Donnerstag, 25. April 2024

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Politologe zu Hamburg-Wahl
Niedermayer: "Kein Erfolg der Bundes-SPD"

Der Politologe Oskar Niedermayer sieht im Hamburger Wahlergebnis der SPD keinen Grund für die Bundespartei, das gute Abschneiden als Erfolg zu feiern. Die Hambuger SPD sei mit einem Kurs stärkste Partei geworden, der "eindeutig gegen Berlin gerichtet" gewesen sei, sagte er im Dlf.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.02.2020
Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer
Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer (dpa/ picture alliance/ Julian Stratenschulte)
Rot-Grün wird nach der Hamburgischen Bürgerschaftswahl im Senat weiterregieren können mit Peter Tschentscher an der Spitze. Die Grünen haben ihr Wahlergebnis mehr als verdoppelt, bleiben aber dennoch zweitstärkste Kaft nach der SPD. Die CDU stürzt ab auf etwas mehr als elf Prozent, die Linken kommen auf rund neun Prozent der Stimmen, die AfD verliert, bleibt aber mit gut fünf Prozent im Parlament vertreten, während die Liberalen nach jetzigem Stand weiter zittern müssen.
Oskar Niedermayer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, sprach im Dlf darüber, welche Konsequenzen die Hamburg-Wahl für die Bundesparteien hat.
Mario Dobovisek: Welches ist aus Ihrer Sicht das stärkste Signal, das von der Hamburg-Wahl ausgeht?
Oskar Niedermayer: Das stärkste bundespolitische Signal, denke ich, ist, dass die SPD noch Wahlen gewinnen kann, was ja in den letzten Monaten nicht der Fall war.
Dobovisek: Auch wenn sie mehr als sechs Prozentpunkte einbüßt.
Niedermayer: Ja, sie hat deutlich verloren, aber das war nicht das letzte Wahlergebnis. Vor fünf Jahren war natürlich mit Olaf Scholz ein herausragend starkes Wahlergebnis, das darf man nicht vergessen, und die Lage hat sich ja dramatisch verändert in den fünf Jahren. Insofern war klar, dass die SPD Verluste einfährt, aber sie hat eben ganz klar die Wahl gewonnen, sie ist ganz klar stärkste Partei geworden. Aber – das muss man eindeutig sagen – sie ist mit einem Kurs stärkste Partei geworden, der eindeutig gegen die Bundes-SPD gerichtet war, denn die beiden neuen Bundesvorsitzenden wurden explizit nicht eingeladen für den Wahlkampf, und die Hamburger SPD hat sich auch inhaltlich gegen den Linkskurs der Bundes-SPD gestellt. Insofern war das ein Erfolg von Herrn Tschentscher und der Hamburger SPD, aber nicht der Bundes-SPD.
"Das Einzige, was für die Bundes-SPD bleibt, ist, dass es eine Stärkung von Olaf Scholz ist"
Dobovisek: Was heißt das letztlich für die Bundes-SPD?
Niedermayer: Man versucht ja durchaus jetzt das gute Ergebnis auch auf die eigenen Mühlen zu laden, aber das gelingt nicht so sehr. Das Einzige, was für die Bundes-SPD bleibt, ist, dass es eine Stärkung von Olaf Scholz ist als Person, denn genau sein Kurs der Mitte, wirtschaftsfreundlicher als die beiden neuen Vorsitzenden, der wurde belohnt in Hamburg. Die Frage ist jetzt natürlich, ob das jetzt eine Auswirkung hat auch auf die Diskussion um den möglichen Kanzlerkandidaten der SPD.
Dobovisek: Die Grünen verdoppeln sich in Hamburg, wir lernen auch, dass die Grünen vor allem ehemalige SPD-Wähler gewinnen konnten, das zeigen uns die Wählerwanderungen. Können die Grünen diesen Schwung mitnehmen auch in die anderen anstehenden Wahlen, natürlich auch ganz groß voran die Bundestagswahl?
