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Politrock aus den USA
Algiers, die Unfassbaren

Algiers aus Atlanta verschmelzen Gospel, Soul und Punk zu Politrock, wie man ihn so noch nicht gehört hat. Dennoch will sich das Quartett nicht auf das Label Politik reduzieren lassen. Pech für die Band: Das neue Album "There Is No Year" wird Algiers Ruf als zornige Diskursrocker festigen.

Christian Lehner | 18.01.2020
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Vier zusammen: Die US-Band Algiers (Sven Herwig)
"Die Straßen brennen in Amerika" – so eine prägnante Textzeile aus dem Algiers-Song "Dispossession". Auf dem neuen Album der Rockband aus Atlanta brennt es beinahe in jedem Song.
"Der perfekte Soundtrack für Amerika"
Das Feuer ist aktuell ein prominentes Symbol für den Untergang. Die Wälder Australiens stehen in Flammen und treiben den Klimawandel voran, Populismus und Kapitalismus verbrennen den Zusammenhalt in der Gesellschaft. So sehen das Algiers-Sänger Franklin F. Fisher und Bassist Ryan Mahan beim Interview in Berlin. "Dispossession", der Songtitel, bedeutet so viel wie "Enteignung".
"Es ist der perfekte Soundtrack für Amerika. Es hat immer schon gebrannt in unseren Straßen. Man muss sich nur die Songs der Shangri-Las aus den 1960er-Jahren anhören. Was sich geändert hat: Der Kapitalismus selbst steckt in einer Krise und nun betrifft es alle und nicht mehr nur die Marginalisierten. Darum passt der Titel des Songs auch so gut. Es brennt quasi vor jeder Haustüre. Die daraus resultierenden Ängste sind das Futter der Faschisten."
Algiers selbst bekämpfen das Feuer nicht mit Wasser, sondern ebenfalls mit Feuer. Die Musik der Band klingt, als wäre sie in einem Hochofen entstanden: Gospel, Soul, Industrial, Hip Hop und Rock verschmelzen zu einem Sound der 'Schwert und Groove' sein will, wie es in 'Dispossession' weiter heißt.
Ruf einer Agitprop-Band
Über zwei Alben haben sich Algiers den Ruf einer Agitprop-Band erspielt. Unnachgiebig und laut beschwört die Band rund um den schwarzen Sänger Franklin F. Fisher die Tradition der Black Panthers und den Geist der Rebellion. Doch das Label "Politband" behagte Algiers von Anfang an nicht.
"Man sollte etwas vorsichtiger mit dem Begriff 'Politik' umgehen. Als Band sind wir zum Beispiel wesentlich mehr als nur politisch. Und die Politik selbst ist viel zu komplex, um sie als Etikette auf eine Rockband zu kleben. Im Grunde ist doch alles was wir tun im Leben politisch… Deshalb ist es auch Unsinn, Politik als etwas Getrenntes von Musik zu betrachten."
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Hinter Sonnenbrillen: Algiers (Christian Högstedt)
Gegen die Erwartungshaltungen
Einige Wochen vor dem neuen Album "There Is No Year" haben Algiers das Spoken-Word-Gedicht "Can The Sub_Bass Speak" veröffentlicht. Dort beschwert sich Franklin F. Fisher über die eindimensionale Wahrnehmung seiner Band. Er wehrt sich aber auch gegen die Erwartungshaltungen aus der Schwarzen Community, die ihm als schwarzen Sänger entgegengebracht werden.
"Danach fühlte ich mich großartig. Ich trug wohl eine Menge Wut mit mir herum. Wir sind schon sehr gespannt, wie das Gedicht bei den Live-Shows ankommt. Wir wollen die Leute in den Vortrag miteinbinden. Es wird jede Nacht anders sein. Das gilt auch für das Album. Die Leute werden nicht das bekommen, was sie am Album hören, denn das Album ist nur der Blueprint."
Algiers wollen der Fisch in der Hand sein, der entgleitet, sobald man denkt, dass man ihn gefasst hat. Das gilt für Freund und Feind der definitiv links stehenden Band und markiert den Unterschied zwischen Politik und Kunst. Bei Algiers ist ein Song kein Lösungsvorschlag. Er ist die irrationale Antwort auf eine Welt in Flammen. Dabei zeichnet Fisher starke Bilder von Unterdrückung, Ausbeutung und Rassismus, ohne in die Niederungen der Alltagspolitik hinabzusteigen.
Auf 'There Is No Year' erweitern Algiers noch einmal ihr Sound-Repertoire. Zu Gospel, Punk, Rock, Jazz und Industrial kommen Club-Rhythmen und Goth-Balladen im Stile von Depeche Mode. Die Zuschreibung "Politrocker der Stunde" werden Algiers auch auf ihrem neuen Album nicht los werden, zu sehr drückt 'There Is No Year' auf die Wunden der Gegenwart. Auf musikalisch höchstem Niveau ist der Blick in die Zukunft düster. "We dance into the fire", heißt es etwa im Song "Hour Of The Furnaces". Da ist sie wieder, die Weltenbrand-Metapher.