Freitag, 19. April 2024

Archiv

Politologe zu Thüringen
"Eine Krise des politischen Personals"

Der Politologe Herfried Münkler rügt die Skrupellosigkeit und handwerkliche Unfähigkeit der Politiker in Thüringen. Das liege auch daran, dass es heute nicht mehr attraktiv sei, als Politiker zu arbeiten, sagte Münkler im Dlf.

Herfried Münkler im Gespräch mit Dirk Müller | 07.02.2020
Mike Mohring, CDU-Fraktionschef, gratuliert Thomas Kemmerich (FDP), dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten, mit einem Blumenstrauß.
Nach der Ministerpräsidentenwahl Thüringen: CDU-Fraktionschef Mohring gratuliert dem FDP-Politiker Kemmerich (dpa/Martin Schutt)
Das Entsetzen über die Vorgänge in Thüringen war deutschlandweit zu spüren. Es gab auf der anderen Seite aber auch Unterstützung, Beifall für das, was sich im Landtag abgespielt hat - nicht nur von Seiten der AfD. Die Thüringer Fraktionen von CDU und FDP hatten den FDP-Politiker Thomas Kemmerich am Mittwoch gemeinsam mit der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Das löste heftige Empörung quer durch die politischen Lager aus. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler kritisierte im Dlf Politiker, die "ihr Handwerk nicht beherrschen".
Demonstration auf dem Holzmarkt Jena gegen die Wahl des neuen Ministerpräsidenten von Thüringen Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP am 5.2.2020 Demoschild zum Blumenstraußwurf von Susanne Hennig-Wellsow Die Linke im Thüringer Landtag Holzmark Jena *** Demonstration on the timber market in Jena against the election of the new Prime Minister of Thuringia Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP on 5 2 2020 Demo sign for Susanne Hennig Wellsows bouquet of flowers The Left in the Thuringian Parliament Holzmark Jena
Nach der Thüringen-Wahl: Die Standpunkte der Parteien
Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sorgt für enorme politische Turbulenzen – in den Parteien werden die Konsequenzen heiß diskutiert.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Dirk Müller: Ist Erfurt eine nicht opportune Demokratie?
Herfried Münkler: Na ja, gut. Was wir beobachtet haben, kann man in zweierlei Hinsicht beurteilen: Entweder eine doch beachtliche Skrupellosigkeit bei der FDP und der CDU, die sich auf dieses Spiel eingelassen hat, wissend, was dabei herauskommen könnte, oder aber eine handwerkliche Naivität, die in eine Falle der AfD hineingegangen ist, insofern die in den Wahlgängen vorher ja ihren eigenen Kandidaten hatten, und den hatten sie für den letzten Wahlgang auch. Aber sie haben ihn dann geschlossen nicht gewählt, sondern den Kandidaten, den die FDP aufgestellt hat, so dass man sagen kann, die sind einfach naiv und haben damit nicht gerechnet. Es ist beides eigentlich für das Vertrauen in die Demokratie problematisch, Skrupellosigkeit und handwerkliche Unfähigkeit.
Müller: Zeigt es aber, Herr Münkler, wenn ich Sie unterbrechen darf, nicht auf der anderen Seite auch die Funktionsfähigkeit der Demokratie, oder ist das abhängig davon, wer gerade mit dabei ist?
Münkler: Wir können zurzeit beobachten, dass wir auch eine Krise des politischen Personals haben. Dazu muss man allerdings sagen, dass die natürlich von bestimmten Kreisen systematisch befördert wird. Es ist nicht besonders attraktiv, Politiker zu werden, weil man ist in der harmlosesten Form Shitstorms und in zugespitzter Form Bedrohungen ausgesetzt, und das verändert natürlich auch das politische Personal. Das gehört sicherlich mit dazu.
Müller: Das ist nicht so gut, sagen Sie, im Moment das Personal? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Münkler: Ja, das kann man, glaube ich, sagen.
Müller: Wen meinen Sie denn damit?
Münkler: Na ja. Ich meine, dass der gute Kemmerich da in Erfurt nicht begriffen hat, was da Sache ist, was da passiert ist, sondern in einer gewissen frisch, fromm, fröhlich-naiven Art dann gesagt hat, na ja, gut, ich nehme die Wahl an, zeigt, es ist eigentlich kein politisch gewiefter Mann.
"Von Image-Agenturen ein bisschen zurechtfrisiert"
Müller: Sie sagen, der gute Kemmerich, Herr Münkler. Der gute Lindner? Darüber haben wir gerade schon gesprochen.
Münkler: Ja, gut, auch der und Kubicki und einige andere innerhalb der FDP-Führung geglaubt haben, das sei ein - was habe ich vorhin bereits gehört - Husarenstreich, der da gelungen sei, und geglaubt haben, sie haben mit der AfD letzten Endes ein kleines Geschäft gemacht und können nunmehr ihre Beute in Sicherheit bringen, indem sie andere Parteien auffordern, Kemmerich zu unterstützen. Das heißt, sie haben überhaupt kein Gespür gehabt für das, was da passiert ist, welche Grenze sie da überschritten haben, dass sie im Prinzip Weimarer Spielchen gespielt haben, dass sie sich auf die Naivität, wir können uns den oder die (in diesem Falle Höcke) zu Nutze machen, eingelassen haben.
