Donnerstag, 25. April 2024

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Politologe: Koalitionäre vergreifen sich im Ton

Ungeachtet des Koalitionsstreits um eine mögliche Verschärfung des Jugendstrafrechts sieht der Politologe Everhard Holtmann das schwarz-rote Regierungsbündnis nicht in Gefahr. "Eine ernsthafte Gefährdung der Großen Koalition abzuleiten, das hielte ich für überzogen", sagte Holtmann. Allerdings werde es schwierig für Union und SPD "nach den Wahlkämpfen Ende Februar wieder zu einem vernünftigen Ton zu finden".

Moderation: Elke Durak | 14.01.2008
    Elke Durak: Politiker sind dafür, Fachleute dagegen - jeweils nicht alle, aber viele -, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Hilft das aber, die Kriminalität unter Jugendlichen einzudämmen, vor allem auch die Gewalttätigkeit ihrer Handlungen? Und um die jüngste Zuspitzung durch den hessischen Ministerpräsidenten aufzugreifen: Soll es denn eine U14-Härte geben? Wenn Zwölfjährige so richtig kriminell werden, sollten sie auch richtig zur Verantwortung gezogen werden, das heißt nach dem Jugendstrafrecht, meint Roland Koch, Strafmündigkeit hin oder her. Damit hat er der heutigen Versammlung verschiedener Anwalts- und anderer Juristenvereine neuen Stoff gegeben und bleibt natürlich im Gespräch.

    Wie weit geht Hessens Ministerpräsident Roland Koch noch, und wie weit geht die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter mit? Was steht genau in der Wiesbadener Erklärung? Man sollte einfach noch mal nachlesen. "Wir brauchen keine Kinderknäste", sagt unmissverständlich die Gewerkschaft der Polizei zu dieser Forderung Kochs, kriminelle Kinder unter 14 Jahren nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln. Viele andere denken ähnlich und sagen es auch, zum Beispiel Hubertus Heil, der Generalsekretär der SPD heute Morgen hier im Deutschlandfunk:

    "Ich finde es schon bedauerlich, dass Frau Merkel sich vor diese Kampagne spannen lässt. Man könnte fast sagen, sie kellnert für den Koch." (Text/ MP3-Audio )

    Ob das wohl so stimmt? Am Telefon ist Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann!

    Everhard Holtmann: Guten Tag Frau Durak!

    Durak: Kellnert sie, oder kocht sie?

    Holtmann: Nun, ich denke, sie hat sich sichtlich nach einigem Zögern offenbar doch entschlossen, dann Koch im Wahlkampf zu unterstützen. Das heißt, sie akzentuiert damit auch stärker ihre Rolle als Parteivorsitzende, denn auch für die Kanzlerin steht insoweit ja einiges auf dem Spiel, als ein möglicher Machtverlust in Hessen seitens der politischen Kontrahenten innerhalb und außerhalb der eigenen Partei durchaus auch in ein Plebiszit oder eine Art Plebiszit gegen die Bundes-CDU flugs umgedeutet werden könnte. Das könnte natürlich auch die zuletzt ja doch weithin ungefährdete Stellung der Kanzlerin auch als Parteivorsitzende durchaus anknacksen.

    Durak: Ist der Chef einer solchen Partei unmittelbar vor so wichtigen Wahlen nicht immer irgendwie auch erpressbar?

    Holtmann: Ich denke, dass die Wahlkämpfe natürlich ihre eigenen Gesetze und Dynamiken haben. Und wenn die Parteivorsitzende der CDU als der größten Unionspartei jetzt auch stärker dieses Thema selbst sich zu eigen macht, dann hat das ja auch eine gewisse Logik, parteipolitische Logik, weil ja das Thema Kriminalität und Terrorbekämpfung seit langem eine klassische Domäne der Unionsparteien ist. Wenn man sich die gerade wieder veröffentlichten jüngsten Daten zur sogenannten Parteienkompetenz anschaut, also bei welcher Partei bei welchem Thema die Bevölkerung die größte Kompetenz vermutet, dann sind dreieinhalbmal so viele Bürger der Meinung, dass eine Kompetenz vor allen Dingen der CDU/CSU hier zu verordnen sei. So gesehen knüpft die Parteivorsitzende auch an einen für ihre Partei günstigen Mainstream durchaus an.

    Durak: Und wenn es denn gar nicht so ist, dass sie relativ widerwillig auf den Zug aufspringt, den Koch da sozusagen angepfiffen hat und losfahren ließ, sondern wenn sie hundertprozentig seiner Meinung ist, bis auf die zwölfJahre vielleicht?

    Holtmann: Wenn sie hundertprozentig seiner Meinung wäre, dann hätte sie mit Sicherheit schon vorher auch sich sehr viel stärker diesem Thema nicht nur angeschlossen, sondern das Thema ja auch selbst besetzt, und zwar auch selbst mit Hinblick auf die für die Große Koalition immer zu wahrenden Rücksichten. Sie wird schon sehr wohl ganz unabhängig von ihrer eigenen Präferenz in der Sache wahrgenommen haben, dass innerhalb der eigenen Partei die Haltung gegenüber einer möglichen Verschärfung des Jugendstrafrechts ja durchaus nicht einheitlich ist. Die Landesväter Wulff und von Beust, die ja derzeit auch Wahlkampf machen müssen, reagieren auf dieses Thema eher verhalten, und jemand wie Ministerpräsident Böhmer aus Sachsen-Anhalt etwa hat sich explizit und offen gegen eine Verschärfung der Strafgesetze ausgesprochen.

