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Politischer Frust

Am Sonntag wird in Syrien ein neues Parlament gewählt. Obwohl Wahlen in dem sozialistischen Land traditionell nicht frei und fair verlaufen und voraussichtlich nur ein geringer Prozentsatz der Syrer überhaupt wählen gehen wird, sehen Beobachter in der Abstimmung einen wichtigen Gradmesser für die innenpolitische Stimmung im Land. Im Sommer soll Bashar Al Assad als Präsident bestätigt werden, für den Herbst stehen Kommunalwahlen an.

Von Kristin Helberg | 21.04.2007
    Der Campus der Universität Damaskus. Vor dem Eingangstor hängen bunt bemalte Transparente und Plakate, auf denen seriös blickende Damen und Herren um die Stimmen der Studenten werben. Vergebens. Die jungen Leute gehen achtlos vorbei, sollte jemand stehen bleiben, dann nur, um das Aussehen eines Kandidaten zu kommentieren. Der 29-jährige Mahmoud spricht aus, was hier fast jeder denkt.

    "Die Wahlen haben keine Bedeutung, sie sind mir egal. Das Ergebnis steht schon fest, und egal wer gewählt wird, an meinem Leben ändert das nichts."

    Mahmoud hat sein Geografie-Studium abgeschlossen und auf dem Campus eigentlich nichts mehr zu suchen. Aber weil er kein festes Einkommen hat, trifft er sich mit Freunden nach wie vor in der Uni-Cafeteria, wo der Tee 20 Cent statt 1,50 Euro kostet. In seinem Bekanntenkreis gehe niemand wählen, sagt Mahmoud. Auch der 30-jährige Ahmad sieht in den Parlamentswahlen keinen Sinn.

    "Ich habe nichts gegen Bashar Al Assad, er ist aufgeschlossen und will etwas verbessern. Das Problem ist das System. Die Idee einer Einheitspartei, die sich dem Volk aufdrängt, ist im Jahr 2007 nicht mehr akzeptabel."

    Ahmad weiß, wovon er spricht, schließlich ist er selbst Mitglied der Baath-Partei, nicht aus Überzeugung, wie er betont, sondern weil er sich davon einst bessere Zukunftschancen versprach. Die jungen Männer diskutieren oft und gern über Politik, über die Parlamentswahlen können sie aber nur lachen. So schlägt Ahmad vor, jeden Abend zur Werbeveranstaltung eines anderen Kandidaten zu gehen, um dort gratis zu essen und zu trinken.

    Bei Ihsan Sanqar würden sie allerdings nicht satt werden. Der Geschäftsmann bietet in seinem Wahlkampfzelt nur Tee, Kekse und syrische Folklore an. Zehn Musiker in weiten Hosen und Hemden singen politische Parolen, normalerweise treten sie bei Hochzeiten auf. Sie lassen mal diesen, mal jenen Besucher hochleben. Hausherr Sanqar schüttelt Hände und gibt sich siegessicher - jeder Gast ist ein Wähler. Der untersetzte Mann mit dem Schnurrbart und den lebhaften Augen ist einer von über 9000 Kandidaten, die sich auf 83 Sitze im syrischen Parlament bewerben. Trotz dieser Konkurrenz verteilt der Unternehmer keine Geschenke.

    "Ich zahle keinen Cent an irgendwelche Wähler. Das ist meine Strategie, und ich fühle mich stark deshalb, denn so ziehe ich sauber ins Parlament ein."

    Sollte Sanqar es schaffen, kann er nicht viel ausrichten. Zwei Drittel der Sitze sind für Mitglieder der regierenden Baath-Partei und der mit ihr verbündeten Nationalen Progressiven Front reserviert. Das übrige Drittel besteht aus den 83 unabhängigen Abgeordneten, die keine Abstimmung gewinnen und folglich nur reden können. Der 52-Jährige will trotzdem etwas bewegen.

    "Wir können für politische Reformen eintreten, so wie wir zuvor für wirtschaftliche Reformen gekämpft haben. Für neue Ideen braucht man nicht viele Leute. Wenn die Vorschläge sich als richtig und gut für die Gesellschaft erweisen, dann werden die anderen sie irgendwann akzeptieren, sie brauchen nur etwas Zeit dazu."

