Dienstag, 23. April 2024

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Politologe Neugebauer zum Asylkompromiss
"Die Koalition kann durchaus noch halten"

Trotz der Krise der Unionsparteien glaubt der Politologe Gero Neugebauer an die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition. Wenn sich die Krise stabilisiere und keine neuen Konflikte entstünden, könne die Koalition durchaus stabil agieren, sagte Neugebauer im Dlf.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.07.2018
    03.07.2018, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, nehmen an der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag teil. Im Mittelpunkt der 44. Sitzung der 19. Wahlperiode stehen die Schlussberatungen über den Bundeshaushalt für das laufende Jahr.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, nehmen an der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag teil. (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer, bis 2006 Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Guten Abend!
    Gero Neugebauer: Guten Abend, Herr Heinemann.
    Gespaltene Haltung der SPD
    Heinemann: Herr Neugebauer, kann sich die SPD eine Zustimmung zur neuen Migrationspolitik der Union leisten?
    Neugebauer: Sie muss auf das mögliche Ende schauen und dann schaut sie an sich herunter und sieht, in den Umfragen steht sie zwischen 17 und 20 Prozent. Die internen Machtverhältnisse sind fragil. Das heißt, die Partei ist noch nicht stabilisiert genug, auch hinsichtlich der angestrebten Erneuerung. Und in der Flüchtlingsfrage hat sie eine gespaltene Haltung. Die seinerzeitige Aussage von Frau Nahles, wir können nicht alle aufnehmen, hat ja Ablehnung provoziert. Aber wenn Sie heute auf die Szene gucken, sehen Sie, dass selbst die SPD-Linke gespalten ist. Transitzentren wollen wir nicht, sagt Herr Klingbeil, aber Herr Stegner sagt, schauen wir mal, da haben wir ja über andere geredet seinerzeit, während Frau Mattheis von der Demokratischen Linken 21 sagt, nein, kommt absolut nicht in Frage.
    Heinemann: Das heißt, Sie rechnen damit, dass die SPD eher taktisch und nicht inhaltlich entscheiden wird?
    Neugebauer: Ja, eher taktisch, weil inhaltlich hat sie ein Problem. Sie hat lange Zeit keine Gesamtposition in der Flüchtlingsfrage gehabt. Sie hat vor kurzem diesen Fünf-Punkte-Plan vorgestellt. Aber bis auf die Aussage aus dem Frühjahr 2016, wo Herr Gabriel seinerzeit ein Papier vorgestellt hat, wo er die Flüchtlingsfrage eher unter dem Gesichtspunkt der Integration behandelt hat und damit sie als eine soziale Frage stilisierte, nicht als ein kulturelles Problem – Stichwort Überfremdung oder Sicherheitsproblem; Stichwort kriminelle Ausländer -, seitdem hat sie eigentlich geschwiegen, und das macht es nun schwer für sie, eine Position zu finden. Und die fünf Punkte, die sie jetzt formuliert hat, sind natürlich Ausgangspunkte für die Verhandlung. Nur: Gegen was sollen die jetzt verhandelt werden? Gegen den Masterplan von Herrn Seehofer?
    Merkel - Von der Willkommens- zur Deportationskultur
    Heinemann: Stellt das Unionspapier – Stichwort Masterplan – eine Wende der Migrationspolitik dar?
    Neugebauer: Ja, es stellt insofern eine Wende in der Migrationspolitik dar, weil bestimmte Verfahren, die bisher garantiert waren und die auch in den ja schon bereits bestehenden Transitlagern praktiziert werden (manche nennen diese Transitlager ja auch schon Transitzentren), in diesen neuen Transitzentren nicht praktiziert werden sollen. Ich habe vorhin Herrn Söder gehört in einer Spätsendung im ZDF, und da hat er von diesen Lagern gesprochen, von diesen Zentren gesprochen, als ob es sich um, pardon, Käfighaltung handelt.
    Politologe Gero Neugebauer
    Politologe Gero Neugebauer (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Das heißt, da gibt es nur Sachleistungen, da gibt es keine Geldleistungen, da wird ein Verfahren durchgeführt, Asylanerkennung ganz schnell, die längste Frist, die möglich ist, sind 19 Tage, und Geld natürlich auch nicht, weil dann könnte man ja dann nicht nur Bonbons für Kinder kaufen, sondern auch einen rechtlichen Beistand sich sichern. Das ist wirklich eine Wende in Hinsicht auch auf die Flüchtlingspolitik der Regierung. Mit der Zustimmung zu diesen Zentren hat, glaube ich, Frau Merkel ihre Wende von der Willkommens- zur Deportationskultur vollzogen.