    Durak: Ja. Er hat auch gesagt, die Erziehung hat meine Mutter damals übernommen, und das hat auch genügt.

    Holtmann: So ungefähr, ja.

    Durak: Das war ein hübsches Zitat. Es heißt, Frau Merkel will morgen vor die Presse treten, Inhalt unbekannt. Aber ohne Jugendstrafrecht wird sie da nicht davon kommen. Sagen Sie, Herr Holtmann, der verbale Schlagabtausch zwischen den Großkoalitionären - wir erinnern uns an den jüngsten Struck, "sie kann mich mal", damit meinte er die CDU -, ist das aus Sicht des politischen Beobachters, der Sie ja einer sind, noch alles im normalen Bereich?

    Holtmann: Nein, das denke ich nicht. Es scheint derzeit tatsächlich die Grenzen des auch für Großkoalitionäre zumutbaren Miteinander-Umgehens zu berühren. Auf der anderen Seite: Beide großen Partner haben sich ja im Grunde genommen allenfalls im Ton und in der Verschärfung der Sache etwas vorzuwerfen. Wir haben ja die Situation, dass beide großen Parteien jeweils ein Thema zu besetzen versuchen, strategisch zu besetzen versuchen: Hessens CDU die Verschärfung des Strafrechts und die SPD - in diesem Punkt deutlich besser unterstützt oder eindeutiger unterstützt von der Bundespartei - die Frage des Mindestlohns. Also es ist ja von beiden Seiten zu sehen. Hier geht es darum, zu Zwecken parteipolitischen Vorteils ein Thema instrumentell strategisch auf die Tagesordnung zu setzen. So gesehen, denke ich, wissen beide auch trotz der jetzt herrschenden verbalen fast Schlammschlacht das richtig einzuordnen. Man wird es zwar schwer haben, relativ schwer haben, nach den Wahlkämpfen Ende Februar wieder zu einem vernünftigen Ton zu finden, aber beispielsweise daraus eine ernsthafte Gefährdung der Großen Koalition abzuleiten, das hielte ich für überzogen und für verfrüht.

    Durak: Die Union immerhin aber könnte, Herr Holtmann, den besseren Griff zum Thema getan haben, denn innere Sicherheit, die Sicherheit auf den Straßen, Jugendkriminalität, da wollen alle mitreden und fühlen sich sehr, sehr viele bedroht, während Mindestlohn interessiert vielleicht nicht so viele Leute.

    Holtmann: Da könnte in der Tag eine Art emotionaler Vorteil oder psychologischer Vorteil für die Union liegen. Fragen der inneren Sicherheit sind in der Tat etwas, was unmittelbar diffuse Ängste anspricht, eine sehr stark emotional besetzte Agenda also. Auf der anderen Seite: Die Mindestlöhne treiben auf der anderen Seite die Menschen schon auch um, aber es ist ein vergleichsweise abstraktes Thema. Die Umfragen lassen hier eher keine eindeutigen Prognosen nach dem jetzigen Stand zu. In Hessen, auch in Hamburg etwa, scheint es so zu sein, als ob eine Mehrheit der Bevölkerung sich mit der Verschärfung der Strafgesetze anfreunden kann. Die Bundesbürger wiederum sehen das anders, und auch in beiden genannten Ländern spielt der Mindestlohn eine vergleichbar große Rolle. Also man wird schon die letzten 14 Tage noch abwarten müssen, um dann schlauer zu sein, wer letztendlich mit seiner Inszenierungsstrategie erfolgreicher war.

    Durak: Was ist diffus an der Angst davor, in die Straßenbahn zu steigen und an den Stadtrand zu fahren?

    Holtmann: Die Angst ist insofern diffus, als die Furcht vor Verbrechen, vor Kriminalität gewissermaßen ein ständiger Begleiter ist und auch in Situationen bei uns allen wohl vorhanden ist, in denen keine akute Gefährdungslage sichtbar und erkennbar ist. Das meine ich mit diffus. Insofern ist es ein Thema, was untergründig die allermeisten Menschen sehr viel stärker bewegt als etwa die Frage des Mindestlohns und zugleich etwa die Themen, die im hessischen Wahlkampf eigentlich auch aus der Sicht der Bevölkerung ganz oben rangieren, nämlich die Schul- und Bildungspolitik.

    Durak: Kurzes Wort noch zu Herrn Koch: Wenn die Kanzlerin sich morgen noch weiter auf seine Seite stellt - abgeschwächt, aber immerhin -, hat er die Hessen-Wahl damit gewonnen?

    Holtmann: Das kann man so noch nicht sagen, denn auch hier sind die jüngsten Umfragedaten eher widersprüchlich. Vieles wird auch davon abhängen, ob es beispielsweise der Partei Die Linke gelingt, in den Landtag einzuziehen, weil davon dann die Breite auch der möglichen Koalitionsoptionen abhängt. Also ich denke, letztendlich wird es für beide großen Kontrahenten darauf ankommen, wer erfolgreicher die eigene Wählerklientel, die eigenen Anhänger. mobilisieren kann.

    Durak: Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Besten Dank fürs Gespräch.

    Holtmann: Bitteschön.