Freitag, 29. März 2024

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Politologe: Klima nicht nur Sache der Naturwissenschaft

Der Klimawandel werde im wesentlichen durch die naturwissenschaftliche Brille betrachtet. Das bemängelte der Politikwissenschaftler Claus Leggewie. Die sogenannte Naturkatastrophe - eigentlich ja eine von Menschenhand gemachte Veränderung des Klimas - werde zunehmend auch zu einer sozialen Frage. Sozialwissenschaftler in Deutschland sollten sich stärker mit den Fragen des Klimawandels auseinandersetzen, forderte Leggewie.

Moderation: Jürgen Zurheide | 05.07.2008
    Jürgen Zurheide: Beim G8-Gipfel in Japan wird natürlich über das Klima in dieser Welt ganz besonders geredet werden. Viele hoffen, dass es konkrete Verabredungen gibt, ganz sicher kann man sich da nicht sein. Das ist das eine. Auf der anderen Seite steht natürlich eine Frage im Mittelpunkt, oder mehrere Fragen, die beschäftigen sich nicht so direkt mit dem Weltklima im Sinne von Temperatur und Regenfällen und allen möglichen anderen Auswirkungen, sondern mit der Frage: Welche sozialen, kulturellen Konsequenzen hat denn dieser Klimawandel eigentlich? Mit diesem Thema beschäftigt sich Claus Leggewie, der Politikwissenschaftler. Ihn haben wir jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Leggewie!

    Claus Leggewie: Ja, guten Morgen.

    Zurheide: Herr Leggewie, zunächst einmal - wenn wir mal über die sozialen Folgen von Klimawandel reden, könnte man sagen, dass die steigenden Heizkostenpreise, die es vielen Menschen möglicherweise demnächst kaum noch ermöglichen, warm zu leben und warmes Wasser zu haben, ist das eine der sozialen Folgen, die Sie da im Blick haben?

    Leggewie: Ja, das ist ein ganz gutes Beispiel, wo die sogenannte Naturkatastrophe zu einer sozialen Frage wird. Es zeigt sich hier, dass steigende Energiepreise natürlich eine bestimmte soziale Selektivität haben. Wir haben ja auch die Diskussion zum Beispiel über Pendler. Das ist ja eine Luxusdebatte, die wir uns in weltweitem Maßstab leisten, wo dann einige Parteien in der Bundesrepublik sagen, wir müssen die Pendlerpauschale wieder einführen, damit die Mobilität unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - gerade da, wo sie wenig verdienen - erhalten bleiben kann. Und da sieht man einige dieser Zwänge, in die wir uns in einer fossilen, karbonen Gesellschaft hineinbegeben haben.

    Zurheide: Man könnte auch sagen, da gibt es ganz handfeste Zielkonflikte, die Frage eben, lasse ich unsere Art des Wirtschaftens so wie sie ist, dass wir zum Beispiel weit hin und herfahren zur Arbeitsstelle, oder müssen wir was anderes tun? Sind wir uns da schon ausreichend klar in der Gesellschaft, dass wir da eigentlich deutlichere Antworten geben müssen?

    Leggewie: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube, dass wir den Klimawandel - um mal den Begriff Katastrophe hier nicht zu benutzen -, dass wir den im Wesentlichen als ein Phänomen betrachten, das man durch die naturwissenschaftliche Brille betrachtet. Aha, da gibt es also eine menschengemachte Veränderung des Klimas, das führt zu bestimmten Folgen, Sie haben die Stichworte wie Starkregen und dergleichen schon genannt. Das sind ja übrigens auch Dinge, die in der Bundesrepublik kaum noch gemeldet werden im Verhältnis zu früher. Dann sagt man, gut, wir haben dieses Problem, ganz offenbar gibt es darüber auch einen Konsens unter den Wissenschaftlern, dann müssen wir uns dem mit bestimmten politischen Technologien zuwenden. Das ist jetzt das, was in Japan auch zum Beispiel auf dem G8-Gipfel ansteht. Mit politischen Technologien meine ich, wir erfinden neue Technologien, zum Beispiel erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz und dergleichen mehr, und setzen das um durch politische, rechtliche, administrative Regulierungen. Was wir zu wenig verstehen, ist, dass wir hier einen auch sehr starken Gesellschafts- und Kulturwandel haben werden. Sie haben eine Andeutung eben gemacht. Wir versuchen, Mobilität zu erhalten und möglichst preisgünstig zu erhalten, damit wir weiterhin sehr weite Strecken fahren können. Was eigentlich daraus folgt - und ich behaupte nicht, dass das einfach ist -, ist eine Dezentralisierung, eine Re-Regionalisierung unserer Produktion, unserer Lebensstile, all der Dinge, die man bereits im Ökomarkt vielleicht sehen kann, wenn man dort Produkte aus der Region kauft statt solche, die durch die ganze Welt geschippert werden müssen.

    Zurheide: Sie sprechen ja auch von einem kapitalen Denkfehler, dass wir uns eben in dem Zusammenhang eher auf Ingenieurkunst verlassen und glauben, damit könnte man mit der richtigen Stellschraube, die politische Technologie, das alles wieder umdrehen. Warum glauben Sie, dass das scheitern wird?

