Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Politologe hält Scharons Ankündigung für Ablenkungsmanöver

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon begrüße ich den israelischen Politikwissenschaftler Robi Nathanson. Herr Nathanson, der israelische Ministerpräsiden Ariel Scharon hat einen Schritt angekündigt, den man von ihm als dem sogenannten Vater der jüdischen Siedlungen als letzten erwartet hat. Er will einseitig 17 der 20 Siedlungen im Gaza-Streifen räumen lassen. Nun hat Scharon schon viel angekündigt, ohne dass seinen Worten auch Taten folgten. Wird das diesmal der Fall sein? Wie ernst sind diese Ankündigungen gemeint?

04.02.2004
    Robi Nathanson: Zunächst mal muss man überlegen, dass Scharon unter enormen Druck ist wegen der Korruptionsaffäre, die ausgelöst wurde über die Finanzierung seiner Wahl. Von daher muss er die Aufmerksamkeit in der israelischen Öffentlichkeit unbedingt auf andere Gebiete versetzen.

    Wiese: Also ein Ablenkungsmanöver?

    Nathanson: Zunächst kann man schon über ein Ablenkungsmanöver sprechen. Auf der anderen Seite hat Scharon schon so oft versprochen, Schritte in Richtung Frieden zu machen. Das hat sich in den letzten zwei, drei Jahren nicht verwirklicht. Die Gelegenheit, jetzt diese Siedlungen in Gaza zu räumen, wofür auch ein weiterer Konsens in Israel besteht, wäre eine Möglichkeit, obwohl Scharon natürlich schon sehr vieles versprochen hat, von der Entstehung eines palästinensischen Staates bis hin zu wehleidigen Schritten, und bis jetzt außer Worten nicht sehr viel da geschehen ist.

    Wiese: Nun leben im Gaza-Streifen nur rund 7.500 Siedler, verglichen mit über 200.000 auf der Westbank. Da fällt eine Räumung natürlich sehr viel leichter. Lässt Scharon möglicherweise die Siedlungen im Gaza-Streifen auflösen, um die auf der Westbank zu behalten?

    Nathanson: Ich denke nicht, dass er so naiv ist zu denken, dass durch die Räumung der Siedlungen in Gaza die Siedlungen in der Westbank beibehalten werden könnten. Nur: Psychologisch gesehen, wäre das natürlich ein Schritt , der auf Anklang stoßen würde, auch in der Weltöffentlichkeit, wo natürlich durch die bestehenden Diskussionen über die Mauer und anderes Druck auf Israel ausgeübt wird. Das könnte natürlich durch die Räumung der Siedlungen in Gaza gedämpft werden, und, taktisch gesehen, wäre das auch in der israelischen Öffentlichkeit ein Schritt, der weitgehend unterstützt werden könnte. Er hat sogar gestern erklärt, dass er eine Wahl ausrufen würde, wenn er sich nicht durchsetzen könnte, was für ihn, taktisch gesehen, natürlich ein sehr vorteilhafter Schritt in der jetzigen Situation wäre, wo die Opposition eigentlich überhaupt keine Alternative kurzfristig bieten könnte.

    Wiese: Sie geben mir das Stichwort. Es gibt ja massiven Protest, besonders der rechtsnationalistischen Koalitionspartner von Scharon. Sie drohen, die Regierung zu verlassen. Sind solche Drohungen ernst zu nehmen?

    Nathanson: Ich denke schon, dass die Nationale Partei und die National-Religiöse Partei die Regierung unter solchen Umständen verlassen würde, aber Scharon könnte sich auch in diesem Falle auf die Unterstützung der Arbeitspartei stützen und nicht unbedingt kurzfristig Wahlen ausrufen müssen, obwohl er zu diesem Thema, wenn er Wahlen ausrufen würde, er schon Erfolg haben könnte oder zumindest seine fette Mehrheit beibehalten könnte, wenn das jetzt kurzfristig geschehen würde.

    Wiese: Es gibt noch eine weitere interessante Ankündigung Scharons. Er will nämlich Gebiete im israelischen Kernland, die vorwiegend von israelischen Arabern bewohnt werden, mit den Palästinensern tauschen, und zwar gegen jüdische Siedlungen auf der Westbank. Was ist denn von diesem Vorschlag zu halten?

    Nathanson: Ich glaube, das ist eine Illusion, die auch schon von Politikern in der Arbeitspartei vorgeschlagen wurde. Das, glaube ich, ist ein Vorschlag, der auf gar keinen Fall in Frage kommen könnte, wenn man über die zukünftige Zeit nachdenkt zwischen Israelis und Arabern, die in Israel leben und die israelische Staatsangehörigkeit haben, wenn man diese Zeit längerfristig auf einer guten Basis entwickeln möchte. Ich glaube, dass das ein Vorschlag wäre, der überhaupt nicht in Frage kommen könnte, wenn man auch einen zukünftigen israelischen demokratischen Staat vorsehen möchte, der an der Seite eines palästinensischen Staates bestehen würde.

    Wiese: Ist dieser Vorschlag nicht ohnehin nicht nur eine Konsequenz aus den demographischen Tatsachen? Danach werden die Juden nämlich über kurz oder lang zur Minderheit im eigenen Land werden, weil die Geburtenrate der Araber doppelt so hoch ist wie die ihre.

    Nathanson: Die einzige Möglichkeit, die demographische Gefahr sozusagen abzuwenden, wäre die Gründung zweier Staaten, eines palästinensischen und eines israelischen Staates, denn dann würde im palästinensischen Staat eine unabhängige politische Gemeinschaft entstehen, die auch verhindern würde, dass sich ein Mehrheitsverhältnis zu Gunsten der Palästinenser in der Einstaatenlösung bilden würde. Von daher ist das die einzige Möglichkeit, wirklich Israel als jüdischen, demokratischen Staat längerfristig beibehalten zu können.

    Wiese: Vielen Dank für das Gespräch.