz ist der Pro-Kopf-Verbrauch reinen Alkohols in der Türkei laut OECD seit Regierungsantritt der AKP im Jahr 2002 gestiegen. Und zwar von 1,4 Litern pro Jahr auf 1,5 Liter. Allein im vergangenen Jahr legte der Alkoholkonsum in der Türkei im Jahresvergleich noch einmal kräftig um 6,3 Prozent zu – wenngleich unter Mithilfe der rund 30 Millionen Touristen. Und auch wenn der Deutsche im Durchschnitt zehn Mal mehr Alkohol trinkt als der Türke: Fromme Abstinenz spricht nicht aus diesen Zahlen.

    Die Anti-Alkohol-Gesetzesnovelle stieß auf so heftige Kritik, dass die AKP ein paar Passagen entschärfen will. Doch auf lokaler Ebene schaffen die Funktionäre der Partei vielerorts schon Tatsachen. Etwa im Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Dort müssen Dutzende Spirituosenverkäufer in diesen Tagen den Verkauf einstellen, weil ihr Laden in der Nähe einer Moschee oder einer Schule liegt. Auch der Händler Harun Bülbül muss die letzten Alkoholflaschen aus den Regalen seines Ladens räumen und die Bierwerbung überkleben. Dabei sei der Alkoholverkauf an unter 21-Jährige doch ohnehin verboten, sagt der Händler verbittert:

    "100 Meter Abstand zu einer Schule sind verboten, aber 101 Meter sind kein Problem? So etwas Lächerliches! Wenn ich jetzt nur noch Softdrinks verkaufen kann, bin ich in 2 bis 3 Monaten pleite."

    Die türkische Weinwirtschaft befindet sich in einer paradoxen Situation. Denn trotz des politischen Drucks wächst der Sektor unaufhörlich. Noch nie gab es so viele türkische Weinmarken wie heute. Der Grund: Sie würden bei Ausländern immer beliebter, sagt der Vorsitzende des türkischen Weinverbandes Taner Ögütoglu stolz:

    "Türkische Weine haben in den vergangenen zwei Jahren weltweit mehr als 500 Preise gewonnen. Die Regierung unterstützt uns deshalb im Bereich Tourismus und beim Export. Aber wenn es um den Verkauf im eigenen Land geht, legt sie uns immer größere Hürden in den Weg, vor allem beim Verkauf und der Werbung."

    Sein Merlot aus Thrakien bald nur noch im Ausland erhältlich? Das kann sich Cem Cetintas noch nicht vorstellen. Er will sich nicht zermürben lassen, auch nicht von anonymen Anzeigen wegen illegaler Alkoholherstellung und anschließenden Razzien der Finanzpolizei. Doch manchmal wünscht er sich, er wäre ein Winzer in Italien oder Frankreich:

    "Meine Winzerkollegen in Westeuropa werden als Edelleute der Landwirtschaft angesehen. Hier in der Türkei ist das ganz anders. Wir müssen uns alles genehmigen lassen, müssen ständig Anträge stellen und werden dann wir mit einer Sondersteuer pro Flasche belegt."