Dienstag, 19. März 2024

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Polizei-Gesetz in Frankreich
"Es gefährdet, was übrigbleibt an Freiheit für Presse"

Dass in Frankreich Hunderttausende gegen neue Sicherheitsregeln demonstrieren, hat für die Medienwissenschaftlerin Isabelle Bourgeois auch historische Ursachen: Das geplante Polizei-Gesetz schränke die Pressefreiheit ein, sagte Bourgeois im Dlf. Und diese sei ohnehin kaum geschützt.

Isabelle Bourgeois im Gespräch mit Annika Schneider | 30.11.2020
In Frankreich demonstrieren Menschen, darunter auch Journalistinnen und Journalisten, gegen ein geplantes neues Polizei-Gesetz
Auch Journalistinnen und Journalisten der Zeitung "Le Monde" beteiligen sich an den Demonstrationen gegen das geplante Polizei-Gesetz in Frankreich (picture alliance/Olivier Donnars / Le Pictorium/MAXPPP/dpa)
Annika Schneider: Warum treibt das Thema Pressefreiheit gerade so viele Menschen auf die Straße?
Isabelle Bourgeois: Es gibt zwei Aspekte. Einmal das Problem mit den Gewaltvideos, das ist das eine, was Sie angesprochen haben. Und zum anderen: Die Pressefreiheit darf man sich in Frankreich nicht so vorstellen, wie es sie in Deutschland gibt. Sie ist stark eingeschränkt, sie ist nicht als Ganzes von der Verfassung geschützt – anders als vom Grundgesetz. Es herrscht noch in Frankreich ein Gesetz aus dem Jahr 1881. Das ist vergleichbar mit dem Bismarckschen Pressegesetz. Und das ist im Laufe der Zeit entwickelt worden zu einem Strafgesetz. Also wenn Sie zum Beispiel eine Quelle über einen Informanten gefunden haben, sind Sie der Hehlerei schuldig. Und es gibt nur eine einzige Sicherheit dagegen, und das ist ganz wichtig, um Frankreich zu verstehen: Das ist das Recht auf Humor und Karikatur. Das ist das Heiligste, was es gibt, und das ist sogar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantiert worden im Fall von "Le Canard enchaîné" vor 20 Jahren.
Es ist in der Verfassung nicht geschrieben, aber es hat Verfassungsrang, der einzige Schutz, den die Pressefreiheit genießt, ist das Recht auf Karikatur und Humor. Das ist der Hintergrund, um zu erklären, warum das Attentat auf Charlie Hebdo so wichtig war. Es gibt in Frankreich, anders als in Deutschland, nur das Recht auf freie Meinungsäußerung, nicht das Gegenstück dazu, Artikel 5, Grundgesetz, das Recht auf freien Zugang zur Information. Das ist das Problem in Frankreich. Das heißt die Rechtsstaatlichkeit, auch was die Pressefreiheit angeht, ist nicht so weit entwickelt in Frankreich wie in Deutschland. Deutschland hat, das darf man nicht vergessen, zwei Diktaturen gekannt. Das ist der Unterschied. Meinungsfreiheit ist in Frankreich ein individuelles Recht auf Meinungsäußerung. Es betrifft nicht die Presse.
Kommentar: Protestierende werden prügelnde Polizisten weiterhin filmen
Polizeikräfte zu filmen und Bilder davon zu verbreiten, soll in Frankreich per Gesetz verboten werden – um Polizisten zu schützen. Das Ziel sei richtig, doch das Mittel das falsche, kommentiert Jürgen König. Denn gerade erst hat wieder ein Video für Schlagzeilen gesorgt, das massive Polizeigewalt zeigt.
"Hintergrund ist Panik der Regierung"
Schneider: Ich würde gerne noch mal genauer anschauen, was das mit dem Thema Pressefreiheit zu tun hat. Denn es ist ja ein Unterschied, ob jetzt Krawallmacher Polizeieinsätze filmen oder ob das professionelle Journalisten tun. Und seriöse Reporter verfolgen mit ihrer Berichterstattung ja nicht das Ziel, Polizisten zu schaden. Wo genau gefährdet denn dieses geplante Gesetz genau die Arbeit der Presse?
