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Politologe Falter: Niemand kann Wulff zum Rücktritt zwingen

Nur das Bundesverfassungsgericht kann auf Antrag von Bundestag oder Bundesrat den Bundespräsidenten absetzen, betont der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Die nötigen Zwei-Drittel-Mehrheiten sind schwer zu bekommen. Falter ist überzeugt: "Wenn er im Amt bleiben will, bleibt er im Amt."

Jürgen Falter im Gespräch mit Gerd Breker | 05.01.2012
    Gerd Breker: Sein allzu langes Schweigen hat er gebrochen, das Interview mit den Fernsehkollegen von ARD und ZDF hat fast elfeinhalb Millionen Menschen vor die Mattscheibe gelockt. Nur was hat er gesagt? Sind nun alle Fragen beantwortet? Reicht das? War das der Befreiungsschlag? Hat Bundespräsident Christian Wulff seine von vielen als letzte Chance bezeichnete Gelegenheit genutzt, oder hat dieses Interview neue Fragen aufgeworfen? Eine Irritation - nennen wir es mal so - trat schon gestern auf. Christian Wulff hat erklärt, er habe die Berichterstattung über seinen Privatkredit nur verschieben, aber nicht verhindern wollen. Dem hat der stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Nikolaus Blome, im Deutschlandfunk deutlich widersprochen.

    O-Ton Christian Wulff: "Ich habe nicht versucht, sie zu verhindern. Ich habe darum gebeten, einen Tag abzuwarten und in der Berichterstattung aufzunehmen, dass ich den Vertrag offenbart habe, die private Kreditgeberin genannt habe, und nicht zu berichten, man habe das recherchiert. Darüber gab es die Auseinandersetzung."

    O-Ton Nikolaus Blome: "Den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden. Und wenn Sie das jetzt als Drohung bezeichnen, das ist vielleicht eine Geschmacksfrage. Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden."

    Breker: 21 Minuten Sendezeit zur Rechtfertigung, zur Aufklärung, zur Wiedererlangung der Glaubwürdigkeit für Christian Wulff, der bleiben möchte, was er ist und keine Bereitschaft zeigt, von seinem Amt zurückzutreten. Der geplante und inszenierte Befreiungsschlag - wie reagiert das politische Berlin? Was sagt die Opposition, was sagt die Regierungskoalition? Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Mainzer Politologen Jürgen Falter. Guten Tag, Herr Falter.

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Breker: Herr Falter, war das aus Ihrer Sicht der Befreiungsschlag?

    Falter: Ja was ist ein Befreiungsschlag? Ein Begriff aus der Fußballersprache, wo eine Abwehr in höchster Bedrängnis versucht, den Ball wegzudreschen, möglichst weit in die Hälfte des Gegners, sodass sie aus der Bedrängung herauskommen. Nein, ein Befreiungsschlag in dem Sinne, ein erfolgreicher, war es schon deswegen nicht, weil ja die Kritik weitergeht. Da sehen wir, wenn es als Befreiungsschlag gedacht war, das ist in dieser Form nicht gelungen. Die parteipolitische Kritik, aber auch die Medienkritik setzt ja sofort wieder ein an diesem Interview.

    Breker: Ja, es wurden neue Fragen aufgeworfen, hat er nun verschieben wollen oder hat er verhindern wollen. Das wird sich möglicherweise heute ja noch klären. Die "Bild"-Zeitung hat bei Wulff anfragen lassen, ob er einverstanden ist, wenn die Mailbox veröffentlicht wird. Ein wenig hämisch und zynisch ist das schon, oder?

    Falter: Das ist es ohne Zweifel. Im Augenblick haben wir Aussage gegen Aussage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christian Wulff so töricht gewesen wäre, erneut töricht gewesen wäre, nun sich in die Falle selbst hineinzubegeben, dass er der Unwahrheit überführt würde, was diesen Aufschub angeht, oder das Verhindern angeht. Das muss er sich vorher überlegt haben und er muss sich relativ sicher sein über das, was er gesagt hatte, auf die Mailbox gesprochen hatte, was er Herrn Döpfner erzählt hatte, dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Konglomerats.