Niedermayer: Einerseits ist es ganz klar, die Grünen haben einen ganz großen Erfolg erzielt, sie konnten ihr Ergebnis verdoppeln. Andererseits hat man das natürlich auch ein bisschen an den Erwartungen gemessen, und die waren ja zwischendurch mal so, dass die Grünen in Hamburg den Ministerpräsidenten oder die Ministerpräsidentin stellen könnten. Das ist jetzt ganz eindeutig nicht der Fall, die Grünen liegen ganz wesentlich hinter der SPD. Ich denke, dass das bundesweit durchaus wirklich als Erfolg gefeiert werden kann, aber andererseits ist es eben so, dass auch für die Grünen, selbst wenn sie optimale Bedingungen haben – und das war in Hamburg der Fall –, die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und mit Volkspartei sollte man sehr vorsichtig sein bei den Grünen, denn inhaltlich stehen sie eben in den großen Konfliktlinien, die wir im Parteiensystem haben, durchaus am Rand des Parteiensystems. Sie sind ganz klar der liberale Pol, wenn es um die Gesellschaftspolitik geht, und wirtschaftspolitisch sind sie nicht in der Mitte, sondern sie sind durchaus im linken Bereich.
"Es ist auch, aber nicht nur der Thüringen-Effekt"
Dobovisek: Der andere liberale Pol, die FDP, wurde ganz klar abgestraft, muss noch darum zittern, überhaupt in der Bürgerschaft zu bleiben. Ist das der Thüringen-Effekt?
Niedermayer: Es ist auch, aber nicht nur der Thüringen-Effekt. Es ist ja generell so, dass Landtagswahlen von der überwiegenden Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unter landespolitischen Gesichtspunkten entschieden werden, und das war auch in Hamburg der Fall, und zwar in Stadtstaaten wie in Hamburg noch stärker als in Flächenländern. Das haben nur ungefähr 23 Prozent gesagt, die Bundespolitik die größere Rolle bei ihrer Entscheidung. Und man darf auch nicht vergessen, in der letzten Umfrage vor Thüringen war die FDP bei 5 Prozent, danach war sie auch bei 5 Prozent. Also es hatte bestimmt einen Effekt dann letztendlich am Wahltag, aber man sollte nicht – weder bei der CDU noch bei der FDP – alles auf den Bund schieben.
Dobovisek: Gerade bei der CDU müssen wir uns jetzt noch ein paar Minuten Zeit nehmen, um darüber zu reden, denn die CDU hat ja bekanntermaßen ihre Führungsdebatte gerade zu führen, die Debatte, die die SPD ja hinter sich hat. Jetzt holt die CDU ein historisch schlechtes Ergebnis in Hamburg mit knapp über 11 Prozent – wir erinnern uns, so lange ist es noch gar nicht her, dass die CDU in Hamburg mit absoluter Mehrheit regieren konnte. Wird das die Führungsdebatte in der CDU noch einmal beschleunigen?
Niedermayer: Ich glaube, dass das Hamburger Ergebnis zum großen Teil schon eingepreist war bei der Bundes-CDU. Man wusste um die Schwächen der CDU in Hamburg, das hat sich auch deutlich gezeigt. Die Hamburger CDU wird relativ schlecht bewertet von den Wählern, sie hatte kein Alleinstellungsmerkmal im inhaltlichen Bereich, also kein Thema, mit dem sie punkten konnte. Der Spitzenkandidat war weit abgeschlagen hinter Tschentscher und Fegebank. Also es ist sehr viel auch Hamburger Lokalkolorit bei dem Ergebnis, und es ist klar, dass ein solches Wahldesaster – und das ist es – für die Bundesebene negative Konsequenzen hat. Aber ich denke, es wird jetzt sehr schnell wieder um bundespolitische Fragen gehen natürlich, ab heute Abend oder heute Nachmittag, um das Prozedere, mit dem der neue Vorsitzende gewählt wird.
Dobovisek: Ja, Vorstand und Präsidium der CDU, die tagen ja den ganzen Vormittag über und auch im Moment noch. Da könnte jetzt alles ganz schnell gehen, anders als von Annegret Kramp-Karrenbauer ursprünglich vorgeschlagen, denn wir hören, es könnte schon am 25. April einen Sonderparteitag geben – da werden wir wahrscheinlich in ein, zwei Stunden mehr wissen. Wäre das der richtige Weg, Herr Niedermayer?
