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Porträt der Peter-Huchel-Preisträgerin Uljana Wolf

Uljana Wolf, 1979 in Berlin geboren, ist Lyrikerin und sie verbindet mit so berühmten Namen wie Sarah Krisch, Thomas Kling, Elke Erp, Jürgen Becker oder Durs Grünbein die Tatsache, dass sie den renommierten Peter-Huchel-Preis gewonnen hat. Für ihren Debütband "kochanie, ich habe brot gekauft" wurde sie mit dem Preis ausgezeichnet.

Von Cornelia Jentzsch | 13.04.2006
    Peter Huchel, der großartige deutschsprachige Dichter und Namensgeber des gleichnamigen Preises für Lyrik, sagte über das Dichten:

    Jeder, der schreibt, weiß, dass die Dichtung ihre eigene Dimension hat. Und ihre eigenen Erkenntnisse. Aber jeder, der schreibt, weiß auch, wie schwer es ist, dem Schweigen ein Wort abzuringen.

    Uljana Wolf schrieb wie viele mit dreizehn ihre ersten Gedichte. Doch irgendwann reichte ihr der spontane Impuls nicht mehr aus. Sie entdeckte, dass nur durch strenge und kontinuierliche Beschäftigung mit Sprache, nur durch immer wieder überprüfte, hart erarbeitete Worte ein Gedicht bestehen kann.

    In dieser strikten Zensur liegt wohl eines ihrer Produktionsgeheimnisse. Die junge Dichterin überzeugt durch ihr erstaunlich sicheres Vermögen, Worte präzise zu setzen, geübt mit Bildern umzugehen und Verse auf ein notwendiges Maß zu beschränken. Bereits in ihrem Debütband wird ein ausgesprochen mündiger Umgang mit Sprache sichtbar.

    "Ich bin auch ganz streng mit mir, wirklich. Ich schreibe nicht wahnsinnig viel, und das Wenige wird dann noch einmal gewogen. Weil, mir ist nichts, das klingt vielleicht jetzt pathetisch, mir ist nichts abholder, als zu viele Worte in die Welt zu setzen, die überhaupt nicht da sein müssen. Und es wird soviel geschrieben und gesagt, und gerade in der Lyrik darf das nicht sein."

    Schon vor Jahren organisierten sich in Berlin diverse locker zusammengefügte Werkstätten junger Autoren. Ihre Diskutanten waren untereinander nicht nur freundschaftlich miteinander verbunden, sondern lasen vor allem gemeinsam und zerpflückten ihre Arbeiten.
    "Mit den Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe – Daniela Seel, Alexander Gumz, Karla Reimert, Steffen Popp –, da haben wir stundenlang für ein Wort gekämpft und diskutiert, und dieser Ernst, der gehörte zur Grundausstattung meiner Arbeit. Und auch diese Konsequenz, dieses Wort muss beredet werden, es ging um jedes einzelne Wort, gerade beim Gedicht.

    Eine meiner ganz frühen Lehren war, das ich geschrieben habe "kornblumenblau", irgendwas mit "kornblumenblau", im Gedicht, ja! Und ich meinte es als schöne, tolle Metapher. Und dann wurde mir unter die Nase gerieben, dass es eigentlich ein blumiges Adjektiv für betrunken ist. Ach, hm, das will ich aber trotzdem drin haben! Da muss man das schon mal prüfen, also, so was darf nicht passieren."

    In Uljana Wolfs Gedichtband tauchen mehrfach Begriffe wie "Mundhöhle", "Sprache", "Zunge" und "Übersetzung" oder Verben wie "fragen" und "schweigen" auf. Indizien dafür, dass die Dichterin aufmerksam erkundet, wie das Sprechen eigentlich geschieht, was Kontakt und Verständigung für den Menschen bedeuten. Was trägt es für Folgen, wenn eine Kommunikation unterbrochen wird oder auf der einen Seite gar nicht erst stattfindet?

    Im Gedicht "Mein Flurbuch" heißt es nicht nur über die Münder, sondern auch die Väter: "der zweite schweigt / ich wurde vergessen". Die Unfähigkeit, zu reden und das Unvermögen, etwas Wesentliches mitzuteilen, kann über ganze Generationen hinweg spürbare, manchmal sogar irreparable Schäden erzeugen. Die Auswirkungen lassen sich auch an der deutsch-polnischen Geschichte ablesen, über die Uljana Wolf unter anderem in ihrem Gedichtband schreibt. Den Anstoß, darüber nachzudenken, gab ihr das Studium, das sie nicht nur in Berlin, sondern auch in Krakow absolvierte.

    "Warum Polen? Ich habe es mir dann irgendwann so erklärt, ich war schon fasziniert von allen östlichen Nachbarn und das Slawische hat mich immer sehr angezogen. Ich wollte auch unbedingt nach Russland reisen und weiter in den Osten. Und bin da aber nie hingekommen und bin dann plötzlich in Polen gelandet. Und Polen ist ganz anders als Russland, das ist eine westslawische Kultur und eine westslawische Sprache. Es hatte aber doch diese fremden Aspekte, die mich total angezogen haben, und hat gleichzeitig ganz viel von mir, ganz viel von Deutschland, und ganz viele Verflechtungen und die es zu entwirren galt."

