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Polypharmazie
Riskanter Medikamentencocktail

Das tägliche Schlucken verschiedener Medikamente birgt hohe Risiken, weil sich die unterschiedlichen Wirkstoffe gegenseitig verstärken können. In vielen Fällen hilft nur noch eine ärztlich geleitete Entgiftung.

Von Mirko Smiljanic | 13.03.2018
    Tabletten eines an AIDS erkrankten Menschen liegen in Tagesrationen und in Blistern sowie einer Dose auf einem Tisch
    Eine Therapie bietet Ansteckungsschutz mit nur winzigem Risiko. (dpa / Jens Kalaene)
    LVR-Klinik Köln, Montagnachmittag. Professor Barbara Schneider, Chefärztin der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Abhängigkeitserkrankungen, bespricht mit ihrem Oberarzt und einem Patienten die nächsten Behandlungsschritte. Der Mann aus einer Kleinstadt bei Aachen ist 80 Jahre alt, er sieht krank aus.
    "Herr Meyer leidet unter einer Herzinsuffizienz, einer Depression mit im Vordergrund stehenden Ängsten, epileptischen Anfällen, ein Diabetes mellitus, einer Arteriellen Hypertonie und seit ein paar Tagen hat er eine Lungenentzündung entwickelt. Der Patient ist jetzt auch im Rahmen seiner Lungenentzündung delirant geworden, das heißt, er ist zunehmend verwirrt geworden, und der Hausarzt wollte ihm jetzt Diazepam entziehen, ein Beruhigungsmittel, das auch sehr lange wirksam ist."
    Gegen jedes Leiden haben Ärzte dem älteren Herrn Medikamente verschrieben, manche nimmt er schon viele Jahre, andere erst seit Kurzem, so Oberarzt Robert Drechsler-Funck.
    "Der Patient erhält Antidepressiva, dazu das vom Hausarzt verordnete Diazepam, darüber hinaus Medikamente zur Behandlung somatischer Erkrankungen, also ein Antiepileptikum, Antihypertensiva, als auch Zuckermedikamente. Zusätzlich hat der Patient seit einigen Tagen vom Hausarzt ein Medikament zur Behandlung der Lungenentzündung, das wäre das Ciprofloxacin, und auch ein Medikament, um den Hustenreiz zu unterdrücken, das wäre das Codein."
    Unüberschaubar viele Wechselwirkungen
    Insgesamt zehn Medikamente haben die Ärzte der LVR-Klinik aufgelistet. Von einigen, vor allem vom Beruhigungsmittel Diazepam, soll der Patient im Rahmen einer Entgiftung befreit werden. Das klingt einfach - ist es aber nicht. Die Medikamente einfach abzusetzen, wäre unverantwortlich.
    "Dann würde es bei vielen Erkrankungen zu Absetzphänomen kommen, zu einer Verschlechterung möglicherweise der somatischen Vorerkrankung, das heißt, wir müssen uns den Medikamentencocktail immer sehr genau anschauen und darüber entscheiden, welche Medikamente möglicherweise nicht notwendig sind und von uns gegebenenfalls abgesetzt werden können."
    Außer Frage steht, dass Medikamente zur Behandlung akuter Erkrankungen zunächst nicht abgesetzt werden, der Rest stehe aber zur Disposition, so Robert Drechsler-Funck.
    "Der Patient kam zu uns mit dem Wunsch einer Benzodiazepin-Entgiftung, wir würden das Medikament langsam absetzen, also sukzessive reduzieren, zum anderen würden wir dann Medikamentenspiegel bestimmen, zum Beispiel die der Antidepressiva, aber die der Antiepileptika, um zu schauen, wie stark sind die Interaktionen, wirken sie sich schon auf den Wirkspiegel im Blut, im Körper aus, und könnten dann die Dosen entsprechend anpassen."
    So wenig Medikament wie möglich, aber so viele wie nötig
    Den Medikamentenkonsum auf null herunterzufahren, könne in diesem Fall nicht Ziel der Entgiftung sein, man sei zufrieden, wenn der 80-Jährige nach der Behandlung so wenig Medikament wie möglich, aber so viele wie nötig einnimmt. Außerdem könne man Alternativmedikamente empfehlen, deren Wechselwirkungen nicht ganz so heftig sind. Und wie lange dauert eine Entgiftung? Erstaunlich lange, so Barbara Schneider, Chefärztin der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Abhängigkeitserkrankungen an der LVR-Klinik Köln.
    "Gerade bei Benzodiazepinen, wenn die bereits lange Zeit verordnet worden sind, muss man auch von einer langen Dauer des Entzugs ausgehen, wirklich über mehrere Wochen bis Monate wird sich das hinziehen!"