Herfried Münkler, Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin
Herfried Münkler Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Professor an de (imago/Thilo Rückeis)
Das zeigt schon, dass hier wir es mit Leuten zu tun haben, die weder in taktischer, noch in strategischer Hinsicht wirklichen Aufgaben gewachsen sind. Das sind Leute, die vielleicht schicke Auftritte hinbekommen, die von Image-Agenturen ein bisschen zurechtfrisiert werden, die aber ihr Handwerk nicht beherrschen.
Müller: Dann reden wir über Annegret Kramp-Karrenbauer, ohne jetzt die Frisur zu thematisieren. Wie gut ist sie in Taktik und Strategie?
Münkler: Sie hat ja gleich reagiert und hat in dieser Frage eine andere Linie gefahren als Lindner.
Müller: Sie hat es nicht verhindern können.
Münkler: Ja, gut. Das ist offenbar bis im Augenblick das Problem, dass der Landesverband Thüringen in dieser Frage offenbar einen anderen Kurs fährt als die Bundes-CDU.
Müller: Aber die Abgeordneten im Thüringer Landtag, die CDU-Abgeordneten, Herr Münkler, sind ja keine Angestellten des Konrad-Adenauer-Hauses.
Münkler: Das ist sicher so richtig und man kann ihnen auch nicht per par ordre du mufti auftragen, dass sie jetzt für die Auflösung dieses Parlaments sind, oder was auch immer machen. Man muss sie überzeugen und das ist eine schwierige Arbeit. Das zeigt, welche Probleme man teilweise in den neuen Bundesländern hat, Abgeordnete zu bekommen, zu rekrutieren, die eine wirkliche Vorstellung von Demokratie und vor allen Dingen auch den Problemen der Demokratie in der deutschen Geschichte, sprich Untergang der Weimarer Republik haben. Und das zeigt das, was ich eingangs gesagt habe, nämlich eine gewisse Verschlechterung des politischen Personals, die man da beobachten kann.
Müller: Sie meinen Geschichtsvergessenheit? Das ist hier das Problem bei vielen im Osten?
Münkler: Vergessenheit - das klingt so, als hätten die das irgendwann mal begriffen gehabt und hätten es nunmehr vergessen. Ich fürchte, die haben es nie begriffen.
"Sie haben sich verkalkuliert"
Müller: Aber so schwer ist das ja nicht zu begreifen.
Münkler: Das weiß ich nicht. Wissen Sie, in der DDR ist die Zeit von 33 bis 45 anders behandelt worden. Da war das eine Frage des Klassenkampfes und keine Frage auch der Entrechtung und Ermordung der Juden. Deswegen haben die das auch immer Faschismus genannt und nicht Nationalsozialismus. Und das zittert alles natürlich noch nach. Eine andere Beurteilung von Konstellationen, und die fällt im Prinzip der gesamten Republik im Augenblick ziemlich auf die Füße.
Müller: Ich muss Sie das noch mal fragen, aus der Sicht des Politikwissenschaftlers, auch des Historikers, tun wir jetzt ja die ganze Zeit. Aber Sie haben gerade auf meine Frage hin gesagt, sind die Abgeordneten unabhängiger geworden, beziehungsweise sie lassen sich nicht mehr alles aus Berlin diktieren. Bei der SED beispielsweise haben wir das ja dann auch immer wieder kritisiert, dass alle mitgemacht haben, auch was die NSDAP und das Nazi-Regime anbetrifft. Jetzt gibt es offenbar selbstbewusste Abgeordnete in Thüringen, in Erfurt, wie auch in anderen Parlamenten, die da sagen, na ja, die können mich mal in Berlin, wir sind gewählt, wir sind legitimiert vom Volk und wir haben unsere eigene politische Haltung dazu im Rahmen unserer Partei. Was ist daran schlecht?
Münkler: Zunächst einmal ist daran nichts schlecht. Das ist auch ziemlich klar. Sie sind frei gewählt und für sich selber verantwortlich. Aber wenn zwei Unterschiedliche es tun, kann das trotzdem in einer Weise eine unglückliche Entscheidung sein, und in diesem Falle ist es eine naive, wenn man von der Vorstellung ausgeht, man könne im Prinzip mit diesem Teil der AfD, dem völkischen Teil, politische Spiele machen und man sei dem gewachsen. Das, hat sich gezeigt, waren sie nicht. Sie haben sich verkalkuliert. Im Prinzip sind sie in eine Falle hineingegangen, die die AfD ihnen gestellt hat, weil ich nun mal nicht davon ausgehe, dass das in dieser Weise vorher mit der AfD abgesprochen war. Und das zeigt dann, sie können ja durchaus sagen, wir sind selbständige Leute, aber sie sollten sich dabei überlegen, was die Fähigkeiten sind, die sie besitzen, ihre Selbständigkeit tatsächlich zur Geltung zu bringen. Die scheinen, unterentwickelt zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.