    Breker: Christian Wulff will ja im Amt bleiben, das hat er gestern erklärt, und er will eine positive Bilanz nach fünf Jahren als Bundespräsident vorlegen. Geht das eigentlich ohne Glaubwürdigkeit?

    Falter: Dass er im Amt bleiben will, ist eine Voraussetzung dafür, dass er im Amt bleibt. Es kann ihn niemand absetzen außer dem Bundesverfassungsgericht auf Antrag von Bundestag oder Bundesrat, mit außerordentlich hohen rechtlichen Hürden, Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag oder Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat, und dann im Bundesverfassungsgericht noch mal eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das ist angesichts der Dinge, über die wir reden, nicht zu erreichen, da bin ich völlig sicher. Frau Merkel kann ihn nicht absetzen, auch wenn es immer so getan wird. Sie kann ihn auch nicht mit einem Machtwort beseitigen. Sie kann ihm bestenfalls die Unterstützung entziehen. Aber wenn er im Amt bleiben will, bleibt er im Amt. Die Frage ist, wie beschädigt ist er dann, kann er Vertrauen zurückgewinnen. Das war Ihre Ausgangsfrage. Das wäre durchaus möglich durch eine Reihe von sehr guten Reden, durch untadeliges Verhalten im Amt, durch Zugehen auf die Bürger. Johannes Rau hat uns das vorgeführt, das hat uns auch Karl Carstens in einer gewissen Weise vorgeführt, die ja auch beide heftig in der Kritik standen. Lübke ist das damals nicht so gelungen, der der dritte Präsident war, der hart kritisiert worden ist.

    Breker: Herr Falter, Sie haben es gerade angedeutet: Angela Merkel hat Christian Wulff als Bundespräsident gewollt, sie hat ihn in der Bundesversammlung durchgesetzt. Bleibt die Frage: wann nimmt denn die Kanzlerin, die, die ihn gewollt hat, ebenfalls Schaden?

    Falter: Schaden nehmen kann sie natürlich dadurch, dass die Kritik an Wulff immer weiter geht. Aber ich sage Ihnen voraus: Wenn jetzt nichts mehr Neues kommt, nichts mehr Neues kommen sollte - das wissen wir nicht, aber nehmen wir mal an, es käme nicht -, dann versendet sich das im Laufe der nächsten Wochen und Monate. Dann wird zwar eine Fußnote da bleiben im Buch der Bundespräsidentengeschichte, aber Christian Wulff wäre schon in der Lage, sich da wieder herauszuwinden, eben durch positive Amtsführung. Angela Merkel würde darunter leiden, wenn das nicht aufhörte und wenn dann doch irgendwann Christian Wulff entnervt zurückträte. Das ist eine Entscheidung, die er nur ganz alleine selbst treffen kann. Er hat niemanden über sich, er ist von niemandem abhängig, außer vom Bundesverfassungsgericht, und das wird mit Sicherheit nicht angerufen werden.

    Breker: Es sei denn, man würde die Nachfolge schnell und zügig lösen können?

    Falter: Auch dann nicht. Wie wollen sie ihn denn los werden? Nehmen wir mal an, es stünde ein Nachfolger bereit. Nehmen wir mal an, Frau von der Leyen oder Gauck oder wer immer sonst - wenn Christian Wulff entscheidet, er tritt nicht zurück, kann ihn niemand zum Rücktritt zwingen, auch wenn die Öffentlichkeit ihm den Rücken zukehren würde. Wie gesagt, er könnte dann nur irgendwann entnervt aufgeben, aber nicht, wenn Angela Merkel einen Nachfolgekandidaten hätte. Er ist unabhängig! In dem Moment, wo er im Amt drin war, ist er ein Verfassungsorgan, das niemanden mehr über sich hat. Ganz im Gegenteil: Protokollarisch steht er sogar über Angela Merkel.

    Breker: Die Einschätzung des Mainzer Politologen Jürgen Falter im Deutschlandfunk. Herr Falter, ich danke Ihnen für diese Einschätzung.

    Falter: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.