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Pop-Presse
Musikjournalismus trifft Lifestyle-Marketing

Unter dem Label "Electronic Beats" bündelt die Deutsche Telekom seit einigen Jahren ihre Szene-Marketing-Maßnahmen rund um elektronische Clubmusik. Ein Output ist das gleichnamige Musikmagazin, das nun auch auf Deutsch erscheint. Doch wie frei kann man über alternative Kultur schreiben mit einem Börsengiganten im Rücken?

Von Cornelius Wüllenkemper | 20.03.2014
    "Früher war klar, wenn du eine gute 'Spex'-Review hattest, hat das bedeutet, dass du diese Platte auch in diversen Läden platziert bekommst, das war wirklich wichtig. Mittlerweile - weil wir eben auch einen eigenen Online-Mailorder haben - merken wir es extrem stark, wenn die Sachen in der Tagespresse stattfinden."
    Thomas Morr ist Chef des Berliner Indiepop-Labels Morr Music. Seit 15 Jahren veröffentlicht er ungeachtet der Krise im Musikbusiness mit großer Ausdauer und mit langfristig geplantem Erfolg kleine Perlen des Indiepop - wie die bisher von der Presse weitgehend ignorierte Berliner Band "Fenster". Die klassische Musikpresse, sagt Morr, spiele zwar für gewisse Vertriebsketten noch immer eine Rolle. Gleichzeitig aber wisse jeder, dass mittlerweile auch ehemals hoch angesehene Magazine aus purer Finanznot immer öfter redaktionelle Inhalte und Werbung vermischen, oder gleich ganze Storys von der Plattenfirma kaufen lassen.
    "Das ist auch bisschen die Downside von der ganzen Digitalisierung, dass der Markt halt so zusammengeprügelt wurde, dass natürlich neue Abhängigkeiten entstanden sind und dass die Leute, die noch Geld für solche Formate haben, natürlich auch Bedingungen erstellen", meint Thomas Morr.
    Die Auflage schwindet
    Neue Vermarktungskanäle, Tageszeitungen, Onlinemagazine und der Anzeigeneinbruch setzten auch klassische Musikmagazine zusehends unter Druck. Die Branchenführer "Musikexpress" und "Rolling Stone" verloren innerhalb von nur wenigen Jahren jeweils die Hälfte ihrer Auflage, die sakrosankte Szene-Zeitschrift "Spex" verkauft heute gerade einmal 15.000 Exemplare. Gegen die Finanzierungs- und Glaubwürdigkeitskrise verfolgt Max Dax, ehemaliger "Spex"-Chefredakteur, ein sehr altes, neues Geschäftsmodell: Er nennt es Mäzenatentum. Bei der heute erstmals erscheinenden deutschen Ausgabe des "Electronic Beats"-Magazins prangt gleich auf dem Titel das Logo des Eigentümers: ein börsennotiertes Telekommunikationsunternehmen:
    "Mir ist das hundert Mal lieber als Schleichwerbung oder Artikel, wo dann so Biermarken im Bild rumparken. Das ist nämlich eine andere Art, wie man heutzutage der Krise begegnen kann. Wir spielen mit offenen Karten. Jeder weiß, wo es herkommt, und jeder wird sehen, was er bekommt. Und wie immer gilt: Man muss es sehr, sehr gut machen. Die Leser sind ja nicht blöde, die kriegen es sofort mit, ob man sie an der Nase herumführt oder nicht."
    Glaubwürdigkeit in der Grauzone
    Kann ein milliardenschwerer Konzern wie die Telekom glaubhaft Popkritik verkaufen? Wird der Fan dadurch endgültig zur Zielgruppe, die Community zum Markt? Die "Electronic Beats"-Redaktion bespreche zwar immer auch die Künstler, die auf dem dazugehörigen Musikfestival der Telekom auftreten. Ansonsten genieße er größere redaktionell Freiheiten als jemals zuvor, meint Chefredakteur Max Dax:
    "Sun Ra, Can, Giorgio Moroder, ein Artikel über Mafia-Musik, Caetano Veloso, Arto Lindsay, Liaisons Dangereuses - das sind alles großartige Bands, die einfach toll sind und wo es auch wahnsinnig viel zu erzählen gibt. Und gleichzeitig gibt es auch Goldfrapp, das ist unsere Titelgeschichte. Giorgio Moroder ist auch auf einem "Electronic Beats"-Festival aufgetreten - es vermischt sich ein kleines bisschen. Aber über allem steht: Es muss uns interessieren. Und deswegen machen wir auch ständig Vorschläge, wie man das Festival-Programm noch interessanter und besser machen kann."
    Der Konzern im Hintergrund wird manchem eingefleischten Verfechter der rebellischen musikalischen Subkultur womöglich Bauchschmerzen bereiten. Dennoch: Das Magazin ist gut gemacht. Autoren können hier Geschichten auch jenseits des popkulturellen Tagesgeschehens aufschreiben, aufwendig recherchieren, Musiker und Künstler zu Hause besuchen, egal ob in Los Angeles, Rio oder Krakau. In den "conversations on essential issues" tauschen sich Musiker über andere Musiker aus. Es ist ein Deal: Die Industrie kauft sich musikalische Fachkompetenz, um neue, junge Kunden zu gewinnen und eine Community rund um ihr Markenbild aufzubauen. Und bietet dafür den Autoren Möglichkeiten, von denen die klassischen Magazine nur träumen können. Ob das ein unfairer Wettbewerb ist und ob man mit einem Großunternehmen im Rücken langfristig glaubwürdig über die alternative Musikszene schreiben kann, das entscheiden am Ende die Leser. Vielleicht haben wir es aber schon längst mit einem Ausweg aus der Krise des Musikjournalismus zu tun.