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Polnische Ärzte
Keine Verbesserung seit dem Hungerstreik

Viele Kliniken stecken in einem Dilemma: Ausgestattet mit modernsten medizinischen Geräten, fehlt es an Personal, um Patienten damit auch zu behandeln. Die schwierigen Arbeitsbedingungen trieben junge Ärzte 2017 in den Hungerstreik, der zunächst erfolgreich schien. Inzwischen herrscht Ernüchterung.

Von Anja Schrum | 06.02.2020
Hungerstreik in Polen: Junge Ärztinnen und Ärzte sitzen in einer Klinik auf Matratzen auf dem Boden
Hungerstreik junger Ärztinnen und Ärzte im polnischen Danzig im Herbst 2017 - sie forderten mehr Investitionen in das staatliche Gesundheitssystem (Imago/ Michal Fludrax)
Dr. Filip Dabrowski eilt über einen Flur im Erdgeschoss der Warschauer Universitätsfrauenklinik, erbaut 1904. Vorbei geht es an alten Holzstühlen und offenen Türen, die den Blick freigeben auf schmale Krankenzimmer mit hohen Decken. Die Krankenbetten sind leer.
"Wir haben die Patientinnen nach oben gebracht. Auch die OP-Säle sind in ein anderes Gebäude umgezogen. Weil hier renoviert werden soll. Aber hier lagen letzte Woche noch Patientinnen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Der polnische Patient".
Am Ende des Klinikflurs öffnet Dabrowski eine Tür zu einem hellgrün gekachelten Raum: an der Wand ein Waschbecken und ein Sammelsurium aus Steckdosen, in der Ecke ein alter Schreibtisch. Hinter einem weißen Plastikvorhang steht ein moderner gynäkologischer Stuhl fast wie ein Fremdkörper zwischen dem alten Mobiliar. Filip Dabrowski lässt sich auf einem quietschenden Bürostuhl nieder.
"Wir konnten im letzten Jahr ein wenig Ausstattung mit Geld vom Ministerium kaufen. Wir bekommen auch einiges durch Spenden. In dieser Klinik haben wir sehr moderne Geräte, aber wir können das Personal nicht bezahlen, um die Leistungen durchzuführen. Das ist das Problem."
Moderne Medizin, schwierige Bedingungen
Der 31-Jährige macht sich Sorgen. Es fließt einfach nicht genug Geld in die Universitätsmedizin, sagt er: "Unsere finanzielle Situation ist sehr schwierig. Besonders weil wir häufig mit komplizierten Fällen zu tun haben. Aus ganz Polen kommen die Patienten zu uns. Ich bin sehr stolz auf unsere moderne Medizin, die wir unter sehr schwierigen Bedingungen praktizieren."
Für ihn persönlich bedeutet das: Obwohl der Gynäkologe an der Uniklinik arbeitet, hat er keine Festanstellung. Er wird quasi auf Honorarbasis beschäftigt. So wie viele seiner Kollegen im öffentlichen Gesundheitswesen. 24-Stunden-Schichten, 50, 60 und mehr Wochenstunden – im polnischen System gang und gäbe.
"In unserem System zwingt die Klinikverwaltung Ärzte und Hebammen dazu, Honorarverträge abzuschließen, als Selbstständige gewissermaßen. Wir müssen sehr lange arbeiten und wir werden gezwungen, mehr und mehr Dienste und Nachtdienste zu übernehmen, und zwar für das gleiche Geld."
Als Facharzt kommt Filip Dabrowski auf etwa 6.500 Zloty monatlich, umgerechnet rund 1.500 Euro brutto. Davon muss er noch Steuern und Abgaben zahlen und seine private Altersvorsorge. Deshalb arbeitet der 31-Jährige nach seinem Dienst an der Uniklinik zusätzlich noch in einer Privatpraxis. Auch das ist in Polen üblich.
"Überrascht, wie wenig wir erreicht haben"
Unter der Doppelbelastung leiden Ärzte wie auch Patienten, betont Dabrowski. Und das schon seit Jahren, ohne dass sich etwas ändert. Im Herbst 2017 riefen er und seine Kollegen schließlich zum Hungerstreik auf. Vor allem die Assistenzärzte protestierten. Für eine bessere Finanzierung des Gesundheitssystems und gegen ihre Arbeitsbedingungen:
"Es war sehr einfach, diesen ganzen Ärger, der da unter der Oberfläche gärte, auf die Straße zu bringen. Aber unglücklicherweise konnten wir wenig bewirken. Nach unserem couragierten Hungerstreik bin ich wirklich überrascht, wie wenig wir erreicht haben."
Zunächst ein rund vierwöchiger Hungerstreik, dann – im Januar 2018 – verweigerten die Assistenzärzte die Extraarbeit, legten so vielerorts den Klinikbetrieb lahm. Der Gesundheitsminister wurde ausgewechselt, die Ärzte machten sich Hoffnungen, erinnert sich Filip Dabrowski:
"Der neue Minister war ein Neuanfang, breites Lächeln im Gesicht, viele Versprechen. Wir haben ihm vertraut. Wir haben ein Abkommen mit ihm unterschrieben, und jetzt fühlen wir uns von ihm betrogen."
Die Gehälter der Assistenzärzte wurden aufgestockt. Aber, so rechnet der junge Gynäkologe vor: Während Deutschland fast zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts ins Gesundheitswesen steckt und Tschechien etwa sieben Prozent, sind es in Polen nur rund fünf Prozent. Während des Streiks versprach die Regierung, das zu ändern:
"Vor über einem Jahr haben die Ärzte und die Regierung ein Abkommen unterzeichnet, indem es heißt, die Regierung verspricht, die Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Aber am Ende fühlen wir uns von den Politikern betrogen. Es wurde nachgerechnet und irgendwie fehlen zehn Milliarden Zloty, umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro, von dem versprochenen Geld."
Auswandern ist (noch) keine Option
Nichts habe sich geändert, alles gehe weiter wie bisher. Der junge Arzt lacht bitter. Filip Dabrowski bewundert einige seiner Freunde, die trotz dieser Erfahrung weiter kämpfen. Er selbst klingt resigniert:
"Wissen sie, wenn sie immer wieder gegen Wände anrennen, werden sie müde und sie suchen nach Türen oder Fenstern, um herauskommen. Und ich denke, das tun gerade viele. Weil man nicht sein ganzes Leben kämpfen kann, insbesondere wenn man weiß, dass die Chance, Erfolg zu haben, sehr gering ist."
"Ich bin Patriot", sagt Dabrowski über sich. Er hat ein Praktikum in Holland absolviert und gesehen, wie es besser laufen kann. Während viele Ärzte Polen den Rücken kehren, ist er selbst bislang immer wieder zurückgekehrt. Bislang.