Donnerstag, 25. April 2024

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Politologe: Putin wird Sündenbock für Wahlfälschungen suchen

Bei der Präsidentenwahl in Russland sind bislang 3000 bis 5000 Fälle von Wahlfälschungen belegt, sagt der Politologe Falk Bomsdorf, der lange Jahre in Moskau tätig war. Einige würden als Sündenböcke herausgesucht und bestraft, mutmaßt Bomsdorf - die große Masse nicht.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 06.03.2012
    Sandra Schulz: In Russland hat Wladimir Putin also den Präsidentensessel zurückerobert bei der Wahl am Sonntag. Damit ist in Russland künftig trotzdem aber nicht alles beim Alten, denn mit so viel Widerstand wie in den vergangenen Monaten und Tagen war Putin in seiner ersten Amtszeit von 2000 bis 2008 lange nicht konfrontiert. Das begann mit Massenprotesten nach den Parlamentswahlen Ende letzten Jahres und auch gestern wieder haben sich Zehntausende in Moskau versammelt. Laut OSZE war die Wahl weder frei, noch fair, und obwohl die Demonstrationen genehmigt waren, hat es viele Festnahmen gegeben.
    Mitdemonstriert hat am Abend auch Falk Bomsdorf, langjähriger Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Falk Bomsdorf: Ja guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Bomsdorf, was haben Sie mitbekommen vom harten Vorgehen der Polizei?

    Bomsdorf: Das war am Ende der Demonstration, als sich der harte Kern nicht nach Hause begeben wollte, sondern, wie das auch schon angekündigt worden war, bleiben wollte. Da ist dann hart durchgegriffen worden – völlig unnötig. An sich war von der Polizei angekündigt worden gegenüber dem einen Abgeordneten, der noch auf dem Platz war, dass man dieses versprengte Häuflein – so kann man es nennen – noch auf dem Platz lassen würde. Aber das war offenbar eine Falschmeldung, jedenfalls ist man ziemlich hart vorgegangen und wie gesagt völlig unnötigerweise.

    Schulz: Wie erklären Sie sich dieses harte Vorgehen? Ist das jetzt schon die Linie des neuen Putin?

    Bomsdorf: Ich würde sagen, das kann man durchaus so sehen. Im Rahmen des Erlaubten wird man Raum lassen, aber sobald etwas über das Erlaubte hinausgeht, will man offenbar von vornherein demonstrieren, dass man zukünftig hart durchzugreifen gedenkt.

    Schulz: Gleichzeitig sind die Dimensionen des Protests ja auch ganz neu in Russland. Ist das ein Zeichen dafür, dass sich was ändert?

    Bomsdorf: Es ändert sich sicher etwas. Die Frage ist nur, wie weit das geht. Ich muss sagen, bei dieser Demonstration war doch – Ihre Korrespondentin hat das ja gekennzeichnet mit den Worten Frust und Zorn -, das war in der Tat so. Aber es gab auch noch andere Charakteristika. Insbesondere war unübersehbar, dass die Mittelklasse, die ja bei den bisherigen großen Demonstrationen ganz offensichtlich dabei war, weithin fehlte. Und diejenigen, die da waren – das ist mir aufgefallen -, gingen teilweise. Es war ein anderer Charakter, den diesmal die Demonstration angenommen hatte, etwas gröber, könnte man vielleicht sagen. Die Losungen, die skandiert wurden, verrieten eher Verlegenheit als politische Visionen, und diese Rufe, Putin ist ein Dieb und Russland ohne Putin, sie klangen fast schon etwas routiniert und fast schon etwas verzweifelt, muss ich sagen. Das ist jedenfalls mein Eindruck.

    Schulz: Kann Wladimir Putin das aussitzen, oder wie muss er reagieren?

