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Politologe: Neonazi-Datei nicht der zentrale Schritt gegen Rechtsextremismus

Im Bundestag ist die Einrichtung einer zentralen sogenannten Neonazi-Datei in der ersten Lesung auf breite Zustimmung gestoßen. Für den Politikwissenschaftler Hajo Funke ist die Datei aber nicht das wichtigste Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 01.03.2012
    Sandra Schulz: Wer hat was übersehen, warum haben die Ermittler über Jahre den Zusammenhang nicht erkannt bei den zehn Morden, die auf das Konto der Zwickauer Terrorzelle gehen sollen? Dieser Frage gehen in Bund und Ländern inzwischen ja gleich mehrere Gremien und Kommissionen nach und auch bei den Befugnissen der Ermittler soll jetzt nachgebessert werden. Für mehr Durchblick soll künftig eine Datei sorgen, in der unter bestimmten Voraussetzungen Personen der rechten Szene erfasst werden: die sogenannte Neonazi-Datei. Am Telefon begrüße ich Professor Hajo Funke, an der Freien Universität in Berlin ist sein Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus. Guten Tag, Herr Funke!

    Hajo Funke: Guten Tag!

    Schulz: Für wie vielversprechend halten Sie so eine Datei im Kampf gegen rechts?

    Funke: Ja, das ist ein Schritt, so wie es eben auch im Bundestag debattiert worden ist, aber nicht das zentrale. Das zentrale ist, warum in diesen 14 Jahren fast die verschiedenen Geheimdienste es nicht geschafft haben, der Zelle beizukommen, und da würde ich sagen, es ist eine Atmosphäre der Verharmlosung gewesen, dass man zwar Daten hatte, Fotos hatte und und und, aber sie nicht zu deuten wusste und die Gefahr nicht ernst genug genommen hat. Das ist der Kern. Wenn sich das jetzt ändert, ist das das Entscheidendere.

    Schulz: Das wollte ich Sie gerade fragen. Wird sich das denn jetzt zum Beispiel mit so einer Datei ändern?

    Funke: Nicht durch die Datei als solche, sondern durch die Atmosphäre, den anhaltenden Schock. Geht der vorbei und wird nicht durch die Medien erhalten, schleift sich alles ab und wir tun so, als sei wenig gewesen, machen Business as usual. Also es geht um den Versuch, tatsächlich die Öffentlichkeit, vor allem die Medien, aber natürlich auch die Institutionen wach zu halten, dass vor Ort nicht weiter Gewalt angewandt wird, wie dies gegenwärtig nach wie vor in großen Teilen Deutschlands der Fall ist.

    Schulz: Glauben Sie denn, dass die Datei, so wie sie jetzt geplant ist, die Ermittler schon früher auf die Spur der Zwickauer Terrorzelle gebracht hätte?

    Funke: Das glaube ich nicht. Gleichwohl ist die Datei nicht schlecht. Viel wichtiger ist noch das gemeinsame Abwehrzentrum im Kontext des Bundeskriminalamts in Meckenheim, weil die tatsächlich operativ tätig zu sein versuchen, täglich Informationen abgleichen und dies dann nun auf der Basis dieser Verbunddatei, und da erneut hängt es davon ab, ob sie operativ in die Länder sozusagen hineinkommunizieren und der Polizeipräsident vor Ort sich das auch sagen lässt und nicht einfach so weitermacht, wie vielfach auch heute noch.

    Schulz: Vielleicht ein bisschen pauschaler gefragt: Zieht der Staat die richtigen Lehren eben aus den Entdeckungen über die Zwickauer Neonazis?

    Funke: Nur dann, wenn es nicht nur in der Frage der Zelle eine rückhaltlose Aufklärung gibt, sondern auch hinsichtlich der Gründe und dem Ausmaß und den Verfahren der Verstrickung der einzelnen Geheimdienste, nichts sehen zu wollen beziehungsweise nicht angemessen zu sehen, sondern sich quasi ja blind zu stellen, oder das ganze zu verharmlosen, darüber wegzusehen. Alles das hört man und sieht man ja täglich in den Meldungen.