    Leggewie: Na, ich glaube gar nicht, dass das scheitern wird. Ich vertraue sehr auf die deutsche Ingenieurkunst. Ich glaube nur nicht, dass es ausreichen wird. Ich glaube, dass wir uns sehr stark einlullen, auch im Blick auf solche Gipfelereignisse wie im Moment, dass wir sagen, im Großen und Ganzen werden die Lebensverhältnisse im Norden schon so bleiben, wie Sie waren, so verschwenderisch, so luxuriös, wie wir sie hatten. Und wir predigen hier keine Umkehr, keinen Verzicht, sondern wir sagen, dass im Grunde genommen als notwendige Folge zum Beispiel steigender Energiepreise ein Lebenswandel stattfinden wird, das heißt, wir es zu tun haben mit einer großen sozialen und kulturellen Transformation, die man vergleichen kann mit der Phase der Industrialisierung, als eben diese fossilen Energien in den Mittelpunkt traten und sich ein Gesellschaftsmodell einstellte, was wir als "Carbon Society" - als eine Gesellschaft, die im Wesentlichen auf der Verbrennung dieser Rohstoffe beruhte - bezeichnen. Und ich glaube, dass wir jetzt eine andere Gesellschaft bekommen, die dann auch entsprechend andere Parameter hat im Blick auf Mobilität. Nehmen Sie die Logistikbranche, in der wir in Deutschland sehr stark sind, und bei der wir immer noch Wachstumsraten in zweistelliger Höhe für die nächsten zwei, drei Jahrzehnte prognostizieren. Ich glaube, da liegt der Denkfehler.

    Zurheide: Es braucht ja einen Wertewandel, ich glaube, davon sprechen Sie auch in den Arbeiten, die Sie machen. Sie sind gerade dabei, ein Forschungsprojekt aufzusetzen zum Thema Klimawandel, für die Mercator-Stiftung. Ist denn dieser Wertewandel, der da notwendig ist - kommt der aus Überzeugungen, oder ist der nicht viel mehr dem Druck der Preise geschuldet? Das beobachten wir im Moment.

    Leggewie: Ja, das vermittelt sich so. Es gibt zum einen natürlich eine ganze Reihe von Menschen, die sich bewusst zu einem anderen Lebensstil entschlossen haben, übrigens nicht erst seit Kurzem, sondern bereits seit Längerem. Seit zwei, drei Jahrzehnten sind neue, nachhaltige Lebensstile in der Diskussion, und das ist ja kein Plastikwort, das ist ja keine Phrase, da kann man sich ja tatsächlich etwas drunter vorstellen. Auf der anderen Seite, den Moment, wo steigende Energiepreise beispielsweise die soziale Dimension eines solchen Wandels aufzeigen, dann ist es eher der Druck der Verhältnisse, unter dem sich Dinge wandeln werden. Und das wird ja wiederum auch die Ingenieurkunst und auch wieder die politisch-rechtliche Regulierung anheizen. Nehmen Sie das Beispiel - das ja bekannt geworden ist - der oberhessischen Stadt Marburg, in der dann einfach ein Bürgermeister hingeht und sagt, ihr müsst jetzt solarthermische Anlagen in eure neuen Häuser, aber irgendwann auch in eure Altbauten, hineinsetzen, da gibt es keinen Ausweg mehr. Hier greifen viele Dinge von freiwilliger Einsicht und von Zwangsmaßnahmen ineinander, und es wäre schön, wenn wir dies nicht nur in der Logik des Verzichts erkennen könnten, sondern wenn wir erkennen könnten, was wir verlieren durch die Aufrechterhaltung eines karbonen Lebensstils und des Sich-Klammerns an bestimmte Errungenschaften der Industriegesellschaft, der Arbeitsgesellschaft, die ja nicht in allen Hinsichten gelungen waren.

    Zurheide: Müssen sich die Sozialwissenschaften mehr einmischen in diese Debatte?

    Leggewie: Das glaube ich auf jeden Fall. Unsere Wissenschaften, die Sozial- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen, hängen schon sehr stark an dem Paradigma der untergehenden Industriegesellschaften. Sie müssen sehen, dass sie auch Konzepte, Ansätze, Fragestellungen, Problemstellungen bereithalten, die jenseits dieser Gesellschaft liegen. Das ist kein politisches Geschäft nur, das ist auch ein wissenschaftliches Geschäft. Wir müssen eben, wie die Klimaforscher uns beigebracht haben, die naturwissenschaftlichen Klimaforscher uns beigebracht haben, auch das Undenkbare denken. Und das ist im Grunde genommen etwas, wofür Kultur- und Sozialwissenschaftler ganz gut eingestellt wären, hätten sie sich nicht so stark an die Paradigmen der Industriegesellschaft gebunden, wie das in den letzten Jahrzehnten der Fall war.

    Zurheide: Die sozialen und kulturellen Auswirkungen des Klimawandels, darüber haben wir gesprochen mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie, herzlichen Dank für das Gespräch!