    Zufall war vielleicht, dass Uljana Wolf vor zwei Jahren das Mercator-Berghaus-Stipendium erhielt, das ihr einen Aufenthalt im polnischen Krzyzow, dem früheren Kreisau einbrachte. In den vierziger Jahren gab es dort ein konspiratives Widerstandszentrum gegen den Nationalsozialismus. Zufall war aber keinesfalls, dass Uljana Wolf vor eben dieser historischen Geschichte nicht die Augen verschloss, sondern versuchte, sich ihr anzunähern.

    Ihr wurde immer bewusster, dass es nicht weniger als ihre eigene Fremde war, der sie im entfernten Polen begegnet ist. Die Anfangszeilen des titelgebenden Gedichtes ihres Bandes, "kochanie, ich habe brot gekauft" berühren, sie heißen:

    so bildet die fremde
    gespräche aus


    Es ist erst das Unverständliche, Andersartige und Unbekannte, das die heutige Generation zum Sprechen treibt. Drang und Bedürfnis wachsen, sich zu übersetzen, auf die andere Seite hinüberzusetzen – um sich verständlich zu machen und um gehört zu werden. Ein "Grenzhandel" der Sprache beginnt, wie Uljana Wolf diesen Vorgang bezeichnet. In ihm erfährt man, "wie sich was zu hälften fügt", wie etwas schon längst auf eine bislang unerkannte Art zusammengehört.

    Um die auseinander gebrochene Geschichte ihrer eigenen Familie wieder zusammenfügen zu können, fuhr Uljana Wolf in den ehemaligen Wohnort ihrer Großeltern.

    " Ich habe mir sagen lassen, welches Haus das ist. Und habe aber eine ganz merkwürdige Leere gefühlt, als ich dann vor dem Haus stand, weil ich bin da nicht aufgewachsen, und es war für mich eine ganz normale polnische langweilige Kleinstadt. Das einzige, was mir aufgefallen ist, ist ein Grafitti, "kocham schlonsky", "ich liebe Schlesien", aber auf polnisch. Und das war ja schon was ganz neues, das diese junge Generation in Schlesien anfing, sich in Schlesien wieder zuhause zu fühlen. "

    Angeregt durch die Fragen der Kinder und Enkel, begannen inzwischen selbst Uljanas Großeltern, sich noch einmal mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Ihre Großmutter schrieb die Geschichte ihrer Kindheit und Vertreibung für ihre Familie auf, jeder bekam eine Mappe.

    "Das fand ich sehr berührend. Und eben ganz selten. Weil viele, die es dann interessiert, da sind dann die Großeltern plötzlich schon tot oder haben nie etwas erzählen können. Das ist ein ganz großer Schatz. "

    Doch die Väter tun sich offenbar mit dem Zugang zu ihrer Vergangenheit schwerer.

    "Die ist aber bei Vätern und Großvätern oft gehemmt, oder drängt sich ganz anders in den Vordergrund. Also, es werden ganz bestimmte Geschichten erinnert, katalogisiert und immer wieder erzählt. Die natürlich einen ganz großen andern Raum verdrängen. Und diese komische, im Grunde paradoxe Bewegung, aus Verschweigen und mehr reden als die Frauen reden, so wie ich es erlebt habe, die hat einfach dazu geführt, dass bei mir immer die männliche, der Vater, Großvater, die männliche Seite der Gesellschaft mit der Geschichte verknüpft war."

    Uljana Wolfs interessiert, ausgehend von privaten Beobachtungen, vor allem der Typus der Väter im Allgemeinen. So schreibt sie:

    angehalten jeder
    dem vater das wort
    zuzutragen
    zurück und gehalten
    hat der vater herr vater
    noch jedes wort
    für einen verrat.


    Das Echo dieser Zeilen reicht bis in die jüngste ost- wie gesamtdeutsche Geschichte. Das Antikommunikative des Krieges, die zum Verrat missbrauchte Sprache in zivilen Zeiten ist, historisch besehen, ein vorwiegend männlicher Part. Es waren die Frauen, die im Tschetschenienkrieg ihre Söhne vom Schlachtfeld zurückholten.

    In Shakespeares Drama Titus Andronicus wird im römischen Machtkampf das Wort im Blutstrom zugrunde gespült und Töchterkörper routiniert gekappt, wie es in Uljana Wolfs Gedichtzyklus "wald herr schaft" Titus’ Tochter, Lavinia, war das unschuldige Opfer. "In aller augen warst du des grauen star", heißt der Nachruf des letzten Verses. Er ist so vieldeutig wie erschreckend. Der graue Star ist ein Zeichen für Erblindung, das Leid Lavinias wird nicht mehr wahrgenommen angesichts des Schlachtens.

    Andererseits ist der Begriff Star ein Spiel mit dem modernen Medienvokabular, in der Person Lavinias und ihrem Schicksal erfährt das Grauen seine widerwärtigste und künstlichste Steigerung. Und nicht zuletzt, wie oft geschieht nicht "in", aber "unter" aller Augen das Entsetzliche. Kollektiv in den Fernseher blickend nehmen wir Tragödien heute oft nur noch als Information wahr.

    Wird die eigene Vergangenheit, wird Polen in ihren nächsten Gedichten als Thema weiter eine Rolle spielen?

    " Es ist erst einmal so abgeschlossen. Es ist im Untergrund immer noch da, es gibt noch ganz viele offene Fragen, die aber in verschiedene andere Richtungen gehen. Aber für Gedichte ist es erst einmal kein Thema, Im Moment jedenfalls. Ich will auch nicht gebucht werden auf dieses Polen-Thema. Es hätte ein anderes Land, eine andere Fremde auch sein können..."