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Pop trifft auf jüdische Musiktradition

Socalled heißt im bürgerlichen Leben Josh Dolguin. Der Kanadier ist Rapper, Elektroniktüftler und singender Multiinstrumentalist. Mit seinem dritten Album kehrt er als Nachfahre ausgewanderter Juden aus der Ukraine zu seinen Familienwurzeln zurück, in dem er sich der jüdischen Musiktradition auseinandersetzt.

Von Katrin Wilke | 25.05.2013
    "Ich denke, der gesamte Vorgang des Musikmachens ist irgendwie wahnwitzig. Die Vorstellung, dass Leute Musik hören, zu einem Konzert kommen, mit ihren Freunden da abhängen und Menschen dabei zugucken, wie sie Geräusche machen. All das scheint mir schon absurd. Aber das bedeutet nicht, dass ich das nicht ernst nehme! Und nicht nur das, ich arbeite dafür - das geht nicht automatisch, man denkt darüber nach, probiert aus und arbeitet daran."

    Und in diesem Wahnwitz namens Musikmachen fühlt sich Socalled offenbar wie ein Fisch im Wasser. Er bewegt sich souverän aber auch haarscharf an dieser Grenze zwischen Schrägheit und Geistesblitz, zwischen der Freude am Experiment, dem damit verbundenen Zufall und ausgeklügelter Raffinesse. Auch bei Socalleds drittem Solo-Album unter eigenem Namen meint man es mit einem überdrehten, vertonten Comic zu tun zu haben – zumindest auf den ersten Blick.

    "Das ist witzig. Denn die Songs behandeln eigentlich recht ernste Themen: Liebe, Verlust, Tod, Krankheit. Und dann ist da der eine Song 'Sleepover', der einfach ziemlich albern und irrwitzig ist. Und dann heißt auch noch das ganze Album so: 'Sleepover' und man sieht mich auf dem Cover mit diesen kleinen Fusseltieren. Dann denkt man: Oh, das ist ein verrücktes, komisches Album. Das ist toll, aber das ist ja eigentlich nur der eine Song. Und der Rest, nein eigentlich alles auf dem Album kommt von Herzen, selbst dieser alberne Song kommt von einem wahrlichen Ort. Also, es ist nicht nur Quatsch."

    Der Song "Told me so" wurde geboren aus der Kombination eines Bluegrass-Klassikers und alter Klezmer-Samples. Zunächst live erprobt, mutierte er später im Studio zu einer textlich und melodisch neuen, vom Liebeskummer inspirierten Eigenkomposition. Eine durchaus typische, aber eben auch nur eine von x möglichen Entstehungsgeschichten von Socalleds Musik.

    Der studierte Pianist hatte als Teenager in Funk, Gospel- und Salsa-Bands gespielt, sich auch schon immer für Jazz interessiert und war schließlich mit Haut und Haar dem HipHop verfallen. Geeigneten Samples sucht und findet Dolguin auf Flohmärkten und bei der Heilsarmee: alte Schallplatten mit Klezmer, Theater- wie auch kantoraler Synagogenmusik. Und als Nachfahre ausgewandeter Juden aus der Ukraine kehrt somit quasi zu den eigenen Familienwurzeln zurück.

    Diese Spurensuche hat Socalled auch schon auf seinen ersten beiden Alben betrieben, diesmal hatte er anderes im Sinn.

    "Bei dieser neuen Platte ging es mir nicht um eine solch didaktische Botschaft, so von wegen: Schaut, ich mache neue jüdische Musik, rappe in Jiddisch oder so, um damit etwas ans Licht oder ein Statement zu bringen. Nein, hier wollte ich einfach eingängigste Songs schaffen. Aber natürlich habe ich all diese Wurzeln und musikalischen Interessen, diese Stile, die ich verarbeiten will. Insofern hört man auch noch all dies: diese jüdischen Melodien, Musik aus Serbien oder so, all die großartigen Sounds, die ich spielen möchte. Aber alles etwas stromlinienförmiger und nicht mehr so ausmachbar, wann und wo da genau, welcher Sound oder Stil da vorkommen."

    Unüberschaubar die farbenprächtigen Popmusiklandschaften aus HipHop, Soul, Funk, Sprachfetzen, Gesang und Alltagsgeräuschen. Und doch vermag Socalled mit viel Klugheit und Witz da eine merkwürdig-subtile Ordnung hineinzubringen. Was der Akkordeon und Klavier spielende Rapper und Sänger gut und gerne im Alleingang aufnehmen könnte, entstand im Studio gemeinsam mit einer Riesenschar befreundeter Instrumentalisten, Sänger, Rapper und DJs: neben seiner Stammcrew, zu der seit Langem die Socalled-Stimme Katie Moore gehört, auch Landsmann Chilly Gonzales und Hip-Hop-Pionierin Roxanne Shanté. Und viele von ihnen möchten auch für ihre Projekte nicht auf die vielen Talente ihres umtriebigen Freundes verzichten. Und so geht die Geschichte immer schön weiter, sagt Socalled und muss schmunzeln.