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Portugal
Kontroverse Debatte um aktive Sterbehilfe

In drei Ländern in der EU ist aktive Sterbehilfe derzeit zugelassen. In den Niederlanden, in Belgien und Luxemburg. Nun könnte Portugal folgen. Fünf Entwürfe liegen dem Parlament vor, die Linksparteien wollen damit ein Wahlversprechen einlösen. Konservative Kräfte fordern ein Referendum.

Von Tilo Wagner | 19.02.2020
Das Parlamentsgebäude in Lissabon.
Das Parlament wird über ein Gesetz zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe abstimmen. (Imago/Westend61)
In portugiesischen Krankenhäusern können seit über fünf Jahren Patienten mit einer schweren, unheilbaren Krankheit ein sogenanntes "Testament" ablegen: Sie bestimmen, ob sie im Endstadium ihrer Krankheit auf lebenserhaltende Mittel zugreifen wollen oder nicht. Doch diese Form der passiven Sterbehilfe geht den Linksparteien nicht weit genug. Sie haben ihre Wahlversprechen nun eingelöst und verschiedene Gesetzesentwürfe ins Parlament eingebracht, die alle die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vorsehen. Vor dem Lissabonner Krankenhaus Santa Maria stößt diese Idee bei einer Patientin auf Zustimmung:
"Für mich als Mensch, Mutter und Katholikin ergibt das Sinn. Der Tod, und insbesondere ein erträglicher Tod, ist Teil des Lebens und das sollte in einem Gesetz festgehalten werden."
"Jeder Mensch sollte frei entscheiden können, wie er sein Leben beenden will", sagt eine junge Frau. Sie wünscht sich jedoch ein Referendum, damit die Bürger selbst über das Gesetz entscheiden können. Und das findet auch ein junger Arzt: "Eine Volksbefragung würde zu einem größeren Konsens in der Bevölkerung führen."
Konservative fordern eine Volksbefragung
Die Forderung nach einem bindenden Referendum über die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe kommt in Portugal vor allem aus konservativen Kreisen, darunter Bischöfe, bekannte Fußballtrainer oder der ehemalige Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva. Die Linksparteien haben im Parlament jedoch eine klare Mehrheit und lehnen eine Volksbefragung geschlossen ab. Der sozialistische Abgeordnete Pedro Delgado Alves verweist darauf, dass sich die portugiesischen Wähler nur schwer von Referenden mobilisieren lassen würden. Er bezieht sich auch auf das Referendum im Jahr 2007 zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Damals haben etwa 44 Prozent der Wähler ihre Stimmen abgegeben. Über solche Fragen ein Referendum abzuhalten, wird laut Pedro Delgado Alves zudem immer schwieriger:
"Wir haben es mit Fake News zu tun und mit Kräften, die über soziale Netzwerke die Bevölkerung bewusst manipulieren wollen. Häufig steht die Fragestellung gar nicht mehr im Vordergrund, sondern es geht um ganz andere Dinge. Der Brexit sollte auch eine Lehre sein, dass komplexe Entscheidungen besser im Rahmen der repräsentativen Demokratie verankert sind. Eine einfache Frage mit einer Ja/Nein-Antwort reicht einfach nicht aus, wenn wir die Konsequenzen nicht absehen können."
Letzte Hoffnung Verfassungsgericht
Laut portugiesischer Verfassung können nur das Parlament oder die Regierung ein Referendum veranlassen. Politische Beobachter sind davon überzeugt, dass nur eine massive Mobilisierung, zum Beispiel durch die katholische Kirche, die regierenden Sozialisten umstimmen könnten, doch noch eine Volksbefragung wie im Sinne der Konservativen durchzuführen. Doch danach sieht es zurzeit nicht aus. Gegner der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe hoffen auch auf das Verfassungsgericht. Sollte das Gesetz erwartungsgemäß im Parlament verabschiedet werden, kann der Staatspräsident eine Prüfung durch die obersten Richter veranlassen. Denn das geplante Gesetz könnte verfassungswidrig sein, sagt Verfassungsrechtler Luís Fábrica von der katholischen Universität in Lissabon:
"Es geht um die Interpretation eines Artikels der Verfassung, in dem steht, dass das Recht auf menschliches Leben unverletzlich sei. Es gibt Verfassungsrechtler, die sagen, dass dieser Artikel ein Gesetz zur Legalisierung der Sterbehilfe verhindert. Aber es gibt natürlich andere Juristen, die das nicht so sehen."
Das Thema wird die Öffentlichkeit in den kommenden Monaten beschäftigen. Und insbesondere Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa könnte die Debatte über die aktive Sterbehilfe zu einem Bekenntnis bewegen: Der eigentlich konservative Politiker hat immer auch Positionen der Linksparteien unterstützt und so linke und rechte Wähler für sich gewonnen. Kurz vor dem Ende seines Mandats wird sich Marcelo Rebelo de Sousa politisch deutlich positionieren müssen.