Donnerstag, 25. April 2024

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Politologe zur Spanien-Wahl
"Kooperatives Regieren ist Maßgabe der Stunde"

Es gebe nach der Parlamentswahl in Spanien zwei Lager, die sich nicht miteinander koalitionsfähig zeigten, sagte Politologe Günther Maihold im Dlf. Der neue Ministerpräsident müsse diesen Konflikt überwinden, damit Spanien dauerhaft handlungsfähig sei.

Günther Maihold im Gespräch mit Mario Dobovisek | 29.04.2019
    Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez bei einer Kundgebung der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) am Abend nach der Parlamentswahl in Madrid
    Pedro Sanchez müsse "eine neue Grundlage für Spanien als Nation finden", sagte der Politologe Günther Maihold im Dlf (JAVIER SORIANO / AFP)
    Mario Dobovisek: Die Sozialdemokraten gewinnen die Wahlen in Spanien. Premierminister Pedro Sanchez macht seine Partei zur stärksten Kraft. Doch jetzt muss er nach Mehrheiten suchen - und dafür wohl auch mit aus seiner Sicht unangenehmen Partnern verhandeln, wieder vielleicht mit den Separatisten zum Beispiel. In das spanische Parlament einziehen wird auch die rechtsradikale Vox-Partei. Gut zehn Prozent der Stimmen hat sie bekommen. Und die alten Mehrheiten, sie verschieben sich.
    Am Telefon begrüße ich Günther Maihold, Politikwissenschaftler von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die die Bundesregierung berät und teils auch von ihr finanziert wird. Guten Tag, Herr Maihold.
    Günther Maihold: Guten Tag.
    Dobovisek: Spanien hat gewählt, die Sozialdemokraten haben die meisten Stimmen, aber keine Mehrheit. Wie schwer wird es für Pedro Sanchez werden, eine Regierung zu bilden?
    Maihold: Es dürfte ihm nicht schwerfallen, eine Regierung zu bilden. Aber sich dauerhafte Mehrheiten zu verschaffen, ist wohl die Hauptherausforderung. Er kann sich zum Ministerpräsidenten wahrscheinlich wählen lassen, indem bestimmte Unabhängigkeitsparteien sich der Stimme enthalten. Aber er muss natürlich auch seinen Haushalt durchbringen, genau diese Frage, die ja jetzt auch zu den vorgezogenen Wahlen geführt hat. Es wird schwierig werden, eine dauerhafte Koalitionsmehrheit zu sichern, und es wird die Suche nach den Einzelstimmen von einzelnen Regionalparteien an der Tagesordnung sein.
    Dobovisek: Die Separatisten, vor allem die Katalanen sind gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen. Sie waren es ja auch, die zu den Neuwahlen geführt haben. Wird Sanchez am Ende wieder auf sie angewiesen sein?
    Maihold: Das könnte so sein. Er kann natürlich zunächst auf Stimmen aus dem Baskenland bauen, aber das reicht noch nicht. Und wir sehen natürlich auch, dass in dem katalanischen Unabhängigkeitslager Bewegung sich abzeichnet, dass die harten Konfrontationslinien sich offensichtlich etwas aufweichen. Das wäre für ihn eine Chance, hier nicht in die Fangarme eines konfrontativen Politikstils zu geraten, weil eigentlich ist jetzt die Maßgabe der Stunde: Kooperatives Regieren ist gefragt, damit man endlich die regionale Kuh vom Eis bekommt.
    Dobovisek: Aber steht Spanien jetzt nach den Wahlen im Grunde vor dem gleichen Patt, vor dem Spanien auch vor den Wahlen schon stand?
    Maihold: Es ist im Prinzip die Konstellation, dass wir zwei Spanien haben, zwei Lager, die sich nicht miteinander koalitionsfähig zeigen und wo die Wählerschaft in der Regel sich nur relativ in den jeweiligen Lagern bewegt. Diese Situation muss überwunden werden, damit Spanien dauerhaft handlungsfähig ist, und das muss natürlich auch eine Aufgabe eines neuen Ministerpräsidenten sein.
    Zentrale Rolle der Separatisten
    Dobovisek: Welche Rolle spielen dabei die Separatisten?
    Maihold: Eine ganz zentrale Rolle, weil natürlich die Entschärfung dieses Konfliktes Voraussetzung dafür ist, dass wieder Konsens gebildet wird. Bisher spaltet diese Frage die Nation und insofern muss sich Sanchez dieser Frage annehmen, um eine neue Grundlage für Spanien als Nation zu finden.
    Dobovisek: Sehen Sie da einen Ansatz, der möglicherweise wieder Annäherung bringen könnte?