    Ihsan Sanqar kennt die Arbeit im Parlament, er war bereits von 1990 bis 1998 Abgeordneter. Frustriert zog er sich damals aus der Politik zurück, weil seine Forderungen nach wirtschaftlichen Reformen ungehört blieben. Inzwischen ist die soziale Marktwirtschaft in Syrien beschlossene Sache. Der Privatsektor hat mehr Freiheiten, Investitionen nehmen zu, es gibt private Banken, Universitäten und Versicherungen. Auf die breite Bevölkerung wirken sich die Reformen bislang allerdings negativ aus.

    Auch Ahmad spürt noch keine wirtschaftlichen Verbesserungen. Er sitzt im Studentencafé und rührt ratlos in seinem Tee.

    "Bis heute habe ich nicht verstanden, was diese soziale Marktwirtschaft sein soll. Für mich hat sich nichts geändert. Okay, es gibt es jetzt viele Privatbanken, aber was die Situation der Menschen betrifft, ist alles beim Alten geblieben. Die Arbeitslosigkeit ist die gleiche, und das tägliche Leben ist sogar noch teurer geworden."

    Ahmad hat Journalistik studiert. Jetzt sucht er einen Job, um eine Wohnung zu mieten. Denn ohne eigene vier Wände kann er seine Freundin nicht heiraten, die wie er im Studentenwohnheim wohnt. Fast alle Hochschulabsolventen stehen vor dem gleichen Problem: Keine Arbeit, kein Geld, keine eigene Familie, keine Perspektive. Dennoch halten sie still, wie Mahmoud, der Geografie-Absolvent.

    "Syriens Jugend ist auf allen Ebenen marginalisiert, nicht nur politisch. Es gibt uns nur als Zahl, nicht als gesellschaftliche Kraft. Selbst im Iran, wo sie ein sehr konservatives religiöses System haben, revoltieren die Studenten an den Universitäten. Hier passiert so etwas nicht - aus Angst und weil es kein politisches Bewusstsein gibt."

    Seit vier Jahrzehnten duldet Syriens Baath-Regierung keine unabhängigen Parteien neben sich. Demonstranten werden regelmäßig verhaftet, auf die Mitgliedschaft in einer Menschenrechtsorganisation oder Oppositionspartei stehen mehrere Jahre Gefängnis. Um ihre Zukunft nicht aufs Spiel zu setzen, wagen Jugendliche deshalb kaum, sich politisch zu engagieren. Syriens Opposition ist ein Verein älterer Herren.

    Hassan Abdelazim, der Vorsitzende der verbotenen Demokratischen Nationalversammlung, rechnet erst dann mit mehr politischem Aktivismus, wenn die Gründung von Parteien offiziell erlaubt wird.

    "Ohne Parteiengesetz schließen sich die Leute nicht der Opposition an, erst recht keine jungen Menschen. Sie wollen sich ihre Zukunft nicht verbauen und ihre Arbeit nicht verlieren. Aber gäbe es ein Parteiengesetz und wären wir durch die Medien bekannt, würden die Leute uns zu Zehntausenden folgen."

    Der 75-jährige Veteran der syrischen Opposition hofft, dass Probleme wie steigende Preise und eine wachsende Jugendarbeitslosigkeit die Leute zum Umdenken bewegen.

    "Das Bewusstsein dafür, dass es Veränderungen geben muss, nimmt zu - sei es in der Opposition, in der Gesellschaft oder unter Regimevertretern. Und die ungelösten Probleme verstärken die Notwendigkeit für demokratische Reformen."

    Am Ende könnte wirtschaftliche Not die Menschen auf die Straße treiben, vermutet Politikwissenschaftler Marwan Kabalan. Für das Regime sei es deshalb umso wichtiger, dieses Wahljahr unbeschadet zu überstehen. Bis dahin rechnet der Politologe mit innenpolitischem Stillstand.

    "Syriens Machthaber sehen sich in einer sehr sensiblen Phase, in der sie sich vor einer Einmischung des Westens in Acht nehmen müssen. Deshalb wollen sie, dass diese Wahlen ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Erst wenn sie dieses Wahljahr hinter sich gebracht haben, könnten sie vielleicht im nächsten Jahr über ein neues Parteiengesetz nachdenken. Momentan wollen sie nur Zeit gewinnen."