    Schulz: Sie haben das eben schon ein bisschen skizziert, was sich inzwischen getan hat. Können Sie sagen, ob oder inwiefern solche Schritte auch für Nervosität sorgen in der rechten Szene?

    Funke: Es gibt zwei Verhaltensmuster, natürlich noch sehr viel mehr, aber grob gesagt zwei. Das eine ist, sie ducken sich und halten sich zurück, tauchen weniger auf, lassen Kontakte sein, und ein anderer Teil verhält sich im Sinne des "jetzt erst recht". Und da dies auch eine Gefahr ist für die Bedrohten, sind Polizei und Justiz angehalten, sehr wachsam zu sein und tatsächlich den Strukturen intensiver als vor dem Selbstaufdecken der Zelle nachzugehen.

    Schulz: Jetzt haben die Zwickauer Neonazis offenbar relativ abgeschottet gearbeitet. Können Ermittler solchen, relativ abgeschotteten Strukturen überhaupt beikommen?

    Funke: Wenn sie gut aufgestellt sind, natürlich. Ich meine, es gab ja jede Menge Hinweise, die aber nicht zusammengeführt worden sind, weil es keinen politischen Willen gab, diese Verharmlosung von 20 Jahren Rechtsextremismus endlich zu beenden. Es gab zwar einige Debatten, wie im Jahr 2000 und dann noch einmal und dann noch einmal, dann verschwand es wieder. Heute haben wir tatsächlich konstruktiv gewendet eine Situation, in der das anders sein kann, aber man muss es von der Öffentlichkeit sehr beobachten.

    Schulz: Wer hat den Rechtsextremismus aus Ihrer Sicht verharmlost?

    Funke: Der Ministerpräsident von Sachsen, Biedenkopf, zum Beispiel im Jahr 2000, indem er sagte, die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus, nachdem es schon einige Morde gegeben hat und jede Menge Gewalttaten. Also wenn man die Dinge nicht angemessen wahrnimmt und die Konsequenzen zieht, dann dehnen sich vor Ort im Ort X oder im Ort Y, im Land A oder im Land B mit den Möglichkeiten rechtsextreme Szenen aus. Das ist leider so.

    Schulz: Sie haben das eben mit einigen Fragezeichen zu Beginn unseres Gesprächs gesagt. Gehen Sie davon aus, dass die Vorfälle um die Zwickauer Terrorzelle künftig für mehr Sensibilität sorgen werden bei den Ermittlern?

    Funke: Ich gehe davon aus. Das, was ich beobachten darf, also etwa das Bundeskriminalamt, aber auch lokale Behörden und regionale, auch die Aufarbeitung in Thüringen inzwischen, das sind klare Zeichen, dass man die Herausforderung annimmt.

    Schulz: Und daraus abgeleitet noch mal die generellere Frage: Für wie groß halten Sie die Gefahr des Rechtsextremismus derzeit in Deutschland?

    Funke: Sie ist natürlich ein relativ isoliertes Phänomen. Es wird keine Bundestagspartei geben nach aller Wahrscheinlichkeit in den nächsten 20 Jahren einer solchen rechtsextremen Partei, die Einfluss nimmt auf die Geschicke des Landes. Aber sie nimmt insofern, also die rechtsextreme Szenerie, auf die Geschicke des Landes Einfluss, indem sie Gewalt ausübt und auch mordfähig ist, sogar, wie man gesehen hat, zu Rechtsterrorismus fähig. Die Gefahr liegt für die Bedrohten und ist dort sehr ernst, und damit auch für die, sagen wir, liberale politische Kultur gegenseitiger Anerkennung. Das sind die großen Gefahren, und die sind größer als in vielen anderen westeuropäischen Ländern.

    Schulz: Professor Hajo Funke, Rechtsextremismus-Forscher an der Freien Universität in Berlin und heute in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Funke: Bitte schön.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.