Niedermayer: Das wäre natürlich der richtige Weg. Es war von Anfang an völlig unsinnig, diese ganze Geschichte fast ein Jahr hinziehen zu wollen. Das war illusorisch, dass es hätte klappen können. Die Frage, die sich jetzt einfach stellt, ist, was passiert auf dem Sonderparteitag. Gibt es irgendeine Form von Agreement zwischen den Kandidaten, eine Art Teamlösung, bei der natürlich einer davon vorne stehen muss, das ist ganz klar, oder werden wir, was natürlich durch die Bewerbung von Herrn Röttgen in der Wahrscheinlichkeit gestiegen ist, Kampfkandidaturen bekommen?
Niedermayer: Kanzler-Kandidatenfrage muss schnell geklärt werden
Dobovisek: Denn er hat ja ganz klar gesagt, mit ihm wird es keine Teamlösung geben. Und übrigens, nur fürs Protokoll, er ist ja auch der Einzige, der sich bisher offiziell erklärt hat. Das muss sich wohl ändern schnell.
Niedermayer: Ja, das muss sich jetzt schnell ändern, denn man kann jetzt die Woche über keine Gespräche mit potenziellen Kandidaten führen, die nachher gar keine sind. Also das ist unsinnig, und deswegen muss es jetzt eine Entscheidung sowohl über das Prozedere geben als auch über diejenigen, die sich da jetzt melden.
Mögliche Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, Jens Spahn, Norbert Röttgen und Armin Laschet
CDU - Wer wird neuer Parteivorsitzender?
Nach dem angekündigten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Parteivorsitz stellt sich für die CDU die K-Frage. Mehrere Kandidaten bringen sich dafür in Stellung. Doch wer steht für welche Positionen? Ein Überblick.
Dobovisek: Wie schwer wiegt dabei Thüringen und die Thüringen-CDU weiter als Klotz am Bein der CDU?
Niedermayer: Das wiegt schon schwer, denn es geht ja nicht nur rein um Personalentscheidungen bei den neuen Vorsitzenden, sondern es geht ja parallel dazu und damit verwoben um inhaltliche Entscheidungen: Wo will die CDU in Zukunft stehen, will sie den Merkel-Kurs weiterführen, will sie dem konservativen Teil der Wählerschaft stärkere Angebote machen, und damit verwoben natürlich die Frage der Abgrenzung nach links und nach rechts.
"Das ist ja nicht weg, was in Thüringen passiert"
Dobovisek: Eine ganz wichtige Frage, denn die Thüringen-CDU möchte Linkspolitiker Bodo Ramelow in einem neuen Anlauf wählen – in einem Jahr, dann soll es Neuwahlen geben, so lautete die Bedingung dafür. Doch die Bundes-CDU läuft ja weiter Sturm genau dagegen, die Thüringer würden gegen den Parteitagsbeschluss von 2018 verstoßen, heißt es. Wer muss sich da jetzt bewegen – die Thüringen-CDU oder die Bundes-CDU?
Niedermayer: Na ja, dass die Bundes-CDU, das ist ja nicht weg, was in Thüringen passiert, ist ganz klar, es hätte ja auch vermieden werden können. Wenn die Thüringer CDU sich von Anfang an in allen drei Wahlgängen bei der damaligen Wahl enthalten hätte, dann wäre Ramelow im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt worden, dann hätte es eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung gegeben. Und dann hätte es etwas geben können, was ja von der Bundes-CDU mit schon Placet versehen war, nämlich – ich würde es mal so nennen – eine punktuelle Duldung einer von Linken geführten Minderheitsregierung, dass man sagt, bei bestimmten Gesetzesvorhaben, die auch mit der CDU-Programmatik und -Politik übereinstimmen, da verhilft man der Regierung zur Mehrheit, bei anderen nicht. Das ist jetzt vom Tisch, und jetzt geht es darum, dass man tatsächlich offiziell einen linken Ministerpräsidenten mitwählt. Das ist eine Form der Zusammenarbeit, die durch einen Bundesparteitagsbeschluss ausgeschlossen ist, und das ist jetzt das große Problem, das man eigentlich nur lösen kann, indem man jetzt …
Dobovisek: Herr Niedermayer, da bleibt noch viel zu diskutieren darüber und zu klären.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.