    Maihold: Wie gesagt, in der linken katalanischen Partei ERC gibt es eine Diskussion, wo man sagt, wir wollen nicht notwendigerweise jetzt noch die damalige Unabhängigkeitserklärung zum Ausgangspunkt allen Handelns nehmen. Da wird man austesten müssen, inwieweit dies eine Konsensposition ist, mit der man arbeiten kann. Einen Hinweis darauf werden die Kommunalwahlen in vier Wochen geben, die gleichzeitig mit den Europawahlen stattfinden.
    Dobovisek: Ist Sanchez der Richtige, um diese Annäherung voranzubringen?
    Maihold: Es gibt im Moment keinen anderen. Das ist der entscheidende Punkt. Er sieht sich natürlich immer den massiven Vorwürfen als Kollaborateur mit Putschisten und Terroristen konfrontiert. Hier muss er versuchen, Brücken zu bauen, und dafür hat er eigentlich recht gute Voraussetzungen.
    Zäsur durch Parlamentseinzug der Vox-Partei
    Dobovisek: Jetzt gibt es noch eine andere Meldung von den spanischen Wahlen, denn die rechtsradikale Vox-Partei erhält aus dem Stand 10,3 Prozent der Stimmen. Für welchen Kurs steht diese Partei?
    Maihold: Sie ist zunächst klar auf die Einheit Spaniens orientiert. Das heißt, sie will alle Autonomie-Statute abschaffen. Sie möchte eine Zentralisierung von Kompetenzen herbeiführen. Sie möchte auch im migrationspolitischen Feld eine ganz harte Hand haben und die Leute alle wieder abschieben. Da sind viele Elemente auch aus der franquistischen Vergangenheit dabei, die harte Orientierung an Moralvorstellungen der Katholischen Kirche der Vergangenheit. Das ist alles im Programm enthalten.
    Dobovisek: Sie sprechen schon über eine Zäsur in Spanien, denn die konservative Volkspartei hat rund die Hälfte ihrer Sitze im Parlament verloren. Rechtsradikale wiederum ziehen in das Parlament ein. Wie sehr wird das das Land verändern, das Land prägen?
    Maihold: Es wird ein anderer Ton im Land herrschen. Es wird sehr viel stärker eine Polarisierung voranbringen. Es wird eine Eskalation in der verbalen Konfrontation geben. Das ist eigentlich alles das, was man versuchen sollte zu vermeiden. Aber es kommt darauf an, ob die demokratischen Kräfte noch die Konsistenz und noch den Willen haben, hier Brücken zu bauen. Und Sanchez muss dieses Risiko eingehen, hier Initiativen zu wagen.
    Dobovisek: Kann man die spanische Vox mit anderen rechten Parteien wie zum Beispiel der AfD vergleichen?
    Maihold: Es ist schwierig, weil sie eine Partei sui generis ist. Aber sie hat ja zum Beispiel im Gegensatz zu anderen europäischen Rechtsparteien eine durchaus sehr positive proeuropäische Einstellung, wenn auch mit Betonung der nationalen Souveränität. Das unterscheidet sie beispielsweise vom italienischen Fall oder von der französischen Variante.
    Regierungsbildung nicht vor Juni
    Dobovisek: Wie, schätzen Sie, wird es jetzt weitergehen in Spanien?
    Maihold: Zunächst wird es wenig Bewegung geben, weil alle Parteien keine Zeichen setzen wollen, die Einfluss haben auf die Europawahlen. Wir werden wohl erst nach den Europawahlen ein Signal in Richtung einer Koalitionsregierung sehen. Und dann dürfte sich das noch bis Juni/Juli hinziehen, bis man wirklich eine offizielle Wahl von Sanchez in Szene setzt.
    Dobovisek: Zurück noch einmal zu den Sozialdemokraten, die die Wahl ja klar gewonnen haben mit 29 Prozent. Das sind Werte, von denen Sozialdemokraten andernorts in Europa, auch in Deutschland, nur träumen können. Was hat Sanchez richtig gemacht und was die anderen möglicherweise falsch?
    Maihold: Er hat den Moment genutzt, indem er dieses Misstrauensvotum erfolgreich durchgezogen hat und damit eine Beruhigung in der Gesellschaft, die doch stark durch den Katalonien-Konflikt und die konfrontative Haltung seines Vorgängers Rajoy geprägt war. Damit hat er auch gleichzeitig die Partei wieder in eine Rolle gebracht, mit ihm als Staatsmann, als anerkannten Staatsmann an der Spitze, und das hat sicherlich auch zur Beruhigung innerhalb der eigenen Partei beigetragen, die ihm anfangs doch von ihren regionalen Strukturen her große Schwierigkeiten bereitet hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.