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Portugal
Fluchtpunkt für Osteuropäer

Nach Portugal kommen Flüchtlinge nicht mit dem Boot, sondern im Flugzeug. Obwohl das Land am Rande Europas nicht zu den Hauptanlaufstellen für Flüchtlinge zählt, hat sich die Zahl der Asylanträge im letzten Jahr fast verdreifacht. Vor allem aus der Ukraine fliehen die Menschen vor dem Krieg nach Portugal. Für eine vernünftige Migrationspolitik aber fehlt das Geld.

Von Tilo Wagner | 17.06.2015
    Passagiere landen am Lissaboner Flughafen
    Passagiere landen am Lissaboner Flughafen (dpa / picture alliance / Mario Cruz)
    Flüchtlinge landen in Portugal nicht an der Küste, sondern überwiegend auf dem Lissabonner Flughafen und werden dann vom Grenzschutz zu einem Aufnahmezentrum vor den Toren Lissabons gebracht. Der moderne Bau wurde vor neun Jahre vom UN-Flüchtlingskommissar und ehemaligen portugiesischen Premierminister António Guterres höchst persönlich eröffnet: mit Bibliothek, holzvertäfeltem Auditorium und einem wunderschönen Blick auf den Tejo-Fluss.
    Lilia sitzt in der Gemeinschaftsküche. Sie ist erst seit ein paar Tagen da. In ihrer russischen Heimat habe sie sich nicht mehr sicher gefühlt, sagt die 30-jährige Journalistin, die in Moskau Kontakt zu oppositionellen Gruppen gepflegt hatte. Jetzt hofft sie, dass ihr Portugal politisches Asyl gewährt:
    "Ich war sehr überrascht, wie gut mich die Behörden hier empfangen haben. Sie waren alle sehr freundlich. Das kenne ich aus Russland ganz anders. Dort findet man solche Leute in den staatlichen Stellen kaum. Ich hatte große Angst, als ich hier ankam. Ich dachte, die stecken mich erst mal ins Gefängnis."
    Unterkünfte reichen nicht aus
    Auch in Portugal sind im laufenden Jahr mehr Flüchtlinge angekommen. In den ersten fünf Monaten hat sich die Zahl der Asylanträge, verglichen mit dem gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr, fast verdreifacht. Doch die Mehrheit kommt nicht aus Afrika und dem Nahen Osten, sondern aus Osteuropa. Vor allem aus der Ukraine fliehen die Menschen vor dem Krieg nach Portugal, wo inzwischen über 40.000 Ukrainern leben. Das Aufnahmezentrum, eine der ganz wenigen zentralen Anlaufstellen für Flüchtlinge, breche schon jetzt aus allen Nähten, sagt die Leiterin Isabel Sales.
    "Das Zentrum hier ist mittlerweile einfach zu klein. Wir haben in den letzten Monaten viel mehr Asylanträge erhalten. Und im Aufnahmezentrum haben wir ja eigentlich nur Platz für 42 Personen, und zurzeit leben hier schon 74. Natürlich können wir hier nicht die 2.000 Flüchtlinge unterbringen, die nach der Quotenregelung der EU nun nach Portugal kommen sollen. Der Wille ist zwar da, die Leute aufzunehmen, aber uns fehlen einfach die Mittel."
    Auch dem portugiesischen Grenzschutz SEF fehlt Geld. Der SEF ist eigentlich beides: eine Ausländerbehörde, die Aufenthaltsgenehmigungen für Migranten und Flüchtlinge ausstellt, und eine Grenzpolizei. Die zusätzlichen Aufgaben, die im Rahmen der europäischen Flüchtlingspolitik auf Portugal zukommen, könnten vom SEF nur schwer gestemmt werden, sagt der Gewerkschaftsführer Acácio Pereira, der die Interessen der Grenzschützer vertritt:
    "Es gibt den Hinweis, dass die Grenzschutz-Inspektoren in den Sommermonaten nicht an den EU-Missionen der Frontex im Mittelmeer teilnehmen sollen. Von offizieller Seite heißt es zwar, Portugals Kooperation stehe nicht infrage. De facto wird wohl das eh schon sehr kleine Kontingent portugiesischer Kräfte weiter reduziert werden. Es gibt zwar in Portugal einen großen politischen Willen, die EU-Politik zu stützen. Doch dieser überträgt sich nicht in konkrete Maßnahmen. Wir brauchen zusätzliche Fachkräfte und Investition in moderne Geräte, damit wir den gegenwärtigen Ansprüchen eines EU-Landes gerecht werden können."
    Geldwäsche bei der Vergabe der "Goldenen Visa"?
    Schuld an der Überlastung des Grenzschutzes ist auch eine wirtschaftspolitische Maßnahme der konservativen Regierung. Seit Oktober 2012 wirbt Portugal bei nicht-europäischen Investoren mit sogenannten "Goldenen Visa": Eine 5-jährige Aufenthaltsgenehmigung im Gegenzug für Immobilienkäufe über jeweils 500.000 Euro. Davon machen überwiegend reiche Chinesen Gebrauch. Die Anträge gehen über den Schreibtisch der portugiesischen Grenzschützer, die insgesamt schon über 2.000 Anfragen genehmigt haben. Zusätzliche Inspektoren wurden nicht eingestellt.
    Im November 2014 nahm die Kriminalpolizei dann den Chef des Grenzschutzes und hochrangige Beamte anderer Behörden fest. Der Vorwurf: Korruption und Geldwäsche bei der Vergabe der "Goldenen Visa". Das habe auch die Arbeit der Inspektoren nachhaltig beeinflusst, sagt der Gewerkschaftler Acácio Pereira:
    "Nach dem Korruptionsskandal ist die Belastung der Grenzschützer weiter gestiegen. Die Kriterien für die Vergabe wurden geändert, es gab eine Umstrukturierung im Betrieb und unter den Inspektoren herrscht mittlerweile Angst, die Visa zu bearbeiten, weil sie nicht ins Rampenlicht der Justiz geraten wollen."
    Durch den Korruptionsskandal ist nach Ansicht von Flüchtlingsexperten auch die Arbeit anderer Behörden gestört, wie zum Beispiel dem Registeramt, dass für Pass-Angelegenheiten zuständig ist. Viele Flüchtlinge, die nach sechs Jahren in Portugal die portugiesische Staatsangehörigkeit beantragen können, müssen länger darauf warten, endlich ein europäischer Staatsbürger zu werden.