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Politischer Protest
Die Friedensbewegung zwischen den Fronten

Die Friedensbewegung macht sich Gedanken über den fehlenden Nachwuchs. Gemeinsame Aktionen mit verschwörungstheoretischen Gruppen brachten zuletzt Zulauf - viele Pazifisten lehnen diese Verbindung aber ab. Und haben zur Zukunft des Friedens-Protestes ganz unterschiedliche Ansichten.

Von Ulrike Winkelmann | 12.02.2015
    "Habt euch lieb" steht am Potsdamer Platz in Berlin auf einem Plakat mit den Portraits von Wladimir Putin und Barack Obama.
    Protestplakat einer "Mahnwache" 2014 auf dem Potsdamer Platz in Berlin. (dpa / Florian Schuh)
    "Ja, ich mache das schon viele Jahre mit, weil ich find', es hat aber sich leider nichts zum Guten verändert..."
    Die Demonstration gegen die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende. Rund 4.000 Leute taten ihren Protest gegen die Politik der NATO und der Bundesregierung kund. Dabei auch viele Routiniers der Friedensbewegung.
    Der langjährige Organisator dieser Münchner Demonstration allerdings, Claus Schreer, hatte zuvor angekündigt, er ziehe sich nun, mit 76 Jahren, in die zweite Reihe zurück.
    "Das wird allenthalben ja auch selbstkritisch festgestellt, die Überalterung der Friedensbewegung. Es muss ein Generationswechsel stattfinden. Keiner weiß so recht, wie das funktionieren soll - ich auch nicht", sagt Paul Schäfer, früherer Linken-Bundestagsabgeordneter aus Köln, Friedens- und Sicherheitsexperte im links-bewegten Spektrum.
    Das Thema Überalterung beschäftigt die Friedens-Gruppen, die meist seit den 80er Jahren aktiv sind, schon länger. Doch im März vergangenen Jahres geschah etwas Neues: So genannte "Montagsmahnwachen" protestierten in mehreren Städten nach der russischen Besetzung der Krim gegen die NATO.
    Die Kooperation für den Frieden - so der Name des größten friedensbewegten Bündnisses - erkannte ihre Chance auf Zuwachs. Sie lud die Montagsmahnwächler zu einer gemeinsamen Demonstration Mitte Dezember in Berlin ein. Dies jedoch stieß vielen Friedensaktiven sauer auf. Denn diese Mahnwachen, hieß es, speisten sich aus einem dubiosen politischen Spektrum. Von "großem Unbehagen" spricht Paul Schäfer:
    "Es gab halt Versuche der Beeinflussung durch diese esoterischen, verschwörungstheoretischen Kreise, die ins neue Rechte hineingehen. Für mich ist da eine Führungsfigur Ken Jebsen, der ein eigenes Internetportal betreibt und der über erhebliche Medien-Wirkung in den sozialen Medien verfügt. Damit muss man sich kritisch auseinandersetzen."
    Ausgerechnet in diesen Tagen also, da die Angst vor einem Krieg um die Ukraine sozusagen regierungsoffiziell geworden ist, liegen sich die Reste der deutschen Friedensbewegung in den Haaren. Das dürfte ein Grund sein, dass die demokratische Öffentlichkeit derzeit ohne sie auskommen muss, vermutet Paul Schäfer: "Da ist die Friedensbewegung durch den Binnenstreit etwas beeinträchtigt, das denke ich auch."
    "Problematische" Teilnehmer
    Susanne Grabenhorst ist Vorsitzende der Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW, sie gehört zur Kooperation für den Frieden. Grabenhorst verteidigt die Mahnwachen. Zwar sei es so, dass "sich zumindest in der Anfangsphase auch Leute beteiligt haben, die sehr problematische Äußerungen gemacht haben oder sehr problematischen Hintergrund hatten."
    Inzwischen habe es aber Erklärungen gegeben, "wo Vertreter und Vertreterinnen der Mahnwachen sich sehr klar von nationalistischen oder antisemitischen Positionen distanzieren. Sie haben sich im Verlauf auch von einzelnen Personen, die sehr umstritten waren, getrennt."
    Grabenhorst und die Kooperation für den Frieden halten die Kritik an ihrem Bündnis für überzogen. Es handle sich dabei womöglich um eine Strategie von Mainstream-Politik und -Medien:
    "Was mir schon scheint ist, dass die Härte, mit der das kritisiert worden ist, mit der unsere differenzierte Zusammenarbeit als Schulterschluss interpretiert worden ist, was damit zu tun hat, dass eine Sorge besteht, dass die Friedensbewegung zusammen mit den Mahnwachen zu stark werden könnte."
    Dazu schüttelt der linke Sicherheitsexperte Schäfer nur traurig den Kopf.
    "Das ist ein erstaunliches Maß an Selbstüberschätzung, das da zum Ausdruck kommt. Das ist wahrscheinlich die geringste Sorge von Frau Merkel, dass wir eine zu starke Friedensbewegung haben, die sie ins Schlingern bringt mit ihrer Politik."
    Zwischen Resignation und Optimismus
    Viele Friedensbewegte betrachten die Vorgänge mit einer Art resignativer Nüchternheit. Für Uli Cremer in Hamburg ist die Zerstrittenheit der Bewegung vor allem ein Lernhindernis. Cremer hält innerhalb der Grünen seit Langem relativ einsam, aber unbeirrt die Friedensfahne hoch. Gerade jetzt komme es etwa darauf an zu begreifen, wie sich die NATO seit den 90er Jahren verändert habe.
    "Ich sehe viele in der Friedensbewegung, die sich aus den Denkschablonen des Kalten Krieges nicht verabschiedet haben. Viele haben ja gar nicht mitgekriegt, dass da eine neue NATO entstanden ist. Und da wird auch zu wenig Gehirnschmalz drauf verwendet."
    Cremer hebt hervor, dass sich immerhin jenseits der traditionsreichen Friedensgruppen laufend ganz neue, auch junge Initiativen bildeten:
    "Es gibt ja durchaus positive Beispiele. In Bonn gibt's an der Universität eine Bewegung gegen die Henry-Kissinger-Professur. Das wird getragen von jüngeren Leuten, die da studieren. Das ist ein Thema, was dazu führt, dass man auch weiter über Frieden, Sicherheit, Außenpolitik und so weiter nachdenkt."
    Auch Paul Schäfer blickt lieber Richtung Hochschulen, Gewerkschaften und Kirchen als Richtung Mahnwachen:
    "Mein Anliegen ist, und das wird von einer Menge Leuten geteilt, dass man sich Gedanken machen muss, wie man zu einer wirklichen Verbreiterung der Friedensbewegung kommt, zu der Mitte der Gesellschaft, nicht zu diesem schillernden Völkchen, was sich da auf die Straße auch versammelt hat."
    Die Ärztin Susanne Grabenhorst blickt voraus: auf den nächsten Protest-Termin.
    "Die Ostermärsche sind geplant, wie sie jedes Jahr geplant waren. Ich hoffe, dass die angespannte Situation viele Leute dazu bewegt, dass sie sich an den Ostermärschen beteiligen."