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Porträt-Sammlung
Afrika aus erster Hand

Bürgerkriege, Hungerkatastrophen, Terroranschläge: das Bild Afrikas in den westlichen Medien ist oftmals einseitig. Nachrichten, die von den Erfolgen der afrikanischen Gesellschaften erzählen, seien die Ausnahme, sagt Moustapha Diallo. Mit einem von ihm herausgegebenen Buch möchte er dieses Zerrbild korrigieren.

Von Mathias Schnitzler | 08.08.2014
    Nach Unruhen geflüchtete Bewohner von Brazzaville kehren in die Hauptstadt zurück.
    Afrika - noch heute wird dieser Erdteil in Europa aus einem von Stereotypen und Vorurteilen geprägten Blickwinkel wahrgenommen. (Jean-Philippe Ksiazek / dpa)
    Die Reportagen, Berichte und Bücher, denen wir unser Wissen von Afrika verdanken, stammen in der Regel von Europäern oder Nordamerikanern. So erhalten wir ein durch den Blick des Fremden gebrochenes und keinesfalls authentisches Bild des Kontinents. In einer selbstbestimmten Darstellung Afrikas sieht Diallo daher das Hauptmotiv dieser Publikation:
    "Wenn der Hase nur der Hyäne zuhört, wird er nie wissen, wie der Büffel wirklich ist."
    Mit solchen Sprichwörtern unterstreichen afrikanische Völker den Wert einer Erzählung aus erster Hand oder den Einfluss der Perspektive auf die Wahrnehmung des Anderen. Nirgends ist dieser Rat berechtigter als im Fall Afrikas. Noch heute wird dieser Erdteil in Europa aus einem von Stereotypen und Vorurteilen geprägten Blickwinkel wahrgenommen. Noch heute, im 21. Jahrhundert, kommen Afrikanerinnen und Afrikaner in Europa allzu selten zu Wort. Daran will dieses Buch etwas ändern.
    In 42 Porträts afrikanischer Persönlichkeiten präsentieren afrikanische Autorinnen und Autoren ein mannigfaltiges Bild ihres Kontinents: ein selbstbewusstes und kämpferisches; eines, das von Intellektualität, kulturellem Reichtum und Freiheitswillen kündet. Dabei sind nicht nur die Porträtierten aus der Geschichte und Gegenwart Afrikas, sondern auch die Texte höchst unterschiedlich. Es gibt sachliche Kurzbiografien und kritische Würdigungen von Lebensleistungen. Aber auch literarische Ausdrucksformen schwankender Qualität und Porträts, die Züge einer Heiligenvita tragen.
    Politische Aktivisten und Bürgerrechtler wie Miria Matembe oder Ken Saro-Wiwa stehen neben Musikern wie Fela Kuti, der Schriftstellerin Mariama Ba oder dem Philosophen Anton Wilhelm Amo Afer. Als Kind von Sklavenhändlern aus Ghana verschleppt, lehrte er im 18. Jahrhundert an deutschen Universitäten. Vor 50 Jahren sorgte der Historiker Cheik Anta Diop mit seiner These, dass die alten Ägypter Schwarzafrikaner gewesen seien und durch ihre Schüler, die Griechen, Europa zivilisiert hätten, für Furore. Seine Geschichte erstaunt und irritiert den westlichen Leser.
    Charismatische, in Afrika verehrte Politiker werden vorgestellt, die von Europa und den USA diffamiert, bekämpft oder, so behaupten die Autoren, mithilfe westlicher Geheimdienste ermordet wurden – wie der erste Ministerpräsident des unabhängigen Kongo Patrice Lumumba. Auch Thomas Sankara starb eines gewaltsamen Todes: ein Attentat auf die Hoffnungen eines ganzen Erdteils. Mit einer selbstbestimmten Wirtschaftspolitik und dem Streben nach kultureller Erneuerung durch friedlich zusammenlebende Ethnien, mit Alphabetisierungsprogrammen, Volkskomitees und panafrikanischen Ideen hatte er den ehemaligen Kolonialstaat Overvolta, eines der ärmsten Länder der Welt, zum "Land der Rechtschaffenen" gemacht – denn dies bedeutet der Name "Burkina Faso".
    Innerhalb von vier Jahren hatte sich Burkina Faso, vorher regelmäßig von Hungersnöten geplagt, von Nahrungsmittelimporten befreit, und das ohne jegliche Auslandshilfe. Diese Autarkie war umso beachtlicher, als das Land keine nennenswerten Bodenschätze aufweist und von Trockenheit und Dürre geprägt ist ... Für den Standard im Gesundheitswesen erhielt die Regierung sogar das Lob der Weltgesundheitsorganisation. Trotz Sabotagen westlicher und einiger afrikanischer Länder – beispielsweise bei der Ausfuhr von Agrarprodukten – hatte Sankara bewiesen, dass eine vollständige Unabhängigkeit in Afrika keine Utopie ist.