    Heinemann: Klingt spannungsreich. Halten Sie die schwarz-rote Koalition für stabil?
    Neugebauer: Wenn diese Parteienkrise der CDU/CSU sich stabilisieren lässt in der Hinsicht, dass sie sagt, wir haben erst einmal daraus keine neuen Konflikte zu erwarten, dann kann die Koalition durchaus stabil agieren, zumal die SPD meines Erachtens auch im Moment kein Interesse an Neuwahlen hat. Aber die Frage ist in der Tat, ob man das Regierungshandeln auf diesen Punkt reduzieren kann. Das nimmt zurzeit die meiste Aufmerksamkeit auf sich, aber es gibt durchaus Punkte, wo sie agieren können und auch wollen, und insofern, denke ich: Blickt man aufs Ganze, kann die Koalition durchaus noch halten.
    Das ist dann "Bavaria First"
    Heinemann: Die CSU versucht zumindest im Augenblick, die AfD anzugreifen, ohne das Asylrecht und das Grundgesetz anzutasten, jedenfalls dem Buchstaben nach. Verhält sich die CSU mutiger als die politischen Mitbewerber?
    Neugebauer: Ja, aber was ist das für eine Art von Mut? Wenn man die Sprache der CSU sieht, insbesondere durch ihre Eliten, oder hört vielmehr, dann sagt man sich, wo sind da die Differenzen oder sind manche Sachen nicht einfach nur Übertreibungen. Wenn man sich an Herrn Detjens Kommentar erinnert fühlt, der den Einzug des Trumpismus beklagt, was da die CSU macht, das geht noch über das, was die AfD macht, hinaus. Denn Söder zum Beispiel betont wiederum, bayerische Regeln sollen zu deutschen Regeln führen, deutsche Regeln sollen die europäischen Regeln bestimmen, und das ist dann "Bavaria First", während die AfD ja mit ihrem alles für Deutsche einen schon noch weiteren Horizont hat, aber sehr viel weiter nun auch nicht. Und dann bin ich immer noch nicht ganz sicher, ob nicht das, was jetzt eingeleitet wird, möglicherweise auch dazu führt, dass wir in Zukunft gar kein individuelles Asylrecht mit einer Grundgesetzgarantie haben, sondern möglicherweise nur noch ein institutionelles, wo dann nach dem Motto die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen eine Selektion wie in den USA verläuft.
    Heinemann: Wobei das ausdrücklich nicht angedacht ist.
    Neugebauer: Ja, das ist richtig. Aber wenn man erst mal was losgetreten hat – und das ist die Frage, welche Dynamik dann dieser Prozess bekommt -, dann wird unter veränderten Gesichtspunkten und auch unter der Beachtung der Entwicklung im Parteiensystem (wir haben seit 2013 eine permanente Entwicklung hin zu mehr Stimmen rechts von der Mitte zu politischen Positionen), ob das dann nicht bei sich verstärkendem Trumpismus in Deutschland dazu führt, dass man sagt, na ja, gut, dann drehen wir da die nächste Schraube.
    Heinemann: Wieso überlagert das Thema Migration fast alles andere im Augenblick?
    Neugebauer: Ich halte das für ein Ergebnis: Eine hohe Aufmerksamkeit hat diese Konfrontation zwischen CDU und CSU, zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer gewonnen. Das Thema Flüchtlinge ist eigentlich von der Masse her zurzeit nicht so interessant. Es steht bei den Umfragen im Sorgenkatalog der Deutschen oben, aber als Wahlentscheidung ist es nicht das ausschließliche Thema, außer bei AfD-Anhängern. Und möglicherweise ist es das Thema, in dem die latent vorhandene Unsicherheit in der Gesellschaft über die Art und Weise, wie man den Herausforderungen der Globalisierung in der Wirtschaft, in der Kultur, in der Politik, in der Sicherheitspolitik, Beantwortung der Herausforderungen durch Krisen, wie man das meistert und dass man da sich dann auf die Flüchtlingsfrage konzentriert.
    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Neugebauer: Gern geschehen und auf Wiederhören, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.