    Bomsdorf: Er wird sicherlich versuchen, die Dinge auszusitzen, keine Frage, und eher nach dem Motto vorgehen, ignorieren, soweit es irgendwie möglich ist. Er wird auch auf die Kräfte der Opposition in gewisser Weise formal zugehen, indem er gewisse Konzessionen macht, die als Konzessionen erscheinen, die in Wirklichkeit aber den Kern seiner Macht nicht berühren. Das ist das, was ich wirklich fürchte.

    Schulz: Und wenn wir noch mal bei dieser harten Linie bleiben, die sich jetzt möglicherweise abzeichnet. Sie haben gerade auch die Protestbewegung inzwischen als rauer charakterisiert. Läuft das auf Eskalation hinaus?

    Bomsdorf: Das wäre durchaus möglich, und genau das ist die Gefahr. Es wurde schon von Bürgerkrieg geredet, der Vertreter der Linksradikalen, Udalzow, rief offen zur Revolution auf. Das spielt der Macht letzten Endes in die Hände und das wird auch die abschrecken, die gerade die Mittelklasse vertreten, die begüterte Mittelklasse, um es einmal so zu bezeichnen, die mit dieser Art von Gewalt nichts im Sinn haben, und das ist eine Entwicklung, die nur zu bedauern ist.

    Schulz: Wie kommt es aus Ihrer Sicht dazu, dass die Mittelklasse sich jetzt offenbar stärker zurücknimmt?

    Bomsdorf: Nun, sie hat gesehen, der Ausgang der Wahlen war wie vorhergesehen. Es ist also nichts erreicht worden, keine einzige der Forderungen, die die Demonstranten auf den bisherigen großen Demonstrationen gestellt haben, ist erfüllt worden. Es scheint mir, hier eine gewisse Resignation einzutreten. Im Übrigen hat das vielleicht auch ganz praktische Gründe. Montagabend geht man nicht unbedingt demonstrieren. Es wird sich zeigen, ob die Demonstration, zu der am nächsten Samstag aufgerufen wird, eine Rückkehr der Mittelklasse bringen wird. Ich bin aber da keineswegs sicher.

    Schulz: Ausgangspunkt für die Proteste sind ja die Berichte über die Wahlfälschungen. Welche Informationen haben Sie darüber?

    Bomsdorf: Nun, die Informationen werden jetzt sehr viel genauer. Bisher haben wir Berichte über Tausende, es schwankt zwischen 3000 und 5000 einzelnen Fällen. Sie sind sehr genau belegt. Es spricht also alles dafür, das sind ja sehr genaue Berichte aus den Provinzen, aber auch aus Moskau und Petersburg, es spricht alles dafür, dass hier wirklich massenhaft Unregelmäßigkeiten, um es zurückhaltend auszudrücken, vorgekommen sind. Putin und seine Mannschaft tun nun alles, um gegen diese Fälschungsvorwürfe zu kämpfen und sie als unberechtigt darzustellen. Es wird sich zeigen, inwieweit er hier gehen kann. Er hat ja alles getan, um die Vereinigungen, die sich den Wahlen und der Überwachung der Wahlen gewidmet haben, also etwa diese berühmte Vereinigung "Golos", zu behindern. Dennoch arbeiten die in bewundernswerter Weise weiter und es wird schwerfallen, diese Vorwürfe zu widerlegen.

    Schulz: Andererseits hat sich Putin offenbar auch an die Spitze der Aufklärer gesetzt und droht denen mit Konsequenzen, denen Wahlfälschungen nachgewiesen werden können. Für wie glaubhaft halten Sie das?

    Bomsdorf: Es kann gut sein, dass dann einige als Sündenbock herhalten müssen, wie das auch bei der Korruptionsbekämpfung der Fall ist. Einige werden herausgesucht und werden bestraft. Aber die große Masse kommt überhaupt nicht in Betracht und wird überhaupt nicht wirklich behandelt als das, was sie sind, nämlich wirklich exorbitante Fälschungen. Also ich bin da skeptisch.

    Schulz: Falk Bomsdorf, bis vor kurzem Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau und heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke!

    Bomsdorf: Bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.