    Das nördlichste Afrika ist im Buch nicht vertreten
    Seit dem Putsch gegen Sankara und dessen Ermordung im Jahr 1987 herrscht in Burkina Faso eine halbautoritäre Regierung, die wieder auf ausländische Investoren und Kredite setzt.
    Politiker, rebellierende Königinnen, Umweltschützer oder Erfinder. Sklaven, die den Sklavenhandel bekämpften, Künstler, Feministinnen – bei aller Unterschiedlichkeit ist diesen Menschen eines gemein: der Mut, für ihre Träume und Hoffnungen zu kämpfen. Was negativ auffällt: Das nördlichste Afrika ist im Buch nicht vertreten. Es gibt weder Porträts noch Autoren aus dem Maghreb. Und noch etwas: Nur ein Viertel der Texte handelt von Frauen. Deren Werke und Taten aber zählen zu den faszinierendsten des Buches.
    Aminata Traoré aus Mali gehört zu den Gallionsfiguren eines globalisierungskritischen Afrika. Ihre hellsichtigen und angriffslustigen Bücher "Der Schraubstock" und "Die Erniedrigung Afrikas" werden auf der ganzen Welt gelesen. Sie führte das erste Frauenministerium eines afrikanischen Staates und kämpft bis heute für das Prinzip der Selbstversorgung und eigenständigen Entwicklung. Eingeladen zu einer Konferenz verweigerte Paris ihr 2013 die Einreise.
    Am Beispiel Malis zeigt sie auf, wie afrikanische Länder zum Spielball neoliberaler Politik und wie ihre Volkswirtschaften systematisch zerstört werden. Sie entlarvt auch die "Doppelmoral" der reichen Länder: Während afrikanische Staaten sich aus der Wirtschaftsförderung heraushalten müssen, wird die Exportwirtschaft in Europa und den USA subventioniert; daher können Agrarprodukte aus den reichen Ländern für nur ein Drittel des Preises lokaler Produkte in Afrika angeboten werden. "Globalisiert haben sie nur die Hoffnungslosigkeit, die Existenzangst und den Hunger", schreibt Aminata Traoré. Mit gleicher Schärfe kritisiert sie die afrikanischen Eliten, die tatenlos dem Ausverkauf ihrer Länder zusehen und den Irrglauben verbreiten, ein handlungsunfähiger Staat könne demokratisch sein.
    Protest gegen den wirtschaftlichen Ausverkauf
    Die kolonialistische Perspektive, die unser Verhältnis zu Afrika geprägt hat, ist keineswegs verschwunden. Sie scheint, dies ist eine Lektion dieses Buches, ins kollektive Unterbewusstsein verdrängt. Selbst bei denjenigen, die als Experten und Helfer scheinbar objektiv oder wohlwollend berichten.
    Afrika, so der Tenor, ist handlungsunfähig und benötigt unsere Hilfe. Diese Hilfe aber lassen sich Weltbank und Währungsfond etwas kosten: Kredite, deren Tilgung die Staatsausgaben für Gesundheit, Bildung und Soziales oft um ein Vielfaches übertreffen. Aufgezwungene Sparmaßnahmen und Zwangsprivatisierungen, welche die Not der Menschen vergrößern. Reformen, die ohne Beteiligung der Bevölkerung stattfinden.
    Viele Afrikaner sehen den wirtschaftlichen Ausverkauf ihrer Länder mit Zorn. Afrika, so sagen sie, sei eigentlich ein reicher Kontinent. Die gegenwärtige Plünderung von Bodenschätzen und Agrarprodukten durch europäische, nordamerikanische und chinesische Konzerne erscheint ihnen als unmittelbares Erbe der kolonialen Tradition. Nicht nur die Rohstoffe und Gewinne, sondern auch die Selbstbestimmung und Würde gingen Afrika verloren. Wieder einmal.
    Die "Visionäre Afrikas" bieten eine ebenso aufklärerische wie aufregende Entdeckungsreise mit vielen Überraschungen und neuen Perspektiven. Zwei Säulen der europäischen Geistesgeschichte übrigens, auch das erfahren wir im Buch, verachteten Afrika. Kant sprach den Afrikanern jede Form von Intelligenz ab. Hegel sah in ihnen Bewohner des "Kinderlandes, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt" sei. Auch Philosophen äußern bisweilen Dummheiten. Nach der Lektüre der "Visionäre Afrikas" ist man auf jeden Fall um einiges klüger.
    M. Moustapha Diallo (Hg.): "Visionäre Afrikas. Der Kontinent in ungewöhnlichen Porträts"
    Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2014
    368 Seiten, 29,90 Euro.