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Polnische Musiker beim Pop-Kultur Festival
Zwischen Polit-Protest und Poesie

Jarosław Kaczyński und seine nationalkonservative Partei PiS spalten die Musikszene in Polen: Während die einen ihren Frust herausschreien, setzen andere auf die leise Kraft der Poesie. Beim Pop-Kultur Festival in Berlin bekommen sie eine Bühne – denn die heimischen sind bedroht.

Von Adalbert Siniawski | 24.08.2017
    Jemek Jemowit in seinem Studio.
    Jemek Jemowit in seinem Studio. (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Die Toilettentür steht offen. In der Kabine sieht man abwechselnd junge Männer bei einer Party. Mit eindeutigen Handbewegungen befriedigen sie sich selbst. Auf dem Kopf tragen sie eine Maske mit dem Gesicht von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński.
    "Hey, Kaczynski. Hör' auf, Dir einen runterzuholen. In deinem Klo sterben eine Million Polen. - Also auch mit der Idee, dass Kaczyński einfach das Land ins Verderben treibt. Einfach das Klo runterspült, in meinen Augen."
    "Ich glaube nicht an Patriotismus"
    Jemek Jemowit genießt die Provokation. Im Alter von 3 Jahren kam der Deutsch-Pole nach Berlin. Die harten, punkigen EBM-Beats zu anarchisch-ironischen Texten, etwa über die Nationalspeise Bigos, nennt er Tekkno Polo - eine Anspielung auf das polnische Schlagergenre Disco Polo. Jemek hat mit seinen Lo-Fi-Songs schon immer gern am polnischen Selbstverständnis gekratzt. Doch seit Kaczyńskis nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" 2015 erneut an die Macht gekommen ist, gibt sich der Antipatriot, wie Jemek sich nennt, politischer und nachdenklicher denn je:
    "Das Image von Polen ist extrem geschädigt. Und ich hab ein allgemeines Problem mit polnischem Patriotismus. Und das ist jetzt überspitzt die Regierung, weil die wirklich das repräsentiert, was mich schon immer an Polen gestört hat. Im Sinne von: Volksfest. Und: alle Deutschen sind doof. Es-gibt-nichts-Besseres-als-polnische-Wurst-Gelaber. Und die Polen haben wieder mal Angst, zu kurz zu kommen und denken sich: Wir wollen hier keine Flüchtlinge. Weil: Es ist jetzt mal Schluss, wir wollen jetzt mal alleine sein hier, unter uns. Wenn man kein Rückgrat so richtig hat in seiner Identität, dann wendet man sich an den Patriotismus - und da glaube ich einfach nicht daran."
    Kollegen und Label gehen auf Distanz
    Die wechselvolle Geschichte des Landes im Gedächtnis will die PiS nun mit aller Macht das Polentum stärken. Sie geht auf Konfrontation mit der EU, bringt Justiz und Kultureinrichtungen auf Linie, verschärft das Abtreibungsrecht. Der "Antypatriota" will dazu nicht schweigen.
    "Wenn man die Ansichten so stark vertritt und sich damit so stark auseinandersetzt, dann kann man sie in der Musik nicht außenvorlassen."
    Das hat seinen Preis: Für den Kaczyński-Clip bekam Jemek im Netz vergleichsweise wenig Klicks. Nahe Kollegen und sein polnisches Label haben sich von dem Video distanziert.
    Zurückhaltende Musikszene
    Auch Popmusikfestivals, die für Weltoffenheit, Freiheit und ein liberales Polen stehen, spüren Gegenwind. Das Kulturministerium hat dem "OFF Festival" und "Tauron Nowa Muzyka" - zwei wichtigen Spielorten der Indie- und Elektro-Szene - direkt nach Amtsantritt der PiS die Zuschüsse gestrichen. 2017 floss das Geld zwar wieder, zum Teil jedoch auf Minimalniveau.
    Das beliebte, bunte und internationale Umstonst-Festival "Przystanek Woodstock" an der polnisch-deutschen Grenze drohte in den vergangenen zwei Jahren wegen verschärfter Sicherheitsauflagen abgeblasen zu werden. Gleichzeitig wurde die traditionelle Mithilfe von Rettungskräften aus Deutschland wegen potenzieller Terrorgefahr abgelehnt. Das Nachbarland wird seit der Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen als Bedrohung wahrgenommen.
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    Die polnischen Musiker Michał Jacaszek (l.) und Hania Malarowska beim Pop-Kultur Festival 2017 in Berlin (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Und doch hält sich auch die Musikszene mit öffentlicher Kritik an der Regierung zurück. Viele Polen stehen der Politik traditionell reserviert gegenüber.
    "Ich sehe keine Veränderung. Die Festivals, auf die ich bisher gefahren bin, gibt es immer noch. Die polnischen Kulturinstitute im Ausland, die der Regierung unterstellt sind, laden mich weiterhin zu Konzerten in aller Welt ein. Es ist also alles gar nicht so schlimm. Ich sorge mich auch nicht um die Demokratie, denn wir können jetzt in Ruhe über dieses Thema und unsere Regierung sprechen - und niemand wird mich dafür verhaften."
    "Die Kunst schirmt mich vor dem brutalen Alltag ab"
    Ambient-Musiker Michał Jacaszek aus Danzig sieht keinen Grund für Alarmismus. Der Gegensatz zum lauten Stakkato von Jemek Jemowit könnte auch musikalisch größer nicht sein. Jacaszek hat zusammen mit Sängerin Hania Malarowska das Album "Kwiaty" herausgebracht - zu Deutsch: Blumen. Darauf haben sie Gedichte des britischen Dichters Robert Herrick aus der Renaissance-Zeit vertont. Rhythmische Lyrik über Natur, Vergänglichkeit und Trauer mischen sie zu einem kühlen und sphärischen Soundteppich.
    "Ich mache Kunst, um mich vom brutalen Alltag abzuschirmen. In den Medien, auf der Straße begegnen uns Aggression, eine verrohte Sprache, Hässlichkeit. Es fehlt der Wille, die Wahrheit zu sagen. Hinter der Werbung, den politischen Erklärungen und dem Entertainment steht die Lüge. Und die Kunst ermöglichst es, davor zu fliehen und aufzuatmen."
    Kunstvolle Poesie gegen Populismus in Politik und Publizistik - auch das kann eine Antwort sein auf unruhige Zeiten.
    Ambient-Musiker Jacaszek und Hania Malarowska treten am morgigen Freitag beim Pop-Kultur Festival in Berlin auf und präsentieren ihr Album "Kwiaty". Jemek Jemowit steht dort schon heute auf der Bühne unter dem Motto: "10 Jahre Jemek Jemowit – die Gala".