Bourgeois: Es gefährdet die Arbeit der Presse dadurch, dass das Bisschen, was noch übrigbleibt an Freiheit, für die Pressefotografen – denn es geht ja darum, um Fotografen oder Filmer – dass es das noch einschränkt. Noch weiter einschränkt. Es bedeutet im Klartext, dass die Öffentlichkeit nicht wissen soll, was geschieht, was tatsächlich geschieht. Der Hintergrund ist eigentlich die Panik der Regierung, weil die französische Gesellschaft extrem gewalthaltig ist, wir sehr viel mit Terrorismus zu tun haben. Und darüber hinaus auch die Tatsache, dass die Gesellschaft überhaupt keinen Zusammenhalt mehr hat. Es ist jeder gegen jeden im Moment. Die Mischung ist hochexplosiv. Und dieser Artikel 24 ist mehr eine Panikreaktion der Regierung auf eine Situation, die sie kaum noch beherrscht.
Schneider: Und wer protestiert da gegen den geplanten Paragrafen?
Bourgeois: Es protestiert ganz selbstverständlich und ganz oben eine Partei, die heißt La France insoumise auf Französisch, geleitet von Jean-Luc Mélenchon. Der ist bekannt als linksextremer Populist. Die Partei ist sehr stark trotzkistisch geprägt. Sie vereint aber auch das, was von der kommunistischen Partei übrigbleibt und von den Sozialisten, es ist nicht mehr sehr viel in Frankreich, die Parteienlandschaft ist völlig explodiert vor ein paar Jahren. Und diese Partei, ähnlich wie die deutschen Linksextremen, hat einen professionellen Diskurs gegen Polizeigewalt – wobei absichtlich Gewalt und Hoheitsrechte verwechselt werden. Das ist natürlich in Deutschland genauso, nur hat diese Partei einen großen Zulauf, etwa zehn bis zwölf Prozent der Wählerschaft. Und in Frankreich stehen im Frühjahr Regionalwahlen an – und das ist natürlich das ideale Terrain für eine Partei wie die von Jean-Luc Mélenchon.
Prozessauftakt zum Terroranschlag auf "Charlie Hebdo"
Die Satirezeitschrift veröffentlicht zum Prozessbeginn noch einmal die umstrittenen Zeichnungen, derentwegen sie in den Fokus der Attentäter geriet. Während viele Franzosen das positiv kommentieren, äußern sich andere kritisch. Vor allem Muslime sind gegen die erneute Veröffentlichung.
"Bestimmungen anwenden, die es schon gibt"
Schneider: Da fokussiert sich der Diskurs auf die Gewalt, die von Polizeikräften ausgeht. Aber, ich habe es eingangs schon gesagt, es geht ja auch um Hetz gegen Polizeikräfte. Ist das aus Ihrer Sicht kein akutes Problem? Müsste man da anders gegen vorgehen?
Bourgeois: Erstens muss man da anders gegen vorgehen. Nicht über ein Pressegesetz, sondern über normales Strafrecht. Und die Bestimmungen vielleicht auch anwenden, die Bestimmungen, die es schon gibt. Nur das Problem ist in Frankreich, und nicht nur in Städten, dass es sehr viele No-Go-Areas gibt. dass Polizisten ermordet wurden vor ein paar Jahren, weil ihre Adresse ausdrücklich im Netz stand. Dass Polizisten in ihren Autos angezündelt werden. Es gibt eine extreme Gewalt, aber beidseitig natürlich. Das Problem ist: Wie können Sicherheitskräfte eine extrem gewalthaltige Gesellschaft, die sich an keine Gesetze hält, halten? Und wie umgekehrt bringt man diese fast terroristischen Gewaltattacken der Bevölkerung in den Griff?
Das ist das große Dilemma, in dem die Regierung steckt, und das seit 30 Jahren schon. Nur im Moment ist Situation extrem akut, und sie wird auch verschärft durch die Corona-Maßnahmen, die sehr autoritär wirken und sehr bürokratisch und das Ganze noch anheizen. Wie gesagt, es ist eine hochexplosive Mischung, und es war sehr missglückt von der Regierung, diese Situation so anzupacken. Zumal auch noch der Terrorismus zu bewältigen ist in Frankreich, und der ist etwas schärfer als in Frankreich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.